Da kann sich Christian Kracht freuen
Der Roman »Eurotrash« als Zwei-Personen-Stück im Akademietheater: Die Stärken, die Stimmung, die Essenz von Christian Krachts Original bleiben in kondensierter Form erhalten – selten gelingt eine Dramatisierung so gut wie hier.
Oh, Afrika! Ich habe immer die gestreiften Hinterteile der Zebras so gern gesehen. Am Ngorongoro-Krater“, sagt die Mutter in „Eurotrash“, dem jüngsten Roman des durch „Faserland“berühmt gewordenen Schweizers Christian Kracht. Da geht der Sohn mit dieser alkoholund tablettenabhängigen, psychisch kranken, egozentrischen und unglücklichen alten Frau im Taxi auf Tour – auch wenn sie nicht über das Matterhorn und Montreux hinauskommen. 600.000 Franken haben sie im Plastiksackerl mit. Man erlebt eine zum Verzweifeln vertrackte Mutter-SohnBeziehung, in der Resignation und Zärtlichkeit miteinander streiten, voller tragikomischer, berührender, auch befreiender Momente: mit unvergesslichen Szenen, etwa wenn der Sohn der Mutter den Darmbeutel wechselt oder wenn es Banknoten vom Berg regnet.
Erstaunlich gut erhält die Bühnenfassung, die am Freitag im Akademietheater Premiere hatte, die Stärken von Krachts Roman: die Eigenart des erzählenden Sohns, die Dialoge sowie die Situationskomik, die noch die traurigsten Szenen durchzieht. Wer den Roman gelesen hat, findet Stimmung, Essenz kondensiert wieder; wer ihn nicht gelesen hat, lernt sie hier kennen.
Man lässt hier Kracht das Wort. Warum gelingt das so gut? Da ist zunächst die kluge Auswahl und Dramatisierung der Romanpassagen. Der Bühnentext (Itay Tiran, Jeroen Versteele) ist aus weitgehend wörtlichen Passagen des Romans komponiert. Der im Buch erzählende Sohn ist auch auf der Bühne sowohl
Dialogpartner der Mutter als auch Erzähler; sogar sehr viel Erzähler.
Die Inszenierung (Tiran) unterstützt dezent die Stimmung des Geschehens. Vorhänge aus Glitzerstreifen illustrieren das schillernd Traum- und Scheinhafte der Welt, in der sich Mutter und Sohn beide bewegen. Die wenigen Accessoires, die multifunktional und stellenweise auch für komische Momente genutzt werden: ein Rollator vor allem, der auch das Taxi „spielt“, in dem Mutter und Sohn herumfahren (einmal sitzt auch der Sohn darauf, und die Mutter rast mit ihm auf der Bühne herum, während sie ihn verbal zur Schnecke macht). Ein multifunktionales Sofa ist noch da. Zwischendurch auch ein kleines ferngesteuertes, ebenfalls „Taxi“spielendes Auto.
Und dann sind da Barbara Petritsch und Johannes Zirner – eine passgenaue Besetzung, als Mutter und Sohn scheinen sie direkt dem Roman entsprungen. Zirner vermittelt das emotionale Gemenge von Frust, Trauer, Zärtlichkeit und Nostalgie, das man von Krachts Ich-Erzähler kennt. Sein Sarkasmus spielt eine kleinere Rolle als im Roman, noch mehr kommt hier das verlorene Kind in ihm zum Vorschein. Mit lächerlich anmutendem Wollpullover, den er sich in einer spontanen Sehnsucht nach „Authentizität“am Stand einer Schweizer Kommune gekauft hat, erscheint er auf der Bühne. Er behält ihn an, bis er im Hotel dieser Kommune draufkommt, dass es sich hier um eine Art Bio-Nazis handelt.
Zobelpelz und Wodkaflasche. Auf der anderen Seite Barbara Petritsch, herrisch und unberechenbar als Mutter mit ihrem vom geschiedenen Mann stammenden Vermögen, ihren Vorräten an Zobelpelzen, Wodkaflaschen und Schmerztabletten. Eine Frau, aus lauter Widersprüchen gestrickt, die trotz ihrer Egomanie immer wieder Mitleid erregt, stellenweise sogar beeindruckt. Wenn am ehesten etwas gegenüber der Romanvorlage verloren geht, sind es Details zur Lebensgeschichte dieser Frau, die sie greifbarer machen würden. Fast am Ende des Stücks erst erfährt man, was Kracht im Roman sehr bald erzählt: wie die Mutter, Tochter eines Nazi-Vaters, von einem Fahrradhändler sexuell missbraucht wurde.
An dieser Stelle verschwinden die Glitzervorhänge. Und fast verliert die Aufführung hier die Leichtigkeit, mit der Kracht auch das Schrecklichste behandelt. Die Schlussszene bringt es wieder in Balance, der so bitter-schöne Abschied von der Mutter (wieder in der Psychiatrie?): „Ich gehe jetzt zu den Zebras“, sagt die Mutter. „Du bist die sturste Person, die ich je gesehen habe.“– „Ich? Das bist doch schon du.« – »Mama! Wann sehen wir uns denn wieder?“– „Bald.“