Und wieder nicht schwanger
Eines von sechs Paaren in Österreich ist ungewollt kinderlos. Gesprochen wird darüber kaum, stattdessen mühen sich Betroffene mit lästigen Fragen und Kommentaren ab.
Steht dir“– ein Kommentar, den man als junge, kinderlose Frau schon gehört hat, vorausgesetzt man hatte schon einmal ein Baby auf dem Arm. Für manche Frauen ist ein solcher Kommentar durchaus lästig, für andere gar verletzend. Denn es gibt Frauen, die keine Kinder wollen, und es gibt Frauen, die nur schwer welche bekommen können. Und oft wird beides über einen Kamm geschoren. „Die jungen Leute sind egoistisch, die wollen sich nicht von ihrer Zeit zu zweit verabschieden.“Meist mit Augenzwinkern gemeint, trifft ein derartiger Satz Frauen und Paare bis ins Mark. Das weiß Gudrun Langer, Oberärztin des Kinderwunschzentrums an der Wien, aus unzähligen Sprechstunden. Vor ihr sitzen nicht selten Frauen, gekränkt von unhinterfragten Formulierungen ihres Gegenübers, und weinen.
Kinderwunschkliniken bedeuten für viele eben auch ein Versteckspiel – selbst vor den eigenen Familien, den engsten Freundinnen. Denn das Thema ist ein schambehaftetes, kaum ein Paar würde offen damit umgehen. „Es ist unglaublich traurig, aber in unserer Gesellschaft schämt man sich dafür, nicht schwanger werden zu können“, sagt Langer, „es ist dieses Stigma, keine vollwertige Frau oder kein vollwertiger Mann zu sein.“Aufklärung wird hier kaum betrieben. „Den wenigsten ist bewusst, dass es sehr wohl Paare gibt, die gern Kinder hätten, bei denen es aber nicht klappen will.“Es brauche Bewusstseinsarbeit.
Mangelnde Sensibilität. In Österreich ist jedes sechste Paar ungewollt kinderlos, ebenso mündet etwa jede sechste Schwangerschaft in einer Fehlgeburt. „Ich habe mir dazu früher auch kaum Gedanken gemacht, bis ich selbst vor dem Problem gestanden bin“, sagt Anna Wilken. Sie ist Influencerin und klärt in sozialen Netzwerken über ungewollte Kinderlosigkeit auf.
Damit begonnen hat sie, als ihr bewusst wurde, wie wenig ihr Umfeld über das Thema informiert war. Wilken leidet an Endometriose. Dass der Weg zu einer Schwangerschaft holprig werden könnte, war ihr bewusst. „Aber niemals hätte ich mir das so schwierig vorgestellt“, sagt die 26-Jährige im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Zehn künstliche Befruchtungen, darunter eine erfolgreiche, die letztendlich in einer Fehlgeburt mündete, haben Wilken und ihr Partner hinter sich. „Man geht nicht hin, bekommt eine Spritze und wird schwanger.“
Oft, so Langer, sei das Alter der Grund für eine ausbleibende Schwangerschaft. „Das wird einfach unterschätzt.“Viele Frauen um die vierzig seien überrascht, dass sie nicht sofort schwanger würden. Mit Sterilität habe das nichts zu tun. „Frauen haben leider ein Fenster, in dem sie Kinder kriegen können, und das schließt sich oft früher als erwartet.“Aber auch junge Paare sind betroffen. Zum Erstgespräch in der Klinik war erst kürzlich ein Paar bei ihr, nicht älter als 25. Die Gründe für das ausbleibende Wunschkind sind mannigfaltig. Unabhängig von der Ursache sei aber wichtig zu wissen, dass es nicht bei jedem Paar klappt.
Genau das würde aber oft ausgespart. Erinnert sich Wilken an ihre Jugend, dann auch an die Angst, die Pille zu vergessen – etwas, worüber sie heute lacht. „Man lernt ja wirklich alles, um eine Schwangerschaft zu verhindern, das ist auch gut. Aber über Sterilität oder Fehlgeburten verliert niemand ein Wort“, so Wilken. Mangelndes Bewusstsein führt in Fällen wie diesen oft zu mangelnder Sensibilität. Denn angesiedelt ist das Thema irgendwo zwischen Tabu und flapsigen Sprüchen. „Es fehlt den Leuten an Empathie, nicht unbedingt rein menschlich, aber an Empathie zum Thema.“
Wie viele Frauen hielt Wilken die Besuche im Kinderwunschzentrum anfangs geheim, nicht aber wegen der Scham, wie sie selbst sagt, sondern, um sich an die Umstände zu gewöhnen. „Ständig zu lügen, wo man ist, wieso man nicht erreichbar ist, all das war aber ein enormer emotionaler Aufwand“, erinnert sie sich. Auch seien die Fragen mühselig, mit denen man sich als junges Paar immer wieder konfrontiert sieht, eben jene, die auch Langer aus ihren Sprechstunden nur zu gut kennt. „,Wollt ihr keine Kinder kriegen?‘ ist da so ein Klassiker“, so Wilken, „für mich war es dann sehr erleichternd, es offen zu kommunizieren.“Auch wenn das wiederum ungefragte Tipps mit sich bringe. „Plötzlich weiß jeder einen Rat, Kurkuma trinken oder in den Urlaub fahren alias ,Entspann dich mal, dann klappt es bestimmt‘.“
Kinderwunschkliniken bedeuten für viele auch ein Versteckspiel vor anderen. » Es ist unglaublich traurig, aber in unserer Gesellschaft schämt man sich dafür, nicht schwanger werden zu können. Es ist dieses Stigma, keine vollwertige Frau oder kein vollwertiger Mann zu sein. « GUDRUN LANGER
Versteckspiel. Die Geheimniskrämerei wird oft auch der Arbeit wegen begangen, weiß Langer. Das Thema rund ums Kinderplanen in der Klinik sei aufgrund rechtlicher Belange sehr angstbesetzt. „Oft sitzen bei mir Frauen, die sagen: ,Wenn das mein Arbeitgeber mitbekommt, der kündigt mich sofort.‘“Tatsächlich spielt die Chefin oder der Vorgesetzte im Entscheidungsprozess, ob sich vom Verhütungsmittel nun verabschiedet wird oder nicht, keine Rolle. Sind mit der Entscheidung für ein Kind aber schon vor dem Moment der Befruchtung Abwesenheiten während der Arbeitszeit verknüpft, wird es durchaus kompliziert. „Hier lastet ein enormer Druck auf Frauen, und zwar auch von wirtschaftlicher Seite“, sagt Langer.
Umso wichtiger sind Gesprächsmöglichkeiten innerhalb der Klinik. „Viele leiden unter dem mangelnden Austausch, sie haben kaum Raum zu erzählen, wie es ihnen wirklich geht“, so Langer. Im Kinderwunschzentrum
Oberärztin des Kinderwunschzentrums an der Wien
Die Influencerin spricht offen über ihre zehn künstlichen Befruchtungen (darunter eine erfolgreiche, die in einer Fehlgeburt mündete). an der Wien bietet man nicht zuletzt deshalb auch psychologische Betreuung an, extra aufkommen muss man dafür nicht. Viele Frauen würden Schuldgefühle plagen, etwa, weil sie sich nicht für die Freundin freuen, die wieder schwanger ist. „Diese Frauen sind oft jahrelang bei uns in Behandlung, natürlich denkt man da auch einmal, warum sie und warum nicht ich? Aber diese Gedanken sind gesellschaftlich nicht akzeptiert, Frauen fühlen sich schuldig so zu fühlen“, erklärt Langer. „Aber auch hier ist es wichtig, es einfach einmal auszusprechen. ,Nein, ich habe mich nicht gefreut.‘ Mir können das die Frauen sagen, und ich verstehe das.“
Hilflosigkeit und Frustration führen zum Teil auch zu Schuldzuweisungen gegenüber dem medizinischen Personal oder gar in der Partnerschaft. Dabei sei das Ausbleiben einer Schwangerschaft freilich keine Schuldfrage. „Wenn etwa einmal jemand sagt: ,Wegen dir klappt es nicht‘, dann versuche ich, das schon aus dem Weg zu räumen, zu erklären, dass sich die Situation niemand ausgesucht hat“, so Langer. Es sei aber ein ständiges Ausloten von Grenzen, wie weit sie als betreuende Ärztin betreffend Konflikte ihrer Patientinnen gehen könne. Manch eine Beziehung zerbricht am mühseligen Weg zum Wunschkind.
»Man geht nicht hin, bekommt eine Spritze und wird schwanger.« ANNA WILKEN
Oft plagen Frauen Schuldund Schamgefühle. Auf ihnen lastet ein enormer Druck.
Unendlich viele Versuche, etwa bei einer In-vitro-Fertilisation, hat ein Paar nur in der Theorie. Trotz eines enormen Durchhaltevermögens aufseiten der Patientinnen rät das Zentrum ab einem gewissen Punkt von weiteren Eingriffen ab. „Das sind die schlimmsten Gespräche, einem Paar zu sagen: ,Ich tue Ihnen mit weiteren Versuchen nichts Gutes mehr‘“, erzählt Langer. Es sei eine Zäsur im Leben eines jeden, der oder die sich Kinder wünscht. „Aber das gibt es. Und es ist beschissen.“