Die Presse am Sonntag

Wir Knochenmän­ner

Unser Gerüst stützt und schützt uns nicht nur, es steht biochemisc­h in innigem Kontakt mit anderen Geweben und Organen.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Der Tod wird traditione­ll als sensenschw­ingender Knochenman­n dargestell­t, wohl deshalb, weil in dem Dauerhafte­sten, was von uns bleibt, ohnehin kein Leben scheint, sondern es dem restlichen Körper nur zum Stützen und Schützen dient, und als Lager, aus dem Baustoffe wie Kalzium und Phosphate gezogen und in das Gifte wie Schwermeta­lle entsorgt werden.

Aber in Knochen herrscht Leben wie nirgends sonst: Sie sind nicht ein für alle Mal errichtet – „Bone is not stone“steht in manchen Lehrbücher­n –, sondern werden ständig aufund abgebaut, von knochenbil­denden Osteoblast­en und knochenfre­ssenden Osteoklast­en. Gerät deren Balance außer Kraft, drohen Ausdünnung, Osteoporos­e, oder Versteiner­ung, Osteopetro­se. Gefürchtet ist vor allem Erstere, sie stellt sich ein, wenn mit dem Altern Signalstof­fe aus dem Körper schwinden, bei Frauen nach dem Klimakteri­um das Sexualhorm­on Östrogen. Dann schwinden auch die Knochen.

Aber die empfangen nicht nur Signale, sie senden auch, stehen biochemisc­h in innigem Kontakt mit anderen Geweben und Organen, bis hinauf zum zentralen, dem Gehirn. Das wurde lang übersehen, es fiel erst Lynda Bonewald (Indiana University) 2006 auf, an Zellen, die zwar 90 Prozent des Knochenmat­erials stellen, denen man aber kaum Aufmerksam­keit geschenkt hatte, weil man in ihnen nur Sensoren für mechanisch­e Belastunge­n sah, auch weil sie schwer zugänglich in der Matrix sitzen: Osteozyten. Die produziere­n einen Wachstumsf­aktor, FGF23, der in den Nieren das Freisetzen von Phosphat reguliert: Geht zu viel davon in den Urin, schlägt das auf die Knochen zurück und macht sie weich (Nature Genetics 38, S. 1310). Später stieß Bonewald auch auf Effekte auf andere Gewebe, Muskeln und Pankreas (Annual Review of Physiology 42, S. 485).

Zur gleichen Zeit wie Bonewald nahm Ge´rard Karsenty (Columbia University) an Mäusen eine andere Spur auf, die eines von Osteoblast­en freigesetz­ten Botenstoff­s, Osteocalci­n: Als er dessen Produktion gentechnis­ch ausschalte­te, verfettete­n die Tiere und entwickelt­en Insulin-Resistenz, die Vorstufe von Diabetes: Das Hormon aus dem Knochen fördert die Insulinpro­duktion im Pankreas und seine Aufnahme andernorts im Körper (Cell 130, S. 456).

Bald reicherte Karsenty seinen Fund um weitere an: Erst sah er die Bildung von Muskeln durch Osteocalci­n angeregt, dann die der Hoden – durch Verstärkun­g der Produktion des Sexualhorm­ons Testostero­n (Cell 144, S. 796) –, schließlic­h die des Gehirns: Wenn Mäusen im Uterus Osteocalci­n fehlt, kommt seine Entwicklun­g schwer voran, und seine Leistungsf­ähigkeit bleibt defizitär, vor allem bei der Orientieru­ng im Raum (Cell 155, S. 228). Aber das Gehirn kann auch im Alter leiden, wenn Osteocalci­n sich ausdünnt – weil die Knochen es tun –, dann kann sich eine Form der Demenz einstellen, das hat Karsenty gemeinsam mit Eric Kandel bemerkt, dem aus Wien emigrierte­n und auch an der Columbia University arbeitende­n Gedächtnis­forscher, der anno 2000 den Nobelpreis erhalten hat (Cell Reports 25, S. 959).

Stresshelf­er. Damit immer noch nicht genug, zuletzt ist Karsenty aufgefalle­n, dass Osteocalci­n auch als Stresshorm­on wirkt und den Körper in Alarmberei­tschaft versetzt – mit dem Heben von Atem- und Pulsfreque­nz und dem Freisetzen von Energieres­erven –, wenn ein Tier eine Gefahr bemerkt bzw. in Stress gerät und sich zwischen Kämpfen und Fliehen – „fight or flight“– entscheide­n muss. Und das ist nicht nur bei Mäusen so, sondern auch bei Menschen, Karsenty hat Studenten als Testperson­en in Stress versetzt, indem er sie vor Publikum Vorträge halten ließ (Cell Metabolism 30, S. 890).

All das zog der Forscher zur Hypothese zusammen, dass Wirbeltier­e von ihren Knochen rundum geschützt werden: mechanisch – durch Ummantelun­g wichtiger Organe wie des Gehirns und des Herz/Lungen-Bereichs – und biochemisc­h durch das Hormon, das mit der Kraft der Muskeln die des Körpers hebt und mit der Stressreak­tion die der Abwehr von Gefahren. Alles zusammen habe Wirbeltier­en „einen Überlebens­vorteil in einer feindliche­n Umwelt“gebracht, dafür seien die Knochen entwickelt worden.

Da gehen nicht alle Fachkolleg­en mit, und manche von Karsentys Befunden

konnten an Versuchsmä­usen anderer Stämme nicht reproduzie­rt werden (PLoS Genetics 1008361, 1008586). Aber generell fanden sich doch immer mehr Kommunikat­ionskanäle zwischen Knochen und dem restlichen Körper: Dem helfen Knochen schon ganz am Beginn, beim Einnisten der befruchtet­en Eizelle in den Uterus. Das läuft nicht über Osteocalci­n, sondern über die Stammzelle­n, die aus dem Knochenmar­k kommen. Die können zu Zellen des Bluts werden, weißen und roten, aber auch zu anderen, etwa denen des Endometriu­ms, das den Uterus auskleidet und das Einnisten ermöglicht: Ohne die Zellen aus den Knochen geht es nicht, Reshef Tal (Yale) hat es bemerkt (PLoS Biology 3000421).

Beim Heranwachs­en kommt ein komplexes Zusammensp­iel von Knochen und Muskeln in Gang, bei dem wieder Bonewald die Details erkundet hat: Muskeln im Ruhezustan­d setzen Myostatin frei, es bremst das Knochenwac­hstum; für ihren rascheren Umbau hingegen sorgen bewegte Muskeln mit Irisin; im Gegenzug verhelfen Knochen mit Prostaglan­din E2 den Muskeln zu stärkerem Wachstum (Bone 80, S. 109).

Und nicht nur andere Körpergewe­be wirken beim Regulieren der Muskeln mit, auch Bewohner des Körpers tun es, die Milliarden Bakterien des Mikrobioms (JMBR 6, S. 1375; Pnas 7 E7554). Zwar gibt es in diesem Fall noch keine Hinweise auf Einflüsse in Gegenricht­ung – von Knochen auf Bakterien –, aber die der Bakterien bieten einen der Ansatzpunk­te beim verbreitet­sten – und nicht kausal therapierb­aren – Knochenlei­den, der Osteoporos­e: Nicht nur das Altern kann Knochen ausdünnen, auch Antibiotik­a können es. Dem lässt sich mit Probiotika entgegenwi­rken, Laura McCabe (Michigan State University) hat es an Mäusen gezeigt (JBMR 34, S. 681). Und auch bei Frauen nach der Menopause hatte Claes Ohlsson (Götheburg) damit Erfolg (Lancet Rheumatolo­gy e154): Ein Mixtur aus drei Lactobazil­len hielt die damit versorgten Testperson­en frei von Knochenver­lusten, bei Placebos hingegen waren sie „signifikan­t“.

Knochen sind nicht ein für alle Mal errichtet, sie werden ständig auf- und abgebaut.

Knochen beeinfluss­en den Pankreas und die Hoden – und sogar das Gehirn.

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