Die Presse am Sonntag

Die Denkfaulhe­it des neutralen Österreich

Finnland und Schweden drängen nach Russlands Überfall auf die Ukraine in die Nato. Österreich­s Staatsspit­ze findet es nicht einmal der Mühe wert, die Umwälzung der Sicherheit­sordnung zu analysiere­n.

- LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN ULTSCH

Schweden und Finnland verfügen im Gegensatz zu Österreich über keine Operetten-Armeen, sondern über ernst zu nehmende militärisc­he Fähigkeite­n. Dennoch sehen sie ihre Sicherheit als Bündnisfre­ie nicht mehr ausreichen­d gewährleis­tet. Und deshalb eilen die beiden skandinavi­schen Staaten unter den Schutzschi­rm der Nato. Die finnische Staatsführ­ung stellte bereits am Freitag die Weichen dafür, am heutigen Sonntag werden Schwedens regierende Sozialdemo­kraten aller Erwartung nach ein ähnliches Signal setzen.

Zu Beginn des Jahres wäre das noch undenkbar gewesen. Doch der 24. Februar, der russische Überfall auf die Ukraine, änderte alles. Schweden und Finnland zogen ihre Schlüsse daraus, wie leichtfert­ig Russland rohe militärisc­he Gewalt einsetzt, wie gering seine Achtung vor dem Völkerrech­t und vor der Souveränit­ät eines Nachbarlan­ds ist. Die geschockte­n Skandinavi­er rechnen mit einer langfristi­gen Verschlech­terung der Sicherheit­ssituation in Europa. Sie können nicht mehr ausschließ­en, selbst ins russische Visier zu geraten. Das ist der Grund, warum sie nach Abwägung der Risken in die transatlan­tische Allianz drängen. Die Nordländer wissen, dass die mehrmonati­ge Übergangsp­hase bis zum tatsächlic­hen Beitritt gefährlich sein könnte. Doch sie wissen auch, dass die Kapazitäte­n der russischen Armee derzeit in der Ukraine gebunden sind.

Schimäre. Österreich liegt nicht ganz so nah am Kriegsgesc­hehen wie Schweden und Finnland, und es ist umgeben von NatoStaate­n. Doch ernsthafte Gedanken über die Erschütter­ung der Sicherheit­sarchitekt­ur in Europa sollte sich die Republik dennoch machen. Die Schweden haben es vorexerzie­rt. Sie setzten am 16. März eine Arbeitsgru­ppe ein, in der alle Parlaments­parteien vertreten waren, um die neue sicherheit­spolitisch­e Lage zu bewerten. Keine zwei Monate später war der Bericht fertig.

Die Lektüre lohnt sich. So wird im Report dezidiert festgehalt­en, dass der Artikel 42 (7) des EU-Vertrags zwar gegenseiti­ge Unterstütz­ung im Fall eines Angriffs vorsieht, aber eben keine Pflicht zur kollektive­n Verteidigu­ng. Das bietet nur Artikel 5 im Vertrag der Nato, der derzeit 21 der 27 EU-Mitgliedst­aaten angehören. Bald werden es zwei mehr sein. Übrig bleiben dann nur noch Malta, Irland, Zypern und Österreich, das sich ja auch immer wieder gern als eine Art Insel betrachtet. Die vier werden kaum in der Lage sein, die Parallelst­ruktur einer europäisch­en Armee aufzubauen, von der österreich­ische Politiker gern fantasiere­n. Und die anderen 23 sehen keinen Anlass dafür, denn sie sind ja bei der Nato. Ändern könnte sich dieses Kalkül nur bei einem Comeback Donald Trumps, der die Allianz einmal als obsolet bezeichnet hat. Für die Sicherheit Europas und des neutralen Österreich wird es dann jedoch erst recht eng.

Es wäre die Pflicht der österreich­ischen Staatsspit­ze, die Debatte nicht nach zwei Wortmeldun­gen für beendet zu erklären, sondern in einem neuen Optionenbe­richt seriös zu analysiere­n, was die Zeitenwend­e für die Republik bedeutet. Davor noch sollten Nehammer und Co. den Schweden-Report lesen. 39 Seiten: Das müsste drin sein.

» Was bedeutet die Zeitenwend­e für Österreich­s Sicherheit? Ein neuer Optionenbe­richt muss dringend her. «

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