Wir Knochenmänner
Unser Gerüst stützt und schützt uns nicht nur, es steht biochemisch in innigem Kontakt mit anderen Geweben und Organen.
Der Tod wird traditionell als sensenschwingender Knochenmann dargestellt, wohl deshalb, weil in dem Dauerhaftesten, was von uns bleibt, ohnehin kein Leben scheint, sondern es dem restlichen Körper nur zum Stützen und Schützen dient, und als Lager, aus dem Baustoffe wie Kalzium und Phosphate gezogen und in das Gifte wie Schwermetalle entsorgt werden.
Aber in Knochen herrscht Leben wie nirgends sonst: Sie sind nicht ein für alle Mal errichtet – „Bone is not stone“steht in manchen Lehrbüchern –, sondern werden ständig aufund abgebaut, von knochenbildenden Osteoblasten und knochenfressenden Osteoklasten. Gerät deren Balance außer Kraft, drohen Ausdünnung, Osteoporose, oder Versteinerung, Osteopetrose. Gefürchtet ist vor allem Erstere, sie stellt sich ein, wenn mit dem Altern Signalstoffe aus dem Körper schwinden, bei Frauen nach dem Klimakterium das Sexualhormon Östrogen. Dann schwinden auch die Knochen.
Aber die empfangen nicht nur Signale, sie senden auch, stehen biochemisch in innigem Kontakt mit anderen Geweben und Organen, bis hinauf zum zentralen, dem Gehirn. Das wurde lang übersehen, es fiel erst Lynda Bonewald (Indiana University) 2006 auf, an Zellen, die zwar 90 Prozent des Knochenmaterials stellen, denen man aber kaum Aufmerksamkeit geschenkt hatte, weil man in ihnen nur Sensoren für mechanische Belastungen sah, auch weil sie schwer zugänglich in der Matrix sitzen: Osteozyten. Die produzieren einen Wachstumsfaktor, FGF23, der in den Nieren das Freisetzen von Phosphat reguliert: Geht zu viel davon in den Urin, schlägt das auf die Knochen zurück und macht sie weich (Nature Genetics 38, S. 1310). Später stieß Bonewald auch auf Effekte auf andere Gewebe, Muskeln und Pankreas (Annual Review of Physiology 42, S. 485).
Zur gleichen Zeit wie Bonewald nahm Ge´rard Karsenty (Columbia University) an Mäusen eine andere Spur auf, die eines von Osteoblasten freigesetzten Botenstoffs, Osteocalcin: Als er dessen Produktion gentechnisch ausschaltete, verfetteten die Tiere und entwickelten Insulin-Resistenz, die Vorstufe von Diabetes: Das Hormon aus dem Knochen fördert die Insulinproduktion im Pankreas und seine Aufnahme andernorts im Körper (Cell 130, S. 456).
Bald reicherte Karsenty seinen Fund um weitere an: Erst sah er die Bildung von Muskeln durch Osteocalcin angeregt, dann die der Hoden – durch Verstärkung der Produktion des Sexualhormons Testosteron (Cell 144, S. 796) –, schließlich die des Gehirns: Wenn Mäusen im Uterus Osteocalcin fehlt, kommt seine Entwicklung schwer voran, und seine Leistungsfähigkeit bleibt defizitär, vor allem bei der Orientierung im Raum (Cell 155, S. 228). Aber das Gehirn kann auch im Alter leiden, wenn Osteocalcin sich ausdünnt – weil die Knochen es tun –, dann kann sich eine Form der Demenz einstellen, das hat Karsenty gemeinsam mit Eric Kandel bemerkt, dem aus Wien emigrierten und auch an der Columbia University arbeitenden Gedächtnisforscher, der anno 2000 den Nobelpreis erhalten hat (Cell Reports 25, S. 959).
Stresshelfer. Damit immer noch nicht genug, zuletzt ist Karsenty aufgefallen, dass Osteocalcin auch als Stresshormon wirkt und den Körper in Alarmbereitschaft versetzt – mit dem Heben von Atem- und Pulsfrequenz und dem Freisetzen von Energiereserven –, wenn ein Tier eine Gefahr bemerkt bzw. in Stress gerät und sich zwischen Kämpfen und Fliehen – „fight or flight“– entscheiden muss. Und das ist nicht nur bei Mäusen so, sondern auch bei Menschen, Karsenty hat Studenten als Testpersonen in Stress versetzt, indem er sie vor Publikum Vorträge halten ließ (Cell Metabolism 30, S. 890).
All das zog der Forscher zur Hypothese zusammen, dass Wirbeltiere von ihren Knochen rundum geschützt werden: mechanisch – durch Ummantelung wichtiger Organe wie des Gehirns und des Herz/Lungen-Bereichs – und biochemisch durch das Hormon, das mit der Kraft der Muskeln die des Körpers hebt und mit der Stressreaktion die der Abwehr von Gefahren. Alles zusammen habe Wirbeltieren „einen Überlebensvorteil in einer feindlichen Umwelt“gebracht, dafür seien die Knochen entwickelt worden.
Da gehen nicht alle Fachkollegen mit, und manche von Karsentys Befunden
konnten an Versuchsmäusen anderer Stämme nicht reproduziert werden (PLoS Genetics 1008361, 1008586). Aber generell fanden sich doch immer mehr Kommunikationskanäle zwischen Knochen und dem restlichen Körper: Dem helfen Knochen schon ganz am Beginn, beim Einnisten der befruchteten Eizelle in den Uterus. Das läuft nicht über Osteocalcin, sondern über die Stammzellen, die aus dem Knochenmark kommen. Die können zu Zellen des Bluts werden, weißen und roten, aber auch zu anderen, etwa denen des Endometriums, das den Uterus auskleidet und das Einnisten ermöglicht: Ohne die Zellen aus den Knochen geht es nicht, Reshef Tal (Yale) hat es bemerkt (PLoS Biology 3000421).
Beim Heranwachsen kommt ein komplexes Zusammenspiel von Knochen und Muskeln in Gang, bei dem wieder Bonewald die Details erkundet hat: Muskeln im Ruhezustand setzen Myostatin frei, es bremst das Knochenwachstum; für ihren rascheren Umbau hingegen sorgen bewegte Muskeln mit Irisin; im Gegenzug verhelfen Knochen mit Prostaglandin E2 den Muskeln zu stärkerem Wachstum (Bone 80, S. 109).
Und nicht nur andere Körpergewebe wirken beim Regulieren der Muskeln mit, auch Bewohner des Körpers tun es, die Milliarden Bakterien des Mikrobioms (JMBR 6, S. 1375; Pnas 7 E7554). Zwar gibt es in diesem Fall noch keine Hinweise auf Einflüsse in Gegenrichtung – von Knochen auf Bakterien –, aber die der Bakterien bieten einen der Ansatzpunkte beim verbreitetsten – und nicht kausal therapierbaren – Knochenleiden, der Osteoporose: Nicht nur das Altern kann Knochen ausdünnen, auch Antibiotika können es. Dem lässt sich mit Probiotika entgegenwirken, Laura McCabe (Michigan State University) hat es an Mäusen gezeigt (JBMR 34, S. 681). Und auch bei Frauen nach der Menopause hatte Claes Ohlsson (Götheburg) damit Erfolg (Lancet Rheumatology e154): Ein Mixtur aus drei Lactobazillen hielt die damit versorgten Testpersonen frei von Knochenverlusten, bei Placebos hingegen waren sie „signifikant“.
Knochen sind nicht ein für alle Mal errichtet, sie werden ständig auf- und abgebaut.
Knochen beeinflussen den Pankreas und die Hoden – und sogar das Gehirn.