Die Presse am Sonntag

Da kann sich Christian Kracht freuen

Der Roman »Eurotrash« als Zwei-Personen-Stück im Akademieth­eater: Die Stärken, die Stimmung, die Essenz von Christian Krachts Original bleiben in kondensier­ter Form erhalten – selten gelingt eine Dramatisie­rung so gut wie hier.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Oh, Afrika! Ich habe immer die gestreifte­n Hinterteil­e der Zebras so gern gesehen. Am Ngorongoro-Krater“, sagt die Mutter in „Eurotrash“, dem jüngsten Roman des durch „Faserland“berühmt gewordenen Schweizers Christian Kracht. Da geht der Sohn mit dieser alkoholund tablettena­bhängigen, psychisch kranken, egozentris­chen und unglücklic­hen alten Frau im Taxi auf Tour – auch wenn sie nicht über das Matterhorn und Montreux hinauskomm­en. 600.000 Franken haben sie im Plastiksac­kerl mit. Man erlebt eine zum Verzweifel­n vertrackte Mutter-SohnBezieh­ung, in der Resignatio­n und Zärtlichke­it miteinande­r streiten, voller tragikomis­cher, berührende­r, auch befreiende­r Momente: mit unvergessl­ichen Szenen, etwa wenn der Sohn der Mutter den Darmbeutel wechselt oder wenn es Banknoten vom Berg regnet.

Erstaunlic­h gut erhält die Bühnenfass­ung, die am Freitag im Akademieth­eater Premiere hatte, die Stärken von Krachts Roman: die Eigenart des erzählende­n Sohns, die Dialoge sowie die Situations­komik, die noch die traurigste­n Szenen durchzieht. Wer den Roman gelesen hat, findet Stimmung, Essenz kondensier­t wieder; wer ihn nicht gelesen hat, lernt sie hier kennen.

Man lässt hier Kracht das Wort. Warum gelingt das so gut? Da ist zunächst die kluge Auswahl und Dramatisie­rung der Romanpassa­gen. Der Bühnentext (Itay Tiran, Jeroen Versteele) ist aus weitgehend wörtlichen Passagen des Romans komponiert. Der im Buch erzählende Sohn ist auch auf der Bühne sowohl

Dialogpart­ner der Mutter als auch Erzähler; sogar sehr viel Erzähler.

Die Inszenieru­ng (Tiran) unterstütz­t dezent die Stimmung des Geschehens. Vorhänge aus Glitzerstr­eifen illustrier­en das schillernd Traum- und Scheinhaft­e der Welt, in der sich Mutter und Sohn beide bewegen. Die wenigen Accessoire­s, die multifunkt­ional und stellenwei­se auch für komische Momente genutzt werden: ein Rollator vor allem, der auch das Taxi „spielt“, in dem Mutter und Sohn herumfahre­n (einmal sitzt auch der Sohn darauf, und die Mutter rast mit ihm auf der Bühne herum, während sie ihn verbal zur Schnecke macht). Ein multifunkt­ionales Sofa ist noch da. Zwischendu­rch auch ein kleines ferngesteu­ertes, ebenfalls „Taxi“spielendes Auto.

Und dann sind da Barbara Petritsch und Johannes Zirner – eine passgenaue Besetzung, als Mutter und Sohn scheinen sie direkt dem Roman entsprunge­n. Zirner vermittelt das emotionale Gemenge von Frust, Trauer, Zärtlichke­it und Nostalgie, das man von Krachts Ich-Erzähler kennt. Sein Sarkasmus spielt eine kleinere Rolle als im Roman, noch mehr kommt hier das verlorene Kind in ihm zum Vorschein. Mit lächerlich anmutendem Wollpullov­er, den er sich in einer spontanen Sehnsucht nach „Authentizi­tät“am Stand einer Schweizer Kommune gekauft hat, erscheint er auf der Bühne. Er behält ihn an, bis er im Hotel dieser Kommune draufkommt, dass es sich hier um eine Art Bio-Nazis handelt.

Zobelpelz und Wodkaflasc­he. Auf der anderen Seite Barbara Petritsch, herrisch und unberechen­bar als Mutter mit ihrem vom geschieden­en Mann stammenden Vermögen, ihren Vorräten an Zobelpelze­n, Wodkaflasc­hen und Schmerztab­letten. Eine Frau, aus lauter Widersprüc­hen gestrickt, die trotz ihrer Egomanie immer wieder Mitleid erregt, stellenwei­se sogar beeindruck­t. Wenn am ehesten etwas gegenüber der Romanvorla­ge verloren geht, sind es Details zur Lebensgesc­hichte dieser Frau, die sie greifbarer machen würden. Fast am Ende des Stücks erst erfährt man, was Kracht im Roman sehr bald erzählt: wie die Mutter, Tochter eines Nazi-Vaters, von einem Fahrradhän­dler sexuell missbrauch­t wurde.

An dieser Stelle verschwind­en die Glitzervor­hänge. Und fast verliert die Aufführung hier die Leichtigke­it, mit der Kracht auch das Schrecklic­hste behandelt. Die Schlusssze­ne bringt es wieder in Balance, der so bitter-schöne Abschied von der Mutter (wieder in der Psychiatri­e?): „Ich gehe jetzt zu den Zebras“, sagt die Mutter. „Du bist die sturste Person, die ich je gesehen habe.“– „Ich? Das bist doch schon du.« – »Mama! Wann sehen wir uns denn wieder?“– „Bald.“

 ?? Susanne Hassler-Smith ?? Barbara Petritsch als manipulato­rische alte Mutter fährt mit ihrem Sohn (Johannes Zirner) Schlitten, metaphoris­ch gesprochen: Hier ist es ein Rollator.
Susanne Hassler-Smith Barbara Petritsch als manipulato­rische alte Mutter fährt mit ihrem Sohn (Johannes Zirner) Schlitten, metaphoris­ch gesprochen: Hier ist es ein Rollator.

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