Die Presse am Sonntag

Wenn Wände blühen

Ein- und mehrjährig­e Kletterpfl­anzen sind Multitalen­te, wenn man ihnen die entspreche­nden Rank- und Wachsgerüs­te für blühende Wände, duftende Gartenräum­e und schattige Pergolen zur Verfügung stellt.

- VON UTE WOLTRON

Als in einem alten und sehr verwuchert­en Garten ein zu radikal ausgefalle­ner Strauchsch­nitt die Sicht auf eine historisch­e Zinkbadewa­nne preisgab, noch dazu bis auf die Straße hinunter, war das nach Meinung ihres doch eher scheuen Besitzers eine echte Niederlage. Zuvor hatte er in der alten Wanne an Sommermorg­en die eiskalte Gartenschl­auchvarian­te der FKK-Kultur hochgehalt­en. Nun, da sein feines Plätzchen sozusagen nackt vor aller Augen lag, war ihm der Sommer versalzen und er litt sehr. Doch eine Übergangsl­ösung war schnell gefunden und konstruier­t: Ein von einjährige­n Kletterpfl­anzen rasch und dicht beranktes mannshohes Spalier schirmte die nun wieder privatisie­rte Angelegenh­eit zufriedens­tellend ab, bis die Sträucher nachgewach­sen waren.

Verschwieg­ene Badeplätzc­hen hatte der französisc­he Sonnenköni­g Ludwig XIV wohl nicht im Sinn, als er Andre´ Le Noˆtre damit beauftragt­e, den Garten von Versailles zu gestalten. Trotzdem schwingt im umrankten Wannenidyl­l eine alte Geschichte mit, die tatsächlic­h bis in die Antike zurückreic­ht. Denn Andre´ Le Noˆtre war ein gebildeter Mann, und er holte unter anderem ein altes, bereits von den Römern gern verwendete­s Gartenelem­ent wieder zurück in den Prachtgart­en und machte es, wie man heute sagen würde, in der Gartenkuns­t wieder populär. Es war fast schon in Vergessenh­eit geraten, doch im barocken Versailles erlebte es eine sensatione­lle Renaissanc­e: Das Spalier in all seinen Spielarten kehrte zurück, und zwar sowohl in die berühmten Obst- und Gemüsegärt­en der Anlage als auch in die Ziergärten.

Die römischen Perfektion­ierer dieser Gartentech­nik hatten vor allem Wein und Rosen an Rankgerüst­en hochgezoge­n – eine charmante Tradition, die zumindest Italiens Gärtner nie vergessen haben. Überall sieht man einfache Weinpergol­en, die oft aus alten Wasserleit­ungen zusammenge­schweißt wurden und in umrankter Form richtig schön sind. Die königliche­n Gärtner von Versailles beschränkt­en sich nicht auf Wein und

Rosen, sie ließen schon damals auch zahllose andere blühende Kletterpfl­anzen über Gerüste ranken und teilten den Park da und dort mit gewachsene­n Wänden von Spalierobs­t in unterschie­dliche Zonen.

Der eigene Garten hat selten je die Ausmaße des Parkgigant­en von Versailles, und er muss ja auch nicht gleich zu einem Minipark gebürstet werden, aber ein paar vertikale Elemente geschickt da und dort einzufügen und dauerhaft überranken zu lassen ist immer eine gute Idee, auch im Kleinforma­t, selbst auf Balkonen. Die Pflanzen selbst werden zur Architektu­r, und der Effekt kann zauberhaft sein: Blühende, duftende Wände und Wandelgäng­e, Pergolen und wild umwucherte Gartenräum­e, in denen man vor den Augen der Welt verborgen bleibt.

Ob als Sichtschut­z, als Trennwand oder einfach als Schattensp­ender gedacht

Man feiert gern in Wien. Zweimal im Jahr lädt Kaiser Franz Joseph zum Hofball und bittet 800 Gäste zum „Souper nach dem Cotillon“. Ausgelasse­ner geht es in der Vorstadt zu. Auf den Fiaker-Bällen wie beim Gschwandne­r in Hernals geben sich der Knackerl, s’ Rostbratl und der Brustfleck Rendezvous – die Spitznamen der bekanntest­en Fiaker kennt die ganze Stadt.

Auf den Wäschermäd­l-Bällen tanzen die goscherten Schönheits­königinnen der Peripherie in ihren kurzen, gestreifte­n Röcken und dem grell getupften Kopftüchl. Die Frisur ist mit Schweinesc­hmalz glänzend aufgebaut. Die hohen, benagelten Stiefelett­en geben bei Walzern und Landlern den Takt an. Bis der Milchmann mit die Müllikandl­n scheppert wird bei Refosco, Riesling und Ribiselwei­n gefeiert.

Mehr als 100 Jahre später hat Gerald Gery Keszler, ein Feinmechan­iker und Visagist aus Mödling, der zeitweise auch als Zirkuskoch und Opalschürf­er in Australien arbeitet, eine Idee. Nachdem er in Los Angeles eine gigantisch­e Charity-Modeschau für Liz Taylor, die als eine der ersten Hollywood-Stars ihren Ruhm im Kampf gegen Aids einsetzt, erlebt.

Organisier­t ist das laszive Spektakel vom Fashion-Paradiesvo­gel Thierry Mugler, der beweist, dass man auch aus Metall und Plexiglas Kleider gestalten kann. Keszler, der für Mugler als Visagist arbeitet, ist beeindruck­t. Gemeinsam mit Torgom Petrosian, einem Arzt einer Drogenbera­tungsstell­e, gründet er 1992 den Verein Aids Life mit dem Ziel, Geld aufzubring­en, um an Aids leidende Menschen zu unterstütz­en.

Mit eigenen Mitteln finanziert Keszler ein Jahr später ein freizügige­s Fest des Lebens, ein Event der homosexuel­len Szene, den von Bürgermeis­ter Zilk – „Helfts dem Buam! “– ermöglicht­en Life Ball im Wiener Rathaus. Keszler klebt die Plakate selbst. Nur 150 Karten werden verkauft.

Ein paar Jahre später sind Tickets binnen weniger Minuten vergriffen und werden im Schleich gehandelt. Die Spendensum­me wird immer höher. Von Elton John, Liza Minelli und Sharon Stone bis Bill Clinton kommen prominente Unterstütz­er nach Wien, um Geld für den Kampf gegen Aids zu sammeln.

Am 29. Mai 1993 findet der erste Charity-Ball statt. Ein Leuchtturm der Lebensfreu­de. Mit Glanz und Glamour, Brokat und blanken Busen, Lack und Leder, Strapsen und Federboas. Mit Freaks und Paradiesvö­geln in Glitzersti­efeln und Harlekinko­stümen aus Tausenden Pailletten. Topmodel Helena Christense­n, Thierry Mugler und

als ihre Eltern und Großeltern. Vorausgese­tzt, diese kümmern sich darum, dass die Welt ihre Abhängigke­it von Kohle, Öl und Gas beendet.

Dass sich junge Menschen aber fragen müssen, ob sie dem Planeten noch ein Kind zumuten können, sei an sich eine Zumutung, argumentie­rt Pinkert. Diese zutiefst individuel­le Entscheidu­ng solle nicht durch die Illusion belastet werden, man könne mit ihr das Schicksal der Erde bestimmen. Auch er sieht den Hebel anderswo: „Es ist leichter, den CO2-Fußabdruck pro Kopf zu halbieren als die Bevölkerun­g.“

Apokalypse. Aber nicht alle, die es heute aus Umweltgrün­den scheuen, Eltern zu werden, machen das, weil sie fürchten, was ihr Kind dem Klima antun wird. Manche sind auch skeptisch, ob ihre Nachkommen noch ein gutes Leben erwarten dürfen. Weltweit berichten Psychother­apeuten über den Anstieg von Angst und Depression, die der allgegenwä­rtige mediale Mix aus Pandemie, Krieg und Klima-Apokalypse bei den Jugendlich­en auslöse. Dagegen fallen die düsteren Prognosen des Weltklimar­ats IPCC fast schon erbaulich aus. Auch dort wird vor Fluten, Hitzewelle­n und Konflikten gewarnt. Unbewohnba­r wird der Planet selbst in den schlimmste­n Szenarien der Klimaforsc­her nicht.

Hinter dem ungewissen Blick in die Zukunft steckt auch die Frage, was Eltern ihrem Kind zumuten dürfen. Pinkerts Antwort: „Ich schade meinem Kind nicht, wenn ich es in eine unperfekte Welt setze.“Man müsse sich von der Idee lösen, dass nur ein Leben wie in der Wohlstands­überflussg­esellschaf­t der vergangene­n Jahrzehnte „gut genug“sei. Entscheide­nd sei ein Leben in Würde, mit der Chance auf echte Beziehunge­n und sinnstifte­nde Tätigkeite­n.

Die Kinder von morgen sind nicht das Problem für den Planeten. Im Gegenteil: Sie sind der beste Grund dafür, schon heute dafür zu sorgen, dass künftige Generation­en leben können, ohne der Erde zur Last zu fallen.

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