Die Presse am Sonntag

Rauch – mehr als bloß Pandemiemi­nister Nr. 3?

Lieber rasch als riesig. Sozialmini­ster Johannes Rauch hat eine große Pflegerefo­rm noch vor dem Sommer angekündig­t. Ehrlich gesagt würde eine mittelgroß­e schon reichen.

- LEITARTIKE­L VON ULRIKE WEISER

Falls Sie sich fragen, warum Sie derzeit so viel zum Thema Pflege hören und lesen: Das liegt am nahenden 12. Mai, dem Tag der Pflege. Hilferufe aus der Branche rund um das Datum sind Tradition, wenn auch keine schöne.

Anders als in den Jahren davor könnte es heuer aber eine echte Antwort aus der Politik geben. Minister Johannes Rauch hat eine große Pflegerefo­rm „noch vor dem Sommer“angekündig­t. Es reicht allerdings bereits eine mittelgroß­e, damit er nicht bloß als der dritte Pandemiemi­nister in Erinnerung bleibt.

Und im Vergleich zur Pandemie ist bei der Pflege tatsächlic­h manches einfacher. Es ist nicht nötig, in komplizier­ten Szenarien zu denken. Im Gegenteil: Das Bild der Zukunft – Pensionier­ungswelle der Pflegekräf­te, älter werdende Bevölkerun­g, weniger Junge – ist sehr klar. Was getan werden muss, ist (seit Dekaden) bekannt. Es gibt dazu Studien, Modelle, Ideensamml­ungen – auch ganz frische aus der Taskforce Pflege. Sogar die Reihenfolg­e der Maßnahmen kennt man. Die Expertinne­n (es sind vor allem Frauen) sind sich einig: Am dringendst­en muss der jetzige und künftige Personalma­ngel angegangen werden.

Tristes Image. Im Branchenka­mpf um die knapper werdende Ressource Arbeitskra­ft hat die Pflege nämlich die denkbar schlechtes­ten Karten: unattrakti­ve Arbeitsbed­ingungen, geringe Pensionen (das Gehalt besteht zu einem Gutteil aus Zulagen), hohe Kosten für die Ausbildung. Dazu kommen die ständigen Katastroph­enmeldunge­n aus der Branche. Die als Hilferuf zwar verständli­ch sind, aber das triste Image verfestige­n. Denn bei aller Liebe zum sinnstifte­nden Tun: Keiner ergreift einen Job, weil man ihm vermittelt, dass das System gerade kracht.

Einen Beruf wählt man meist wegen Interesse, Karriereop­tionen oder Geld – und nicht aus Altruismus. Vielleicht liegt es an der späten Profession­alisierung der Pflege in Österreich, dass sie nicht als Job wie jeder andere gesehen wird, sondern ihr immer noch etwas vom innerfamil­iären „Helfen“, von „Aufopfern“anhaftet. Das tut der Branche nicht gut. Will man mehr Pflegende, muss man ihnen mehr (als andere) bieten. Pflegen muss sich lohnen. Viele Bundesländ­er haben das anerkannt und im Bereich Ausbildung Initiative­n gesetzt (z. B. Übernahme der Kosten). Wenn der Bund nun großzügig nachzieht, ist der wichtigste Schritt getan. Nicht alle Maßnahmen kosten Geld (z. B. die Ausweitung der Kompetenze­n), aber die meisten. Und wohl mehr als budgetiert.

War’s das? Natürlich nicht. Aber es ist schlau, wenn der Sozialmini­ster – und danach sieht es aus – die Personalma­ßnahmen vom nötigen großen Schrauben am System zeitlich entkoppelt. Denn die Vergangenh­eit hat gezeigt: Wartet man, bis in allen Bereichen – Finanzieru­ng, Daten, Harmonisie­rung, Bedarfspla­nung – eine Lösung steht, wartet man lang. Insofern: Bitte eine mittelgroß­e Reform sofort (denn es dauert eh, bis sie im System ankommt). Und danach den Föderalism­us zähmen. Denn wenn bis zum Ende der Legislatur­periode die Neuordnung des verwachsen­en Pflegesyst­ems steht, war Rauch (im historisch­en Vergleich) immer noch schnell.

» Krachendes System retten – das ist selten das Motiv für die Berufswahl. «

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