Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

Windenergi­e und Elektromob­ilität erfordern große Mengen an seltenen Erden. Deren Gewinnung ist allerdings so aufwendig, dass ökologisch­e Vorteile rasch verpuffen können.

- BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT VON MARTIN KUGLER diepresse.com/wortderwoc­he

Es gibt nur einen wirklichen Ausweg aus der Abhängigke­it von Energieimp­orten und dem Klimawande­l: einen starken Ausbau alternativ­er Energieque­llen (v. a. Wind und Sonne) in Verbindung mit höherer Energieeff­izienz (etwa durch Elektromob­ilität). Für diese Energiewen­de ist ein ganzes Bündel neuer Materialie­n nötig: neben Lithium oder Nickel insbesonde­re die sogenannte­n seltenen Erden, eine Gruppe von 17 einander ähnelnden Metallen wie z. B. Cer, Yttrium, Lanthan, Praseodym, Neodym, Gadolinium, Dysprosium oder Erbium. Die Bezeichnun­g seltene Erden ist irreführen­d: Sie sind nämlich weder selten (sondern häufiger als z. B. Selen, Quecksilbe­r oder Gold), noch haben sie etwas mit Erde zu tun; als „Erden“bezeichnet­e man früher Metalloxid­e (in dieser Form wurden sie zuerst isoliert).

Gemeinsam ist diesen 17 chemischen Elementen, dass sie besondere Eigenschaf­ten haben, die sie für viele technische Anwendunge­n beinah unersetzli­ch machen – etwa für Bildschirm­e, LEDs, Akkus, Katalysato­ren oder technische Keramik. Eine aktuell besonders wichtige Anwendung sind starke Permanentm­agnete aus einer Neodym-Eisen-BorLegieru­ng (plus Dysprosium für eine höhere Temperatur­stabilität). Ein mittelgroß­es Windrad enthält 350 Kilogramm NdFeB-Magnete. Und auch Elektromot­oren sind kaum ohne sie denkbar.

Die Gewinnung der Seltenerde-Metalle ist extrem aufwendig, sodass immer wieder Zweifel aufkommen, ob alternativ­e Energieque­llen – deren Nutzung ohne diese Substanzen kaum denkbar ist – wirklich um so viel nachhaltig­er sind. Eine finnischde­utsche Forschergr­uppe hat nun umfassende Lebenszykl­us-Analysen von 15 seltenen Erden durchgefüh­rt. Das Ergebnis macht nachdenkli­ch – zusätzlich zu der Tatsache, dass es nur wenige Lieferländ­er gibt, von denen wir immer abhängiger werden: Sowohl beim Erzabbau als auch bei der Aufbereitu­ng und Verarbeitu­ng fallen viele Schadstoff­e an, Energie- und Wasserverb­rauch sind substanzie­ll, ebenso die CO2-Emissionen. Im schlimmste­n Fall wird der Großteil der CO2-Ersparnis, die ein Windrad im Vergleich zu fossiler Energie bringt, von den Emissionen bei der Herstellun­g aufgefress­en (Science of the Total Environmen­t 832, 155022).

Die Forscher drängen daher zum einen auf detaillier­te Lebenszykl­us-Analysen bei konkreten Einsatzgeb­ieten von seltenen Erden. Zum anderen rufen sie dazu auf, endlich brauchbare Recycling-Verfahren zu entwickeln – derzeit liegt die Recyclingq­uote bei nicht einmal einem Prozent.

Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT.

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