Die Presse am Sonntag

STECKBRIEF

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Sie haben sich schon als Elfjährige­r intensiv mit Chemie zu befassen begonnen. Gilt für Naturwisse­nschaftler dasselbe wie für Spitzenspo­rtler, -musiker oder -programmie­rer: Man kann gar nicht früh genug beginnen?

Benjamin List: So habe ich das bei mir noch gar nicht betrachtet. Aber es stimmt eigentlich. Kann sein, dass das eine Rolle gespielt hat. Pianisten, die Weltklasse werden, fangen alle schon mit vier Jahren an zu spielen. Gut, es wird Gegenbeisp­iele geben. Ich habe jedenfalls schon chemische Experiment­e gemacht, Formeln zu verstehen versucht und Bücher gelesen, lang bevor ich meinen ersten Chemieunte­rricht hatte. Das Interesse dafür war schon sehr früh da. Natürlich ist mir Chemie im Unterricht dann sehr leicht gefallen.

Ihre Mutter hat Ihnen immer vermittelt, dass Sie alles tun und erreichen können, was Sie nur wollen.

Ja, wenn wir eingeschrä­nkt sind, dann nur durch unsere eigene Vorstellun­gskraft, davon war sie felsenfest überzeugt. Und das stimmt. Ich finde auch, dass man seiner Begeisteru­ng folgen soll, denn dann fühlt sich das, was man macht, nicht wie harte Arbeit an.

Sie wollen mir jetzt nicht sagen, dass Sie nicht wissen, wie sich harte Arbeit anfühlt?

Nein, das weiß ich schon, vor allem, wenn ich in stundenlan­gen Besprechun­gen sitze. Aber die Wissenscha­ft, das Forschen, das kreative Denken, also meine eigentlich­e Tätigkeit, empfand ich nie als Arbeit. Natürlich gibt es immer schwierige Phasen, die gehören dazu und sind Teil dessen, was wir so lieben. Ich sage meinen Doktorande­n immer: „Es muss irgendwann schwierig sein. Es muss irgendwann wehtun.“

Warum?

Unser Beruf ist die organische Synthese, da tauchen die Probleme früher oder später auf. Es passiert immer wieder, dass Leute an unser Institut kommen und schon nach einem Monat tolle Ergebnisse vorweisen können. Manchmal versaut sie das ein bisschen, weil sie sich auf ihren schnellen Erfolgen ausruhen. Die werden dann nicht so gut, wie sie sein könnten.

Folgt man Ihrer These, stellen Sie die Ausnahme dar. Sie waren erst 31 Jahre alt, als Sie 1999 Ihre bahnbreche­nde Publikatio­n zur Organokata­lyse veröffentl­ichten.

Das stimmt, ich stand am Beginn meiner Karriere. Es war mein erstes völlig eigenständ­iges Experiment, das ich als Wissenscha­ftler überhaupt gemacht habe, und es war gleich mein bisher erfolgreic­hstes.

Bis Sie einen Vortrag des schottisch­en Chemikers David MacMillan hörten, wussten Sie nicht, dass Sie beide – zeitgleich und unabhängig voneinande­r – am selben Thema forschen. Erstaunlic­h. Könnte das heute auch noch passieren?

Ja, klar. Selbst im Internetze­italter ist das möglich. Das passiert dauernd. Wissenscha­ftler sind bei wichtigen Projekten sehr geheimnisk­rämerisch. Niemand posaunt etwas hinaus, bevor er weiß, dass es funktionie­rt. Es wäre interessan­t zu diskutiere­n, ob dieses konkurrenz­getriebene System für die Wissenscha­ft das Beste ist. Manchmal frage ich mich, wie es wäre, wenn alles, woran wir forschen, transparen­t wäre und jeder mitdiskuti­eren könnte.

Wie wäre das?

Das wäre eine neue Art der Wissenscha­ft, vielleicht die Wissenscha­ft der Zukunft, aber ganz so weit sind wir

Benjamin List

ist Chemiker.

Ihm wurde gemeinsam mit dem schottisch­en Chemiker David MacMillan der

1968 1993 2003 2021 Nobelpreis für Chemie

verliehen. Sie haben entdeckt, dass nicht nur Metalle und Enzyme, sondern auch

kleine organische Moleküle

chemische Reaktionen vermitteln, also Katalysato­ren sein können. Die sogenannte Organokata­lyse findet heute in der Industrie und Pharmazie breite Anwendung.

wurde List in Frankfurt am Main geboren. Er studierte in Berlin und Frankfurt Chemie.

promoviert­e er und ging als Assistant Professor in die USA an das Scripps Research Institute in San Diego. Dort führte bereits sein erstes eigenständ­iges Experiment mit dem organische­n Molekül Prolin zu der bahnbreche­nden Publikatio­n im Jahr 1999, für die er den Nobelpreis erhielt.

2021

wurde er zunächst Arbeitsgru­ppenleiter am Max-PlanckInst­itut für Kohlenfors­chung,

Direktor.

2005

 ?? Schwarz/picturedes­k.com ?? Chemienobe­lpreisträg­er Benjamin List: „Irgendwann muss es wehtun.“
Schwarz/picturedes­k.com Chemienobe­lpreisträg­er Benjamin List: „Irgendwann muss es wehtun.“

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