STECKBRIEF
Er ist viel kleiner als im Fernsehen. Ausgewaschene Jeans, Wildlederstiefel, schwarze Jacke, ein leicht verschlafener Blick, am Hinterkopf steht eine Haarsträhne ab. So lehnt Robert Habeck auf einem Absperrgitter und sieht aus wie ein Popstar, der sich schon länger mit dem Familienleben abgefunden hat. Nur eben viel kleiner, als er auf den Fotos und in den Videos wirkt, mit denen er in den vergangenen Wochen zum beliebtesten Politiker in Deutschland geworden ist.
„Herr Habeck, zurück im Norden!“, ruft ihm ein alter Mann mit Mütze freudig zu. Habeck hält ihm die Faust zum Gruß hin, wie das in der Pandemie üblich geworden ist. Im Gesicht dieses Lächeln, das zwischen Lässigkeit und Schüchternheit schwankt.
Es ist später Freitagnachmittag, Neumünster, eine 80.000-Seelen-Stadt auf halber Strecke zwischen Hamburg und Kiel, der Norden des Landes. Auf einem Pflastersteinplatz, umgeben von Cafe´s und neben einer Durchzugsstraße, haben grüne Funktionäre aus Absperrgittern, Zeltplanen, Heurigenbänken und kleinen Schirmen eine Wahlkampfarena errichtet.
Hier soll der 52-Jährige eine Rede halten, seinen Glanz ein bisschen auf die grünen Spitzenkandidatinnen abstrahlen lassen, am Sonntag wird in Schleswig-Holstein ein neuer Landtag gewählt. Die Grünen liegen nicht schlecht, sie könnten Zweiter werden, vor den Sozialdemokraten. „Wenn wir 20 Prozent bekommen, wäre das schnappe“, sagt eine Grüne, die sich ein gelbe Weste übergestreift hat und an diesem Tag die Ordnerin gibt.
Der Erklärer. Vielleicht hundert Zuhörer auf den Pflastersteinen einer norddeutschen Kleinstadt, das wirkt in diesen Tagen etwas zu klein für einen wie Robert Habeck. Er ist in den Umfragen nicht nur zum beliebtesten Politiker Deutschlands aufgestiegen. Der grüne Vizekanzler baut gerade das Land um.
Am Donnerstag sah er im niedersächsischen Wilhelmshaven zu, wie die ersten Pfeiler für ein Flüssiggas-Terminal in den Meeresboden gerammt wurden. Schon im kommenden Jahr soll es funktionstüchtig sein, dann kann Gas aus Ländern wie den USA oder Katar angeliefert werden, weniger russisches. Dafür wurden Entladeschiffe organisiert, eines davon legte vor kurzem von der US-Küste ab, es trägt den Namen „Esperanza“, die Hoffnung.
Am Montag will er eine Raffinerie im ostdeutschen Schwedt an der Oder besuchen, die der russischen Rosneft gehört. Sie verarbeitet das Rohöl für die deutsche Hauptstadt Berlin. Fällt sie aus, könnten schnell keine Flugzeuge mehr abheben und der Tankstellenbetrieb zusammenbrechen.
Habeck hat gedroht, bis zum Äußersten zu gehen: Er will die Raffinerieeigentümer enteignen. In einem kurzen Clip erklärt er den Grund dafür so: „Wenn ich da anrufe und sage: Hallo, was wollt ihr eigentlich tun, um unabhängig von russischem Öl zu werden, dann heben die den Hörer gar nicht ab oder sagen, hä, was willst du eigentlich von uns?“Es ist ein ungewöhnliches Video für einen Vizekanzler in Deutschland, das auch in der österreichischen Politszene geteilt wurde. Habeck selbst ist seit drei Jahren nicht mehr auf Twitter oder Facebook.
„Kriegswirtschaftsminister“nannte ihn der „Spiegel“, als er schon vor Wochen zum Gassparen aufrief und im Ernstfall das letzte russische Erdgas rationieren wollte. Dabei scheint Habeck kein kriegerischer Typ zu sein, sondern vielmehr die einprägsamste Stimme eines historischen, geopolitischen Umbruchs im mächtigsten Land der Europäischen Union. Wo der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) immer wieder versichert, er wisse schon, was er tue, stellt sich Habeck vor die Kameras und erklärt, woran er gerade arbeitet und dass er es eigentlich auch lieber anders hätte, dass er zweifle. Er warnt, dass alles bald teurer werde, er Angst um den sozialen Frieden im Land habe. „So wie es lange hieß, ach, der Philosoph und Schriftsteller redet ja nur, heißt es nun: Der redet ja mit uns“, sagte Habeck über Habeck in einem Gespräch mit der Berliner „taz“.
Ausgerechnet der Grüne ist das Gesicht zur Zeitenwende, die Scholz den Deutschen angekündigt hat. Der Beleg, dass auch unangenehme politische Entscheidungen nicht gleich einen Absturz
Robert Habeck
wurde am 2. September 1969 in Lübeck, SchleswigHolstein, geboren. Er studierte Philosophie und heiratete die Schriftstellerin Andrea Paluch, mit der er mehrere Bücher veröffentlichte.
Mit 33 Jahren
trat Habeck in die Partei Bündnis 90/Die Grünen ein. Im Jahr 2012 wurde er Landesminister für Energie, Landwirtschaft, Umwelt und Natur von Schleswig-Holstein, später erhielt er auch noch die Digitalisierung.
»So wie es lange hieß, ach, der redet ja nur, heißt es nun: Der redet ja mit uns.«
Im Jahr 2018
wurde er zusammen mit Annalena Baerbock zum Bundesvorsitzenden der Grünen gewählt. Seit Dezember 2021 ist er Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz sowie Vizekanzler in der Regierung von Olaf Scholz (SPD).
der Beliebtheitswerte verursachen, wenn die Betroffenen verstehen, warum das passiert. Dabei schreckt er auch vor den Befindlichkeiten der eigenen Wählerschaft nicht zurück.
Deutsche Umweltverbände drohen mit rechtlichen Schritten, weil die im Eilverfahren genehmigten FlüssiggasTerminals den geräuschempfindlichen Schweinswal stören könnten? „Im Zweifelsfall bringt uns eure Klage in größere Abhängigkeit von Putin“, richtet Habeck aus. Eine Gruppe deutscher Prominenter spricht sich in einem offenen Brief dagegen aus, die ukrainische Bevölkerung mit Kriegsgerät bei ihrer Selbstverteidigung zu unterstützen, weil das alles noch schlimmer machen würde? „Vulgärpazifismus“, urteilt Habeck, dessen Partei mit aus der Friedensbewegung entstand.
Das mag manche Grüne verärgern. Wer zwei Schritte zurück tritt, kann aber ein Bild erkennen: Auf ihm steht ein Mann, der eben tut, was getan werden muss. Der unter vielen schwierigen Wegen den besten auszusuchen probiert und das auch so sagt.
Der Warner. In gewisser Weise hätte es für den Part als Gesicht und Stimme der deutschen Zeitenwende keinen Besseren treffen können: Habeck muss sich nicht verstellen. Schon Jahre vor dem Krieg warnte er vor der Abhängigkeit vom russischen Gas, stellte sich gegen die Pipeline Nord Stream 2. Es gibt ein Video aus dem Jahr 2016, in dem er fordert, die Frauen russischer Oligarchen nicht mehr in München shoppen zu lassen, solange im Kreml ein Regime der Unterdrückung herrsche.
Vor etwas mehr als einem Jahr reiste er in die Ukraine, ein Foto zeigt ihn mit Schutzweste und Helm auf einer Straße in Mariupol hocken, im Hintergrund das Meer, auf dem Boden verschossene Patronenhülsen. „Waffen zur Verteidigung, zur Selbstverteidigung, kann man meiner Ansicht nach – Defensivwaffen – der Ukraine schwer verwehren“, sagt er damals etwas verschachtelt. Der Satz krachte mitten in den anlaufenden Bundestagswahlkampf, alle Parteien inklusive der Grünen stellten sich gegen Habeck. Nun ist alles anders: Nach dem russischen Angriff könnte Habeck als einer der wenigen sagen, er habe es kommen sehen.
Doch das tut er nicht, zumindest nicht in Neumünster. Für Besserwisserei ist die Stimmung im Land zu aufgekratzt, der studierte Philosoph und spätere Schriftsteller zu sensibel. Für die Veranstaltung haben die Grünen bullige Security engagiert, vor ein paar Tagen wurde Habeck in NordrheinWestfalen als „Kriegstreiber“beschimpft und ausgepfiffen. „Ich habe meine Meinung nicht geändert“, sagt er am Freitag in Schleswig-Holstein. „Pazifismus heißt nicht, dass man bereit ist, dass andere ihr Leben opfern, weil man selber zu denkfaul ist.“
Die Schablone, durch die er in diesen Tagen gezeichnet wird, kann irgendwann auseinanderbrechen, das weiß Habeck. „Ich habe schon mal sehr gute Umfragewerte gehabt, die dann nichts genutzt haben“, sagte er in einem Interview. Er galt als Kandidat für die Kanzlerschaft, doch seine Partei nominierte lieber Annalena Baerbock, deren Wahlergebnis enttäuschte. Sie wurde Außenministerin, er Vizekanzler und der Schlüsselmann für das grüne Kernthema, die Energiewende.
»Pazifismus heißt nicht, dass andere ihr Leben opfern, weil man selber zu denkfaul ist.«
Wie die Karriere des Robert Habeck nun weitergeht, wird maßgeblich davon abhängen, wie er die Deutschen durch die Wirtschaftskrise führen kann, die sich vor ihnen auftürmt. Auch mit seiner Stimme beschloss die Regierung unlängst milliardenschwere Subventionen für Autofahrer, das Geld fließt über einige Umwege dann auch an die Rosneft. Das hat Habeck in seinen Videos genauso wenig erklärt wie seine Weigerung, die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse zu senken, wie das seine Partei einfordert. Weil Schattierungen in Tagen des Krieges schneller untergehen, kann Habeck seine eigenen hervorheben. Noch schafft er es, die innere Zerrissenheit der Deutschen in Worte zu fassen: Der Ukraine helfen wollen, aber gleichzeitig selbst heil durchkommen.
In Neumünster macht Robert Habeck noch ein paar Selfies, dann muss er weiter. Etwas abseits steht ein Mann, um seinen Hals baumelt eine Trillerpfeife an einem Band in den Farben der Deutschlandfahne. Zumindest an diesem Tag bleibt sie stumm.