Lenken im Lexus RZ: Herr Watanabe macht Kurven wieder lustig
In einer Zukunft mit autonomen Fahrzeugen wird das Verschwinden des Lenkrads der schmerzhafteste Verlust. Der Weg dorthin könnte sich aber wesentlich lustvoller gestalten als gedacht: Erste Fahrt im komplett neu entwickelten vollelektrischen Lexus RZ 450e
Designstudien, die ganz auf Lenkräder verzichten (und davon gibt es immer mehr), lösen Unbehagen aus. Zurecht, denn abgesehen vom empfundenen Kontrollverlust macht Lenken einfach Spaß. Die Lenkung hat als eine der ältesten Komponenten des Automobils über die Jahrzehnte daher wenig radikale Neuerungen erfahren. Joysticks konnten sich nie durchsetzen, weil ihr Hauptgrund – Platz sparen bei beengten Verhältnissen – im Auto wenig Relevanz hatte. Die Akzeptanz von Experimenten in dem Bereich ist also nie besonders hoch gewesen – die Skepsis einer Lenkung gegenüber, die ganz ohne mechanische Lenkachse auskommt, dagegen schon. Dabei bietet jenes „Steer-by-Wire“, das Lenken allein über elektrische Signale, völlig andere Möglichkeiten. Wir können berichten: Gut gemacht ist das eine Sensation.
Ein Fahrzeug von Grund auf neu zu konstruieren ist ein rares Ereignis in der Automobilindustrie. Lexus-Chefingenieur Takashi Watanabe hätte die Möglichkeit zu radikalen Entwürfen gehabt, das sei aber nicht der Punkt gewesen: „Der Prozess des Autobauens sollte sich durch Elektrifizierung nicht besonders ändern. Wir wollen diese Technologie verwenden, um zu verstärken, wofür unsere Marke steht.“
Schmetterling. In japanischer Demut ausgedrückt soll das bedeuten, dass sich Lexus in Zukunft stärker als „Driver’s Car“positionieren möchte, als Fahrerauto mit dem entsprechend sinnlich-lustvollen Erlebnis. Was dafür an technischen Innovationen sinnvoll umsetzbar ist, wird angewendet – und dergestalt eingesetzt, dass es sich so natürlich wie möglich anfühlen soll. Eine Natürlichkeit freilich, die in weiten Bereichen von elektronischen Systemen verwaltet und simuliert wird.
„Steer-by-Wire“ist beim neuen Lexus RZ eine Option und kommt mit „Butterfly“-Lenkrad ohne durchgehenden Ring. Damit lassen sich in einer knappen halben Umdrehung (150 Grad) nach links oder rechts alle Situationen bewerkstelligen, auch einhändig. Die Steuerung ist progressiv: Je langsamer man unterwegs ist, desto stärker wird der Lenkeinschlag umgesetzt. Kameras füttern den Assistenten mit Daten zur Fahrbahn voraus. Umgreifen ist obsolet (und würde auch nur ins Leere führen), die Eingewöhnungszeit erstaunlich kurz.
Blitzschlag. Es wird Menschen geben, die im Auto nie wieder etwas anderes in der Hand haben wollen. Anderen ist der Ansatz vielleicht zu fortschrittlich. Der Wegfall einer Lenkachse bedeutet, dass das Lenkrad nur noch digitale Signale aussendet, die an Elektromotoren übertragen werden, die wiederum das Lenken bewerkstelligen. Das Thema polarisiert. Meist werden Sicherheitsbedenken ins Treffen geführt: „Was ist, wenn der Blitz einschlägt?
Lexus-Technikchef über die „Driver’s Car“-Philosophie.
Was geschieht, wenn der Strom ausgeht?“Dazu zwei Antworten: Erstens wird die „By-Wire“-Technologie längst in viel kritischeren Bereichen, etwa in der Luftfahrt, angewendet, und es ist fair zu sagen, was gut genug für ein Flugzeug ist, wird auch im Fahrzeugbau funktionieren. Zweitens sind solche Systeme redundant ausgeführt, und wenn ein Konzern wie Toyota sich des Themas annimmt, ist davon auszugehen, dass die implementierten Sicherheitsnetze allen vorstellbaren Situationen gewachsen sind.
Eine Anekdote zur Redundanz: 2013 hat Infinity sein Modell Q50 mit Steer-by-Wire-System ausgestattet und als Sicherheitsebene eine mechanische Lenkachse eingebaut, die – im Notfall – mittels Kupplung zugeschaltet würde. Derlei ist nicht mehr zeitgemäß.
Für jene, die ein traditionelles Lenksystem bevorzugen, wird Lexus den RZ 450e mit einem konventionellen Volant anbieten. Wir empfehlen unbedingt, auch das neue System auszuprobieren. Rundes Lenkrad und Steer-by-Wire sind nicht kombinierbar.
Lenken nur über Datenleitung: Aber was passiert, wenn der Blitz einschlägt? » Der Prozess des Autobauens sollte sich durch Elektrifizierung nicht groß ändern. Wir wollen die Technologie verwenden, um zu verstärken, wofür unsere Marke steht. « TAKASHI WATANABE
Feedback-Maschine. „Mit der Elektrifizierung bekamen wir die Herausforderung, Design und Performance auf das nächste Level zu heben“, sagt Takashi Watanabe – und spricht unter anderem über das taktile Feedback im Lenkrad: Lexus möchte das Gefühl ins Auto zurückbringen. Es wird freilich generiert, in diesem Fall von einer Maschine in der Größe eines kleineren Schuhkartons. Man kann sich das wie eine große Variante der winzigen Elektromotoren in Smartphones vorstellen, die unsere Geräte vibrieren lassen, um Feedback zu verschiedenen Geschehnissen zu liefern. Im Auto soll dergleichen vermitteln, wie die Straße beschaffen ist und wie sich das Fahrzeug verhält. Damit geht es letztlich um Vertrauen.
Seit Jahren geht dieses Feedback durch die Art, wie Autos und deren Lenkung konstruiert werden, verloren und wird über rein mechanische Konstruktion auch nicht mehr zurückkommen. Jedoch kann dieses Feedback in Echtzeit so modelliert und simuliert werden, dass es sich natürlicher anfühlt, als man das früher analog überhaupt hinbekommen hätte. Schlechte Vibrationen wie mieser Straßenbelag oder Querfugen auf der Fahrbahn werden herausgefiltert.
Der Zugang mag Skepsis hervorrufen, dabei hat eine ähnliche Vorgangsweise ohne viel Aufhebens längst Einzug gehalten in unser Leben: mit der modernen Handyfotografie und Bildern, die als „Computational Photography“
Lexus möchte das Gefühl ins Auto zurückbringen. Es muss freilich generiert werden.
bezeichnet werden. Das sind durch Sensoren und Algorithmen optimierte Versionen dessen, was ursprünglich durch die Linse gekommen ist. Erstaunlicherweise werden diese retuschierten Bilder oft als „natürlicher“wahrgenommen, sehr zum Gefallen der meisten Betrachtenden, weniger zu jenem der Profis.
Slalom. Wir konnten den Lexus RZ als Vorserienfahrzeug auf abgesperrter Straße fahren, durch Slalomkurse jagen und auch ein wenig über Streckenbegrenzungen – im Renn-Englisch: Curbs – räubern. Die Rückmeldung fiel
dabei deutlicher, intensiver aus, als dies in einem vergleichbaren Fahrzeug mit konventioneller Lenkung zu erwarten wäre.
Im neuen Lexus RZ endet die elektronische Moderation an dieser Stelle nicht, sie reicht auch ins Sounddesign. Durch den leisen Antriebsstrang bei elektrischen Fahrzeugen sind Fahrbahnund Umgebungsgeräusche stärker wahrnehmbar und müssen moderiert werden. Aus Gewichts- und Designgründen kann das nicht allein mit Dämmungsmaßnahmen geschehen – so kommt auch hier die Elektronik mit einer neuen Version der aktiven Soundkontrolle zum Einsatz, die über Lautsprecher Gegenfrequenzen in den Innenraum leitet. Eine weitere Analogie zur Unterhaltungselektronik in
Form der bekannten „Noise-Cancelling“-Kopfhörer, die Umgebungslärm elektronisch ausblenden.
Die Besten dieser Gattung machen das so, dass keine vollständige akustische Abkopplung stattfindet, sondern Umgebungsgeräusche wahrnehmbar bleiben. Das ist im Verkehr unabdingbar, denn niemand soll in einem abgeschotteten Kokon sitzen.