Wie wahrscheinlich ist ein Atomschlag?
Die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen ist selbst in Russland hoch, sagt Experte Pavel Podvig. Doch ignorieren dürfe man die Bedrohung nicht.
Momentan ist Russland isoliert, aber nicht komplett. Staaten wie China und Indien halten sich zurück. Aber wenn Russland Nuklearwaffen einsetzt, wird es für diese Länder viel schwerer, neutral zu bleiben. Es wäre also an den USA, an dieser Moralfrage festzuhalten und auf einen barbarischen Akt nicht mit einem barbarischen Akt zu antworten. Und von einem militärischen Standpunkt aus würde ein nuklearer Gegenschlag den USA nichts bringen.
Oft heißt es, in Kaliningrad sind schon die Atomwaffen gebunkert.
In Russland befinden sich die taktischen Kernwaffen in Bunkern, die normalerweise fünf bis zehn Kilometer von ihren „Trägern“entfernt sind. Das heißt, vor dem Einsatz müssen sie herausgenommen, transportiert und angebracht werden. Das ist ein sehr auffälliger Prozess, der noch nirgends, auch nicht in Kaliningrad, passiert ist. Potenziell können sich Kernwaffen in Kaliningrad befinden, doch scheint das Lager dort nicht ganz in Betrieb zu sein.
Was wissen wir über die Befehlskette in Russland, was einen Atomschlag betrifft?
Die ehrliche Antwort ist: Wir wissen nicht viel. In Russland scheinen, im Gegensatz zu den USA, mehr Personen in die Entscheidung eingebunden zu sein, vermutlich der Verteidigungsminister und der Generalstabschef. Es ist fraglich, ob sie ein Veto-Recht haben, aber theoretisch sind sie eingebunden – wenn wir von dem Szenario ausgehen, dass Russland angegriffen wird. Im Fall eines „Ersteinsatzes“, ohne angegriffen zu werden, ist der Kreis der involvierten Personen sogar noch größer. Da müsste ein Plan erstellt, da müssten Generäle beauftragt werden. Einen roten Knopf gibt es nicht.
Pavel Podvig
ist als Senior Researcher in Genf am Institut der Vereinten Nationen für Abrüstungsforschung tätig. Er betreibt zudem ein eigenes Forschungsprojekt zu den russischen Atomwaffen und ist an der US-Universität Princeton tätig. Er studierte Physik in Moskau und forschte dort anschließend im Bereich Abrüstung und Rüstungskontrolle.