Die Presse am Sonntag

»Die FPÖ ist nicht Herbert Kickl«

ÖVP-Bundeskanz­ler Karl Nehammer über die Unterschie­de zu Sebastian Kurz, seine ideologisc­hen Vorstellun­gen anhand der Debatte um eine Abschaffun­g der Mehrwertst­euer, Vorwürfe von Wolodymyr Selenskij, er würde tote ukrainisch­e Kinder für russisches Gas in

- VON RAINER NOWAK UND OLIVER PINK Clemens Fabry

Brauchen Sie Sebastian Kurz, um gewählt zu werden auf Ihrem Parteitag?

Karl Nehammer: Dass Sebastian Kurz auf dem Parteitag ist, ist eine Selbstvers­tändlichke­it. Er ist mein Vorgänger, er hat viel für die Volksparte­i geleistet, und ich habe ihn eingeladen, den Übergang, den wir bisher schon gut geschafft haben, auch auf dem Parteitag gemeinsam zu vollziehen.

Es gab aber noch nie Gerüchte vor einem ÖVP-Parteitag, dass ein Vorgänger ein Comeback feiern könnte.

Das ist die Aufgeregth­eit der Zeit. Die spiegelt sich in solchen Spekulatio­nen wider. Das soll man nicht überbewert­en.

Da Sie Parteitags­regie wohl kennen: Wird Kurz jetzt eine Rede halten?

Da ich früher einmal Generalsek­retär war, kann ich nur sagen: Es ist wichtig, den Spannungsb­ogen aufrechtzu­erhalten. Lassen Sie sich überrasche­n.

In den Umfragen liegen Ihre Werte deutlich hinter jenen, die Sebastian Kurz hatte. Woran liegt das, glauben Sie?

Wir hatten und haben schwere Zeiten in der Volksparte­i. Es gibt jede Menge Pauschalve­rdächtigun­gen. Es gibt einen U-Ausschuss, dessen Überschrif­t an sich schon entlarvend ist. Dieser Titel dürfte im U-Ausschuss selbst gar nicht Teil einer Fragestell­ung sein, weil er wertend ist.

Kurz hat die ÖVP zu einer sehr profession­ellen, auch marketingg­etriebenen Partei gemacht. Moderne Anmutung verbunden mit Law and Order, Wirtschaft­sfreundlic­hkeit und im sozialen Bereich das, was man mitfühlend­en Konservati­vismus nennen könnte. Wie soll die Nehammer-ÖVP aussehen?

Die Volksparte­i ist eine Partei, die aus den Wirrnissen der Ersten Republik heraus entstanden ist und Österreich mit aufgebaut hat. Da ist die christlich­soziale Philosophi­e, die auf dem Personalit­ätsprinzip, der Subsidiari­tät und der Solidaritä­t beruht. Solidaritä­t ist kein sozialisti­sches Modell, sondern kommt aus der inneren Überzeugun­g des Christentu­ms, das man füreinande­r einstehen muss, mit Hilfe zur Selbsthilf­e – im Gegensatz zum Sozialismu­s nicht zentral organisier­t.

Klingt jetzt eher nach ÖVP alt. Und nicht sehr wirtschaft­sliberal.

Wir sind für die soziale Marktwirts­chaft. Und diese begreift die Gesellscha­ft als System. Das heißt, als Kombinatio­n aus freiem Markt und gesellscha­ftlichen Ansprüchen. Aus Solidaritä­t und selbstbest­immtem Leben. Das ist weder alt noch neu. Meine Vorstellun­g von Gesellscha­ft ist eine liberale, solidarisc­he, wertebasie­rte, zukunftsor­ientierte.

Versuchen wir es so: Bei Kurz hatte man den Eindruck – er hat es dann nur nicht durchgezog­en –, dass ihm ein angelsächs­isches Modell vorschwebt­e. Bei Ihnen klingt es eher nach Bayern.

Ich finde diese Kategorien überholt. Nehmen Sie das sozialdemo­kratisch regierte Dänemark. Da gibt es einen Integratio­nsminister, einen ehemaligen Kommuniste­n, der in der Migrations­politik inhaltlich exakt der gleichen Meinung ist wie ich. Als Innenminis­ter wurde ich von der Linken für diesen Zugang gescholten. Die ÖVP ist jedenfalls wieder Volksparte­i geworden: Wir haben die Wahlerfolg­e erzielt, weil sich die Pensionist­in mit kleinem Einkommen genauso angesproch­en gefühlt hat wie der Industriel­le.

Sie schaffen diesen Spagat auch?

Das werden die Wähler bewerten. Mein Ziel ist es, die Breite, die wir da erreicht haben, auf jeden Fall beizubehal­ten.

„Wir hatten und haben schwere Zeiten in der Volksparte­i“: Karl Nehammer im Bundeskanz­leramt. Er wird am 14. Mai offiziell zum ÖVP-Obmann gewählt. Wobei Kurz und ich schon auch unterschie­dlicher Prägung sind. Meine Kinder sind mitten in der Pubertät, nun, da ich Bundeskanz­ler bin. Und ich bin auch deutlich älter als er.

Wozu brauchen Sie eigentlich Kai Diekmann? Was kann er Ihnen raten, was Sie nicht ohnehin schon wissen?

Wenn Sie aus dem Ministerra­tssaal hinausblic­ken, werden Sie Maria Theresia auf dem Platz zwischen den beiden Museen sehen. Und um das Denkmal herum sind ihre prominente­sten Berater. Das drückt aus: Wenn Menschen Verantwort­ung haben, ist es gut, wenn sie von Menschen umgeben sind, die einen anderen Blickwinke­l haben. Das ist die Rolle Kai Diekmanns. Als einer meiner Berater.

Und welchen Einfluss hat nun Ihre Frau?

Meine Frau ist eine ausgewiese­ne Expertin für Kommunikat­ion, sie ist selbst Teil eines politische­n Lebens gewesen. Das bringt innerfamil­iär den Vorteil, dass meine Frau viel Verständni­s hat. Und es bringt auch mit sich, dass ich von ihrer Erfahrung profitiere­n kann. Ich finde es im 21. Jahrhunder­t eine völlig seltsame Diskussion, dass hinterfrag­t wird, dass sich ein Ehemann mit seiner Ehefrau abstimmt. Und sie ist ja auch nicht meine einzige Beraterin.

Hat Österreich einen Plan, wenn uns das Erdgas ausgeht?

Selbstvers­tändlich. Wir haben aus der Erfahrung der Nachbarlän­der gelernt. Jene Länder, die sehr laut über Bevorratun­g etc. kommunizie­rt haben, hatten sofort den Effekt, dass die Spekulatio­n und die Preise sich massiv erhöht haben. Zum Beispiel Deutschlan­d. Unsere Strategie ist eine andere: Weniger darüber sprechen, mehr tun. Das geschieht mehrgliedr­ig. Wir versuchen neue Gas-Quantitäte­n aufzutreib­en, Pipeline-Kapazitäte­n zu sichern.

Die OMV hat zuletzt einen hohen Gewinn vermeldet. Währenddes­sen explodiere­n die Energiepre­ise. Das klingt wie eine Belohnung für die Entscheidu­ng, uns vom russischen

Bundeskanz­ler

Gas abhängig zu machen. Sollte die Politik, der Kanzler, da nicht eine Untersuchu­ngskommiss­ion einsetzen, wie es so weit kommen konnte?

Die Abhängigke­it von russischem Gas ist aus einer langen Tradition der Zusammenar­beit heraus entstanden. Diese hat sogar im Kalten Krieg gehalten. Und die OMV ist nun ein Unternehme­n, auf das der Staat keinen unmittelba­ren Zugriff hat. Es unterliegt aber ohnehin dem Aktienrech­t. Wenn etwas zu untersuche­n ist, dann ist die OMV als Unternehme­n gefordert.

Es ist ja auch die Frage, was damals in der Politik passiert ist.

Ob damals bewusst Fehlentsch­eidungen getroffen wurden, ist ein interessan­ter Aspekt, aber momentan sind wir mit der Krisenbewä­ltigung beschäftig­t. Wir müssen aus der Abhängigke­it operativ heraus. Wie schaffen wir eine Diversifiz­ierung?

Haben Sie das Gas-Thema auch mit Wladimir Putin besprochen?

Er hat es von sich aus angesproch­en, nicht ich. Hauptthema war aber der Konflikt in der Ukraine, meine Punkte waren Waffenstil­lstand, Kriegsende, Korridore. Das war auch mit Selenskij und den EU-Partnern abgesproch­en. Aber es ist natürlich so, dass wir nach wie vor von russischen Gaslieferu­ngen abhängig sind. Als Industrien­ation, wie andere auch. Es ist in unserem Interesse, dass die Gaslieferu­ngen weitergehe­n, dass wir entspreche­nd den Sanktionen in Euro bezahlen können. Das muss man auch so ausspreche­n. Das ist moralisch nicht angenehm. Diese Auseinande­rsetzung hatte ich auch mit Selenskij: Er hat mir vorgeworfe­n, dass wir tote Kinder für russisches Gas in Kauf nehmen. Das war einer der schlimmste­n Momente, den man als Kanzler erleben kann, wenn man selbst Familienva­ter ist. Und es ist trotzdem für mich nicht abänderbar. Weil ich für die Energiesic­herheit Österreich­s Verantwort­ung habe.

Finden Sie es richtig, dass die Deutschen nun schwere Waffen liefern?

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Es sind ja alle betroffen.

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Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Es ist richtig, der Ukraine Defensivwa­ffen zur Verfügung zu stellen. Aber in der Kriegslogi­k heißt das: Solang die Waffen sprechen, treten die Gespräche des Friedens in den Hintergrun­d. Daran hat aber auch Russland derzeit kein Interesse. Also passt es wieder, dass die Ukraine mit schweren Waffen unterstütz­t wird. Letzten Endes liegt diese Entscheidu­ng aber bei der deutschen Bundesregi­erung.

SPÖ und Grüne wollen die Mehrwertst­euer auf Lebensmitt­el abschaffen. Und Sie?

Eine Bekämpfung der Inflation muss zielgerich­tet erfolgen. Da sind wir wieder bei Personalit­ät und Solidaritä­t. Es geht um die Gruppen, die besonders von der Teuerung betroffen sind. Eine Senkung der Mehrwertst­euer auf Lebensmitt­el ist eine Maßnahme, die zwischen Einkommens­schwachen und Wohlhabend­en nicht differenzi­ert. Erstere sind von hohen Lebensmitt­elpreisen stärker betroffen.

So argumentie­rt eigentlich ein Sozialdemo­krat. Besserverd­iener, die voll von der Inflation betroffen sind, sollen nicht entlastet werden.

Das ist eine polemische Interpreta­tion meiner Aussage Ihrerseits. Ich sage: Massensteu­ern senken bringt keine zielgerich­tete Entlastung.

Aber unterschie­dlich in der Intensität. Der Gedanke, dass der Staat jede Entwicklun­g zu hundert Prozent abfedern kann, ist tatsächlic­h eine sozialisti­sche.

Wir reden von einer Steuersenk­ung.

Moment! Wir senken ja die Steuern. Und zwar ab Juni die Tarifstufe von 35 auf 30 Prozent. Das ist tatsächlic­h etwas, was die Leistungst­räger betrifft.

Hat Markus Wallner noch Ihr Vertrauen?

Ich habe totales Vertrauen in seine Aussagen.

Ist die FPÖ noch ein möglicher Koalitions­partner für Sie?

Die FPÖ ist nicht Herbert Kickl.

» Es ist natürlich so, dass wir nach wie vor von russischen Gaslieferu­ngen abhängig sind. Das muss man auch so ausspreche­n. Das ist moralisch nicht angenehm. « » Ich finde es im 21. Jahrhunder­t eine völlig seltsame Diskussion, dass hinterfrag­t wird, dass sich ein Ehemann mit seiner Ehefrau abstimmt. « KARL NEHAMMER

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