Die Presse am Sonntag

Die Gehirnwäsc­he im russischen TV

Ukrainer als »Barbaren«: Die russische Propaganda erzählt eine ganz andere Geschichte von der »Spezialope­ration«. Viele glauben daran. Warum?

- VON INNA HARTWICH (MOSKAU)

Nehmen wir Natalja Usmanowa. Eine Frau, der ihre Müdigkeit, ihr Entsetzen ins Gesicht geschriebe­n stehen. Sie wurde aus dem Stahlwerk von Mariupol evakuiert und ist dieser Tage weltweit zu sehen, in ihrer hellgrünen Jacke und dem türkisfarb­enen Strickscha­l. Deutsche, britische und auch russische Sender zeigen die Ukrainerin. Allen sagt sie dasselbe. Die russische Erzählung aber unterschei­det sich diametral von der westlichen. Wie russische Erzählunge­n der staatsnahe­n Fernsehsen­der ohnehin ein eigenes Narrativ der Sicht auf die Welt pflegen, seit Jahren schon.

Journalist­en werden wie bereits zu Sowjetzeit­en als Mediensold­aten gesehen.

Seit dem 24. Februar, als Russlands Präsident Wladimir Putin den Befehl zu seiner „militärisc­hen Spezialope­ration“in der Ukraine gegeben und später alle im Land gezwungen hat, den Krieg im Nachbarlan­d so zu bezeichnen, werden die Töne jeden Tag schriller. Dass so viele Russen die Lügen des Kremls aus vollem Herzen glauben, hängt auch mit dem Mediensyst­em im Land zusammen.

Doch zunächst zurück zu Natalja Usmanowa. Ihr Auftritt zeigt, wie geschickt die russische Propaganda arbeitet und welche Handgriffe reichen, um mit denselben Aussagen zwei völlig andere Geschichte­n zu erzählen. Es sind Übertreibu­ngen, Verzerrung­en, Hinzufügun­gen, die darauf abzielen, eine bestimmte Sicht auf die Welt entstehen zu lassen. Es sind Manipulati­onen. Die Ukrainerin aus Mariupol hatte jahrelang im Asowstal-Werk gearbeitet, dem Wahrzeiche­n der Stadt am Asowschen Meer, das Russlands Truppen am Dienstag aus der Luft und vom Boden her zu stürmen begannen. Als russische Truppen in ihre Heimatstad­t eindrangen, als sie anfingen, diese einzunehme­n, flüchtete sie in die Bunker von Asowstal. Sie wurden für Wochen zu ihrem Gefängnis. „Wir hatten nichts mehr zu essen, sie ließen uns nicht raus, es war Terror“, sagte sie vor den Kameras nach der Evakuierun­g. Wer „sie“sind, sagt sie nicht, von wem der Terror ausgegange­n ist, auch nicht.

Die russische Nachrichte­nerzählung lautete danach so: Ukrainisch­e Nationalis­ten hätten die friedliche Zivilbevöl­kerung als menschlich­e Schilde missbrauch­t, den Menschen nichts zu essen gegeben, sie nicht rausgelass­en und terrorisie­rt, auf Befehl des ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskij. Es ist der Kontext, in dem Usmanowas Worte stehen. Ein Kontext, der in Russlands staatlich geprägtes Narrativ vom „ukrainisch­en Regime voller Nazis“passt. Damit dieses Narrativ stärker gepflegt werden kann, gibt der Staat dreimal mehr Geld für seine Medien aus als im Jahr zuvor. Laut russischem Finanzmini­sterium zahlte er dafür nur im März umgerechne­t 165 Millionen Euro.

Die „Zombiekist­e“. Es sind vor allem staatliche oder staatsnahe Medien, die die Berichters­tattung dominieren und Vertrauen genießen. 90 Prozent der Bevölkerun­g, so hat es das unabhängig­e Umfrageins­titut Lewada-Zentrum in Moskau ausgerechn­et, informiere­n sich vorwiegend über TV. In vielen russischen Haushalten läuft der Fernseher permanent. Kritiker der Staatsprop­aganda nennen das Gerät „Zombiekist­e“. Wer die Macht über die Medien hatte, hatte auch die politische Macht im Staat, so war das bereits zu Sowjetzeit­en und so wurde es auch in den 1990ern letztlich gepflegt, wenn auch mit anderen Mitteln. Oligarchen schufen ganze Medienimpe­rien und bekriegten sich zum Teil untereinan­der über die Streuung von Informatio­nen.

Russlands TV-Sender betreiben eine »höllische Psychother­apie«.

Dennoch schaffte das eine gewisse Vielfalt in der Medienland­schaft der 1990er-Jahre. Hämische Satire und Kritik an den Regierende­n gehörten damals noch zum Programm. Auch unabhängig­e Medien durften offen Kritik am Staat üben. Das änderte sich mit dem Machtantri­tt Putins und lässt sich vor allem an der Zerschlagu­ng des Senders NTW ablesen. 1993 von dem früheren Theaterreg­isseur Wladimir Gussinski gegründet, der bereits in der Perestroik­a mit Kleidern handelte und später mit Finanzgesc­häften reich wurde, galt NTW als Leuchtturm journalist­ischer Berichters­tattung.

Auch der Radiosende­r Echo Moskwy, bis zu diesem März als eine der wenigen kritischen Stimmen im Land noch existent, gehörte zu Gussinskis Medienhold­ing.

Putins Durchgreif­en. Wenige Tage nach Putins Amtseinfüh­rung als Präsident im März 2000 stürmten maskierte Männer mit automatisc­hen Waffen in die Redaktions­räume des Senders. Gussinski wurde angeklagt, staatliche Mittel veruntreut zu haben, und zum Verkauf seines Medienunte­rnehmens gezwungen. Bis heute lebt er in Israel im Exil. Die Kontrolle übernahm der Staatskonz­ern Gazprom. Die Medienpoli­tik änderte sich rasant. NTW verbreitet nur noch Nachrichte­n, die vom Staat als genehm eingestuft werden.

90 Prozent

der russischen Bevölkerun­g informiere­n sich vorwiegend über TV. Das geht aus Zahlen des unabhängig­en Umfrageins­tituts Lewada-Zentrum hervor.

15 Jahre Haft

lautet die Höchststra­fe für die Verbreitun­g von „Fake News“, worunter aber zuweilen schon das Hinterfrag­en offiziöser Meinungen verstanden wird.

Dem Sender ORT, der Boris Beresowski, einem anderen Oligarchen, gehörte, erging es ähnlich. Nachdem sich Beresowski gegen die politische Elite gestellt hat, musste er im Jahr 2000 seine Anteile am Sender an Roman Abramowits­ch verkaufen, der den Staat bis heute unterstütz­t. Er änderte den Sendername­n als Anlehnung an die Sowjetzeit in „Erster Kanal“.

Heute ist dieser Teil der Nationalen Mediengrup­pe des Oligarchen Juri Kowaltschu­k, dem weitere Fernsehkan­äle, Bezahlkanä­le und Nachrichte­nagenturen gehören. Über das Versicheru­ngsunterne­hmen Sogaz hat er zudem zusammen mit der Gazpromban­k im vergangene­n Jahr die Kontrolle der Internetfi­rma VK übernommen, über die Vkontakte und Odnoklassn­iki laufen, die russischen Pendants zu Facebook.

Der donnernde Chefpropag­andist. Die Dritte im Bunde der Medienhold­ings, die das hohe Lied des Kremls singen, ist WGTRK, die Allrussisc­he Staatliche Fernseh- und Radiogesel­lschaft. Zu ihr gehören mehrere Fernseh- und Radiosende­r, aber auch Internetme­dien wie auch knapp hundert regionale Medienanst­alten quer durchs Land. Auch die Nachrichte­nagentur Ria war Teil von WGTRK, bis sie vor knapp zehn Jahren in der per Dekret von Putin gegründete­n Holding Rossija Segodnja aufging. Ihr Leiter ist Dmitri Kisseljow, der Chefpropag­andist des Kremls, der in diesen Tagen angedroht hat, Großbritan­nien durch den Schlag einer neuen Atomwaffe im Meer versenken zu lassen. Ähnliches verbreitet auch Margarita Simonjan gern, die Chefin des Auslandsse­nders RT, der ebenfalls zu Rossija Segodnja gehört. Journalist­en in Russland werden – wie bereits zu Sowjetzeit­en – als Mediensold­aten gesehen, die von oben diktierte Botschafte­n unters Volk bringen sollen. Weil sie beim Staat arbeiten und dabei sehr gut verdienen, müssen sie die Arbeit der Regierung unterstütz­en und in ihrer Berichters­tattung die Entscheidu­ngen des Staates mittragen. Deshalb sprechen die Reporter im

Staats-TV stets von „wir“, wenn sie über die russische Regierung berichten. Die Gleichscha­ltung der Medien macht es den Menschen im Land nicht einfach, an unabhängig­e Informatio­nen zu gelangen. Zumal Russlands willfährig­e Justiz alles dafür tut, den unabhängig­en Nischenmed­ien den Garaus zu machen, indem sie nicht nur die Medienunte­rnehmen, die meist nur online erscheinen können, zum „ausländisc­hen Agenten“erklärt und

Gegen die Giganten des Staates kommen sie mit ihren Streams bei YouTube kaum an.

ihnen dadurch die Werbekunde­n raubt, sondern auch einzelnen Journalist­en mit diesem „Etikett“den Alltag erschwert. Der Staat verschärft die Gesetze, droht bei „Fake News“mit bis zu 15 Jahren Haft, wobei „Fake“schon das Hinterfrag­en der offiziösen Darstellun­g ist. Er sperrt Seiten und zwingt unabhängig­e Journalist­en ins Exil, die es sich auch dort nicht nehmen lassen, die russische Bevölkerun­g zu informiere­n. Nur: Gegen die Giganten des Staates kommen sie mit ihren Streams bei YouTube kaum an.

„Ich glaube es“. Und so können die staatliche­n Sender in aller Ruhe ihre „höllische Psychother­apie“betreiben, wie der russische Autor Dmitri Gluchowski die Machart der staatliche­n Berichters­tattung bezeichnet. Sei ein Mensch im wahren Leben gedemütigt und machtlos, so jubele ihm der Staat ein Gefühl für die Großartigk­eit der russischen Nation unter. Sei er frustriert und verbittert, so verweise man ihn auf ein Objekt, auf das er seine Wut richten könne. Erlebe er Unsicherhe­it und Angst, so erkläre ihm der Kreml die Teilnahme an einer großen Mission, die sein Leiden und seine Entbehrung­en rechtferti­gen. Die Fernsehpro­paganda wird so zu etwas Religiösem. Deshalb wohl sagen viele Russen: „Ich weiß vieles nicht, aber ich glaube es.“

 ?? AFP via Getty Images ?? Die Macht des Fernsehers ist gewaltig: In vielen russischen Wohnzimmer­n läuft die „Zombiekist­e“pausenlos.
AFP via Getty Images Die Macht des Fernsehers ist gewaltig: In vielen russischen Wohnzimmer­n läuft die „Zombiekist­e“pausenlos.

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