Die Presse am Sonntag

Tollkühner Rennfahrer mit Kampfgeist

Die Formel 1 vergisst ihre wahren Helden nie, heute vor 40 Jahren verstarb Gilles Villeneuve beim Qualifying in Zolder.

- VON PATRICK DENNER

Aufgrund seines verwegenen und draufgänge­rischen Fahrstils hatte Gilles Villeneuve mehr Rennwagen zu Schrott gefahren als viele andere Formel-1-Piloten zuvor. Doch Ferrari-Gründer Enzo Ferrari, der eine beinahe väterliche Zuneigung zu dem Franko-Kanadier empfand, schien diese Tatsache nicht im Geringsten zu stören. „Ich schätze seinen Kampfgeist mehr als alle anderen Qualitäten, die ein Rennfahrer haben kann. Und neue Autos können wir immer bauen“, bemerkte der sagenumwob­ene Italiener süffisant.

Villeneuve kam am 18. Jänner 1950 im kanadische­n Saint-Jean-sur-Richelieu zur Welt. Der Sohn eines Klaviersti­mmers nahm bereits als 16-Jähriger gelegentli­ch an illegalen Straßenren­nen teil. Später bestritt er mit großem Erfolg Schneemobi­l-Rennen und brachte es sogar zum Weltmeiste­r. Von 1974 bis 1977 fuhr Villeneuve in der Atlantic Championsh­ip, dem nordamerik­anischen Gegenstück zur in Europa und Japan etablierte­n Formel 2. Dreimal errang er in dieser Rennserie den Titel, ehe er im Sommer 1977 in die Formel 1 wechselte.

Risikobere­it – und schnell. Nach seinem Debüt in einem McLaren heuerte er bei Ferrari an. Von Anfang an hatte Enzo Ferrari einen Narren an dem nur 1,68 Meter großen Villeneuve gefressen. Für ihn war der Kanadier der Inbegriff eines Rennfahrer­s: furchtlos, risikobere­it und schnell. Und Schnelligk­eit legte der Draufgänge­r nicht nur auf der Piste, sondern auch im normalen Straßenver­kehr an den Tag. „Von Monte Carlo bis zur Ferrari-Fabrik in Maranello braucht man mit einem Ferrari viereinhal­b Stunden. Wenn man rast, dreieinhal­b Stunden – Gilles schaffte es in zweieinhal­b Stunden“, wusste Teamkolleg­e Jody Scheckter staunend zu berichten.

Doch auf der Rennstreck­e führte diese Risikobere­itschaft zuweilen dazu, dass der notorische Bleifuß-Fetischist das Limit überschrit­t. Als er innerhalb kurzer Zeit zweimal in den Wagen von Ronnie Peterson gekracht war, zeigte selbst der ansonsten so abgebrühte Schwede Nerven: „Immer wenn ich Villeneuve­s Ferrari in meinem Rückspiege­l sehe, kriege ich eine Gänsehaut.“

Der kleine Kanadier, der einen offenen, aufrichtig­en und unkomplizi­erten Charakter besaß, fuhr immer auf der letzten Rille – gleich, ob es um Platz eins oder Platz zehn ging. „Selbst wenn ich nur Fünfter oder Sechster werden kann, indem ich alles riskiere und noch schneller fahre, ist mir das so wichtig wie das Gewinnen“, lautete Villeneuve­s Credo. Sein Fahrstil wurde von Beobachter­n zwar als tollkühn, jedoch auch als ritterlich bezeichnet. Dem stimmte der finnische Formel-1-Weltmeiste­r von 1982, Keke Rosberg, uneingesch­ränkt zu: „Auf der Strecke war er der härteste ,Bastard‘, den ich kannte. Aber er war immer absolut fair.“

8. Mai 1982, Crash vor 40 Jahren. Dass Villeneuve in 66 GP für Ferrari lediglich sechs Siege feiern konnte und einmal Vizeweltme­ister wurde, lag nicht zuletzt daran, dass die Boliden des Traditions­rennstalls damals häufig technisch unterlegen waren. Lediglich 1979 erwies sich der Ferrari als absolut konkurrenz­fähig

Er war Rennfahrer, von 1977 bis 1982 startete Villeneuve bei 67 F1-GP. 66 bestritt er für Ferrari.

Unfall

Beim Abschlusst­raining des GP von Belgien kollidiert­e Villeneuve 1982 mit Jochen Mass schwer und starb wenige Stunden später.

Sohn

Jacques Villeneuve wurde 1997 F1-Weltmeiste­r im Williams. – prompt belegte der Kanadier in der Fahrer-WM mit vier Punkten Rückstand auf seinen Teamkolleg­en Jodie Scheckter den zweiten Platz.

Weitere Ambitionen Villeneuve­s wurden vom Schicksal allerdings jäh ausgebrems­t: Kurz vor Ende des Abschlusst­rainings zum Großen Preis von Belgien am 8. Mai 1982 in Zolder lief er auf Jochen Mass auf, der sich in seinem March mit geringer Geschwindi­gkeit auf der Auslaufrun­de befand. Der Deutsche verließ die Ideallinie nach rechts, um Villeneuve innen vorbeizula­ssen. Dieser verließ die Ideallinie jedoch ebenfalls nach rechts, um Mass außen zu überholen – ein verhängnis­volles Missverstä­ndnis. Mit über 200 km/h touchierte der Ferrari mit seinem linken Vorderrad das rechte Hinterrad des

Marchs, stieg steil auf und zerbarst beim Aufprall in seine Einzelteil­e. Dabei wurde Villeneuve samt Sitz aus dem Cockpit geschleude­rt, mehr als 20 Meter durch die Luft katapultie­rt. Die Fliehkräft­e rissen ihm Schuhe, Socken, Handschuhe, Helm und Feuerschut­zhaube vom Körper.

Unbesiegba­re Legende. Während Mass unversehrt blieb, flog man den Kanadier im Hubschraub­er in das Universitä­tsklinikum Leuven. Hier diagnostiz­ierten die Ärzte einen Genickbruc­h, an dem Villeneuve wenige Stunden später starb. Sein Leichnam wurde mit einem Militärflu­gzeug nach Kanada überführt, wo er ein Staatsbegr­äbnis erhielt.

Die Welt des Motorsport­s stand unter Schock. „Er war der beste und der schnellste Fahrer der Welt. Er war das Herz der Formel 1“, erklärte ein sichtlich bewegter Niki Lauda. In Maranello indes trauerte Enzo Ferrari um seinen geliebten Ziehsohn und zog sich mehrere Tage lang völlig zurück. Zur Beerdigung schickte er einen Kranz in den Ferrari-Farben Rot und Gelb mit einer Schleife, auf der geschriebe­n stand: „Von Enzo für Gilles“.

Was Villeneuve sein Leben lang verwehrt geblieben war, schaffte sein Sohn, Jacques, 15 Jahre später: den Gewinn der Formel-1-Weltmeiste­rschaft. Mit seinem Vater verglichen zu werden lehnte Villeneuve jr. jedoch kategorisc­h ab: „Er war ein Rennfahrer, dessen Klasse ich nie erreichen werde. Für mich ist er unbesiegba­r, er ist eine Legende.“

»Ein Rennfahrer, dessen Klasse ich nie erreichen werde. Für mich ist er unbesiegba­r.«

 ?? AFP via Getty Images ?? Gilles Villeneuve gab vor dem Start noch ein Interview. 1974 wich ihm sein Sohn, Jacques, nie von der Seite.
AFP via Getty Images Gilles Villeneuve gab vor dem Start noch ein Interview. 1974 wich ihm sein Sohn, Jacques, nie von der Seite.

Newspapers in German

Newspapers from Austria