Tollkühner Rennfahrer mit Kampfgeist
Die Formel 1 vergisst ihre wahren Helden nie, heute vor 40 Jahren verstarb Gilles Villeneuve beim Qualifying in Zolder.
Aufgrund seines verwegenen und draufgängerischen Fahrstils hatte Gilles Villeneuve mehr Rennwagen zu Schrott gefahren als viele andere Formel-1-Piloten zuvor. Doch Ferrari-Gründer Enzo Ferrari, der eine beinahe väterliche Zuneigung zu dem Franko-Kanadier empfand, schien diese Tatsache nicht im Geringsten zu stören. „Ich schätze seinen Kampfgeist mehr als alle anderen Qualitäten, die ein Rennfahrer haben kann. Und neue Autos können wir immer bauen“, bemerkte der sagenumwobene Italiener süffisant.
Villeneuve kam am 18. Jänner 1950 im kanadischen Saint-Jean-sur-Richelieu zur Welt. Der Sohn eines Klavierstimmers nahm bereits als 16-Jähriger gelegentlich an illegalen Straßenrennen teil. Später bestritt er mit großem Erfolg Schneemobil-Rennen und brachte es sogar zum Weltmeister. Von 1974 bis 1977 fuhr Villeneuve in der Atlantic Championship, dem nordamerikanischen Gegenstück zur in Europa und Japan etablierten Formel 2. Dreimal errang er in dieser Rennserie den Titel, ehe er im Sommer 1977 in die Formel 1 wechselte.
Risikobereit – und schnell. Nach seinem Debüt in einem McLaren heuerte er bei Ferrari an. Von Anfang an hatte Enzo Ferrari einen Narren an dem nur 1,68 Meter großen Villeneuve gefressen. Für ihn war der Kanadier der Inbegriff eines Rennfahrers: furchtlos, risikobereit und schnell. Und Schnelligkeit legte der Draufgänger nicht nur auf der Piste, sondern auch im normalen Straßenverkehr an den Tag. „Von Monte Carlo bis zur Ferrari-Fabrik in Maranello braucht man mit einem Ferrari viereinhalb Stunden. Wenn man rast, dreieinhalb Stunden – Gilles schaffte es in zweieinhalb Stunden“, wusste Teamkollege Jody Scheckter staunend zu berichten.
Doch auf der Rennstrecke führte diese Risikobereitschaft zuweilen dazu, dass der notorische Bleifuß-Fetischist das Limit überschritt. Als er innerhalb kurzer Zeit zweimal in den Wagen von Ronnie Peterson gekracht war, zeigte selbst der ansonsten so abgebrühte Schwede Nerven: „Immer wenn ich Villeneuves Ferrari in meinem Rückspiegel sehe, kriege ich eine Gänsehaut.“
Der kleine Kanadier, der einen offenen, aufrichtigen und unkomplizierten Charakter besaß, fuhr immer auf der letzten Rille – gleich, ob es um Platz eins oder Platz zehn ging. „Selbst wenn ich nur Fünfter oder Sechster werden kann, indem ich alles riskiere und noch schneller fahre, ist mir das so wichtig wie das Gewinnen“, lautete Villeneuves Credo. Sein Fahrstil wurde von Beobachtern zwar als tollkühn, jedoch auch als ritterlich bezeichnet. Dem stimmte der finnische Formel-1-Weltmeister von 1982, Keke Rosberg, uneingeschränkt zu: „Auf der Strecke war er der härteste ,Bastard‘, den ich kannte. Aber er war immer absolut fair.“
8. Mai 1982, Crash vor 40 Jahren. Dass Villeneuve in 66 GP für Ferrari lediglich sechs Siege feiern konnte und einmal Vizeweltmeister wurde, lag nicht zuletzt daran, dass die Boliden des Traditionsrennstalls damals häufig technisch unterlegen waren. Lediglich 1979 erwies sich der Ferrari als absolut konkurrenzfähig
Er war Rennfahrer, von 1977 bis 1982 startete Villeneuve bei 67 F1-GP. 66 bestritt er für Ferrari.
Unfall
Beim Abschlusstraining des GP von Belgien kollidierte Villeneuve 1982 mit Jochen Mass schwer und starb wenige Stunden später.
Sohn
Jacques Villeneuve wurde 1997 F1-Weltmeister im Williams. – prompt belegte der Kanadier in der Fahrer-WM mit vier Punkten Rückstand auf seinen Teamkollegen Jodie Scheckter den zweiten Platz.
Weitere Ambitionen Villeneuves wurden vom Schicksal allerdings jäh ausgebremst: Kurz vor Ende des Abschlusstrainings zum Großen Preis von Belgien am 8. Mai 1982 in Zolder lief er auf Jochen Mass auf, der sich in seinem March mit geringer Geschwindigkeit auf der Auslaufrunde befand. Der Deutsche verließ die Ideallinie nach rechts, um Villeneuve innen vorbeizulassen. Dieser verließ die Ideallinie jedoch ebenfalls nach rechts, um Mass außen zu überholen – ein verhängnisvolles Missverständnis. Mit über 200 km/h touchierte der Ferrari mit seinem linken Vorderrad das rechte Hinterrad des
Marchs, stieg steil auf und zerbarst beim Aufprall in seine Einzelteile. Dabei wurde Villeneuve samt Sitz aus dem Cockpit geschleudert, mehr als 20 Meter durch die Luft katapultiert. Die Fliehkräfte rissen ihm Schuhe, Socken, Handschuhe, Helm und Feuerschutzhaube vom Körper.
Unbesiegbare Legende. Während Mass unversehrt blieb, flog man den Kanadier im Hubschrauber in das Universitätsklinikum Leuven. Hier diagnostizierten die Ärzte einen Genickbruch, an dem Villeneuve wenige Stunden später starb. Sein Leichnam wurde mit einem Militärflugzeug nach Kanada überführt, wo er ein Staatsbegräbnis erhielt.
Die Welt des Motorsports stand unter Schock. „Er war der beste und der schnellste Fahrer der Welt. Er war das Herz der Formel 1“, erklärte ein sichtlich bewegter Niki Lauda. In Maranello indes trauerte Enzo Ferrari um seinen geliebten Ziehsohn und zog sich mehrere Tage lang völlig zurück. Zur Beerdigung schickte er einen Kranz in den Ferrari-Farben Rot und Gelb mit einer Schleife, auf der geschrieben stand: „Von Enzo für Gilles“.
Was Villeneuve sein Leben lang verwehrt geblieben war, schaffte sein Sohn, Jacques, 15 Jahre später: den Gewinn der Formel-1-Weltmeisterschaft. Mit seinem Vater verglichen zu werden lehnte Villeneuve jr. jedoch kategorisch ab: „Er war ein Rennfahrer, dessen Klasse ich nie erreichen werde. Für mich ist er unbesiegbar, er ist eine Legende.“
»Ein Rennfahrer, dessen Klasse ich nie erreichen werde. Für mich ist er unbesiegbar.«