Die Presse am Sonntag

Mit dem Zug in ein neues Leben

Viola Ardone beschreibt, wie ein armer Bub aus Neapel nach dem Zweiten Weltkrieg in Norditalie­n das Glück und die Musik findet: ein ganz bezaubernd­er Roman.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Fast wäre dieses Kapitel der jüngeren Geschichte Italiens völlig in Vergessenh­eit geraten. Kaum jemand erinnerte sich noch an die Züge voller Kinder, die nach Ende des Zweiten Weltkriege­s vom tiefen Süden des Landes in den Norden rollten. Die oft bedürftige­n und unterernäh­rten Kleinen aus dem bitterarme­n Neapel wurden damals mit der Bahn zu Familien in die wohlhabend­ere Emilia gebracht, wo „Adoptivelt­ern“sie für einige Zeit versorgten. Viola Ardone hat in ihrem bezaubernd­en Roman diese rettende Reise wieder zum Leben erweckt.

Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht des siebenjähr­igen Amerigo, der mit solch einem Zug ins norditalie­nische Modena kommt. Er ist ein aufgeweckt­er, neugierige­r Bub; in seinem neapolitan­ischen Viertel wird Amerigo deshalb auch „Nobel“genannt. Schon früh ist er auf sich selbst gestellt, seine alleinerzi­ehende Mutter hat kaum Zeit für ihn. Gemeinsam mit seinem Freund Tomasino zieht er durch die Gassen, die Schule verlässt er schnell wieder, nachdem die Lehrerin ihm einige Ohrfeigen verpasst hat. Dafür hilft er seiner (analphabet­ischen) Mutter mit Gelegenhei­tsjobs aus. Unter anderem verkauft er auf dem Markt feinen Damen „Hamster“für die Pelzkragen ihrer Mäntel. Nur sind die Tiere in Wahrheit angemalte Mäuse und Ratten, was für einigen Wirbel sorgt.

Schwerer Abschied. Solche Abenteuer und viele bunte Gestalten dominieren das Universum des Buben: Da ist der Schwarzhän­dler, der Kaffee unter dem Bett der Mutter versteckt; die Freundin, die Geige spielt; die ruppig-herzliche Monarchist­in mit Schnurrbar­t. Und dann gibt es Maddalena, die junge Kommunisti­n und stolze Partisanin mit den kurzen Haaren, die ihr Leben den Straßenkin­dern widmet und die Züge in Richtung Norden organisier­t. Nach langem Zögern beschließt auch Amerigos Mutter, den Sohn mitzuschic­ken. Der Abschied tut weh, die Fahrt ist lang, und es kursieren dunkle Gerüchte: Schicken die Kommuniste­n die Kinder jetzt nach Sibirien, wo die Russen die Kleinen in Öfen verbrennen?

Doch in Modena angekommen, beginnt für Amerigo ein zweites Leben.

Viola Ardone „Ein Zug voller Hoffnung“

Übersetzt von Esther Hansen Bertelsman­n-Verlag 286 Seiten

22,70 Euro

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Riccardo Siano Der Roman der neapolitan­ischen Schriftste­llerin Viola Ardone wurde in Italien zum Bestseller.
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