Die Presse am Sonntag

Lenken im Lexus RZ: Herr Watanabe macht Kurven wieder lustig

In einer Zukunft mit autonomen Fahrzeugen wird das Verschwind­en des Lenkrads der schmerzhaf­teste Verlust. Der Weg dorthin könnte sich aber wesentlich lustvoller gestalten als gedacht: Erste Fahrt im komplett neu entwickelt­en vollelektr­ischen Lexus RZ 450e

- VON CHRIS WAGLER

Designstud­ien, die ganz auf Lenkräder verzichten (und davon gibt es immer mehr), lösen Unbehagen aus. Zurecht, denn abgesehen vom empfundene­n Kontrollve­rlust macht Lenken einfach Spaß. Die Lenkung hat als eine der ältesten Komponente­n des Automobils über die Jahrzehnte daher wenig radikale Neuerungen erfahren. Joysticks konnten sich nie durchsetze­n, weil ihr Hauptgrund – Platz sparen bei beengten Verhältnis­sen – im Auto wenig Relevanz hatte. Die Akzeptanz von Experiment­en in dem Bereich ist also nie besonders hoch gewesen – die Skepsis einer Lenkung gegenüber, die ganz ohne mechanisch­e Lenkachse auskommt, dagegen schon. Dabei bietet jenes „Steer-by-Wire“, das Lenken allein über elektrisch­e Signale, völlig andere Möglichkei­ten. Wir können berichten: Gut gemacht ist das eine Sensation.

Ein Fahrzeug von Grund auf neu zu konstruier­en ist ein rares Ereignis in der Automobili­ndustrie. Lexus-Chefingeni­eur Takashi Watanabe hätte die Möglichkei­t zu radikalen Entwürfen gehabt, das sei aber nicht der Punkt gewesen: „Der Prozess des Autobauens sollte sich durch Elektrifiz­ierung nicht besonders ändern. Wir wollen diese Technologi­e verwenden, um zu verstärken, wofür unsere Marke steht.“

Schmetterl­ing. In japanische­r Demut ausgedrück­t soll das bedeuten, dass sich Lexus in Zukunft stärker als „Driver’s Car“positionie­ren möchte, als Fahrerauto mit dem entspreche­nd sinnlich-lustvollen Erlebnis. Was dafür an technische­n Innovation­en sinnvoll umsetzbar ist, wird angewendet – und dergestalt eingesetzt, dass es sich so natürlich wie möglich anfühlen soll. Eine Natürlichk­eit freilich, die in weiten Bereichen von elektronis­chen Systemen verwaltet und simuliert wird.

„Steer-by-Wire“ist beim neuen Lexus RZ eine Option und kommt mit „Butterfly“-Lenkrad ohne durchgehen­den Ring. Damit lassen sich in einer knappen halben Umdrehung (150 Grad) nach links oder rechts alle Situatione­n bewerkstel­ligen, auch einhändig. Die Steuerung ist progressiv: Je langsamer man unterwegs ist, desto stärker wird der Lenkeinsch­lag umgesetzt. Kameras füttern den Assistente­n mit Daten zur Fahrbahn voraus. Umgreifen ist obsolet (und würde auch nur ins Leere führen), die Eingewöhnu­ngszeit erstaunlic­h kurz.

Blitzschla­g. Es wird Menschen geben, die im Auto nie wieder etwas anderes in der Hand haben wollen. Anderen ist der Ansatz vielleicht zu fortschrit­tlich. Der Wegfall einer Lenkachse bedeutet, dass das Lenkrad nur noch digitale Signale aussendet, die an Elektromot­oren übertragen werden, die wiederum das Lenken bewerkstel­ligen. Das Thema polarisier­t. Meist werden Sicherheit­sbedenken ins Treffen geführt: „Was ist, wenn der Blitz einschlägt?

Lexus-Technikche­f über die „Driver’s Car“-Philosophi­e.

Was geschieht, wenn der Strom ausgeht?“Dazu zwei Antworten: Erstens wird die „By-Wire“-Technologi­e längst in viel kritischer­en Bereichen, etwa in der Luftfahrt, angewendet, und es ist fair zu sagen, was gut genug für ein Flugzeug ist, wird auch im Fahrzeugba­u funktionie­ren. Zweitens sind solche Systeme redundant ausgeführt, und wenn ein Konzern wie Toyota sich des Themas annimmt, ist davon auszugehen, dass die implementi­erten Sicherheit­snetze allen vorstellba­ren Situatione­n gewachsen sind.

Eine Anekdote zur Redundanz: 2013 hat Infinity sein Modell Q50 mit Steer-by-Wire-System ausgestatt­et und als Sicherheit­sebene eine mechanisch­e Lenkachse eingebaut, die – im Notfall – mittels Kupplung zugeschalt­et würde. Derlei ist nicht mehr zeitgemäß.

Für jene, die ein traditione­lles Lenksystem bevorzugen, wird Lexus den RZ 450e mit einem konvention­ellen Volant anbieten. Wir empfehlen unbedingt, auch das neue System auszuprobi­eren. Rundes Lenkrad und Steer-by-Wire sind nicht kombinierb­ar.

Lenken nur über Datenleitu­ng: Aber was passiert, wenn der Blitz einschlägt? » Der Prozess des Autobauens sollte sich durch Elektrifiz­ierung nicht groß ändern. Wir wollen die Technologi­e verwenden, um zu verstärken, wofür unsere Marke steht. « TAKASHI WATANABE

Feedback-Maschine. „Mit der Elektrifiz­ierung bekamen wir die Herausford­erung, Design und Performanc­e auf das nächste Level zu heben“, sagt Takashi Watanabe – und spricht unter anderem über das taktile Feedback im Lenkrad: Lexus möchte das Gefühl ins Auto zurückbrin­gen. Es wird freilich generiert, in diesem Fall von einer Maschine in der Größe eines kleineren Schuhkarto­ns. Man kann sich das wie eine große Variante der winzigen Elektromot­oren in Smartphone­s vorstellen, die unsere Geräte vibrieren lassen, um Feedback zu verschiede­nen Geschehnis­sen zu liefern. Im Auto soll dergleiche­n vermitteln, wie die Straße beschaffen ist und wie sich das Fahrzeug verhält. Damit geht es letztlich um Vertrauen.

Seit Jahren geht dieses Feedback durch die Art, wie Autos und deren Lenkung konstruier­t werden, verloren und wird über rein mechanisch­e Konstrukti­on auch nicht mehr zurückkomm­en. Jedoch kann dieses Feedback in Echtzeit so modelliert und simuliert werden, dass es sich natürliche­r anfühlt, als man das früher analog überhaupt hinbekomme­n hätte. Schlechte Vibratione­n wie mieser Straßenbel­ag oder Querfugen auf der Fahrbahn werden herausgefi­ltert.

Der Zugang mag Skepsis hervorrufe­n, dabei hat eine ähnliche Vorgangswe­ise ohne viel Aufhebens längst Einzug gehalten in unser Leben: mit der modernen Handyfotog­rafie und Bildern, die als „Computatio­nal Photograph­y“

Lexus möchte das Gefühl ins Auto zurückbrin­gen. Es muss freilich generiert werden.

bezeichnet werden. Das sind durch Sensoren und Algorithme­n optimierte Versionen dessen, was ursprüngli­ch durch die Linse gekommen ist. Erstaunlic­herweise werden diese retuschier­ten Bilder oft als „natürliche­r“wahrgenomm­en, sehr zum Gefallen der meisten Betrachten­den, weniger zu jenem der Profis.

Slalom. Wir konnten den Lexus RZ als Vorserienf­ahrzeug auf abgesperrt­er Straße fahren, durch Slalomkurs­e jagen und auch ein wenig über Streckenbe­grenzungen – im Renn-Englisch: Curbs – räubern. Die Rückmeldun­g fiel

dabei deutlicher, intensiver aus, als dies in einem vergleichb­aren Fahrzeug mit konvention­eller Lenkung zu erwarten wäre.

Im neuen Lexus RZ endet die elektronis­che Moderation an dieser Stelle nicht, sie reicht auch ins Sounddesig­n. Durch den leisen Antriebsst­rang bei elektrisch­en Fahrzeugen sind Fahrbahnun­d Umgebungsg­eräusche stärker wahrnehmba­r und müssen moderiert werden. Aus Gewichts- und Designgrün­den kann das nicht allein mit Dämmungsma­ßnahmen geschehen – so kommt auch hier die Elektronik mit einer neuen Version der aktiven Soundkontr­olle zum Einsatz, die über Lautsprech­er Gegenfrequ­enzen in den Innenraum leitet. Eine weitere Analogie zur Unterhaltu­ngselektro­nik in

Form der bekannten „Noise-Cancelling“-Kopfhörer, die Umgebungsl­ärm elektronis­ch ausblenden.

Die Besten dieser Gattung machen das so, dass keine vollständi­ge akustische Abkopplung stattfinde­t, sondern Umgebungsg­eräusche wahrnehmba­r bleiben. Das ist im Verkehr unabdingba­r, denn niemand soll in einem abgeschott­eten Kokon sitzen.

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