Mit dem Zug in ein neues Leben
Viola Ardone beschreibt, wie ein armer Bub aus Neapel nach dem Zweiten Weltkrieg in Norditalien das Glück und die Musik findet: ein ganz bezaubernder Roman.
Fast wäre dieses Kapitel der jüngeren Geschichte Italiens völlig in Vergessenheit geraten. Kaum jemand erinnerte sich noch an die Züge voller Kinder, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges vom tiefen Süden des Landes in den Norden rollten. Die oft bedürftigen und unterernährten Kleinen aus dem bitterarmen Neapel wurden damals mit der Bahn zu Familien in die wohlhabendere Emilia gebracht, wo „Adoptiveltern“sie für einige Zeit versorgten. Viola Ardone hat in ihrem bezaubernden Roman diese rettende Reise wieder zum Leben erweckt.
Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht des siebenjährigen Amerigo, der mit solch einem Zug ins norditalienische Modena kommt. Er ist ein aufgeweckter, neugieriger Bub; in seinem neapolitanischen Viertel wird Amerigo deshalb auch „Nobel“genannt. Schon früh ist er auf sich selbst gestellt, seine alleinerziehende Mutter hat kaum Zeit für ihn. Gemeinsam mit seinem Freund Tomasino zieht er durch die Gassen, die Schule verlässt er schnell wieder, nachdem die Lehrerin ihm einige Ohrfeigen verpasst hat. Dafür hilft er seiner (analphabetischen) Mutter mit Gelegenheitsjobs aus. Unter anderem verkauft er auf dem Markt feinen Damen „Hamster“für die Pelzkragen ihrer Mäntel. Nur sind die Tiere in Wahrheit angemalte Mäuse und Ratten, was für einigen Wirbel sorgt.
Schwerer Abschied. Solche Abenteuer und viele bunte Gestalten dominieren das Universum des Buben: Da ist der Schwarzhändler, der Kaffee unter dem Bett der Mutter versteckt; die Freundin, die Geige spielt; die ruppig-herzliche Monarchistin mit Schnurrbart. Und dann gibt es Maddalena, die junge Kommunistin und stolze Partisanin mit den kurzen Haaren, die ihr Leben den Straßenkindern widmet und die Züge in Richtung Norden organisiert. Nach langem Zögern beschließt auch Amerigos Mutter, den Sohn mitzuschicken. Der Abschied tut weh, die Fahrt ist lang, und es kursieren dunkle Gerüchte: Schicken die Kommunisten die Kinder jetzt nach Sibirien, wo die Russen die Kleinen in Öfen verbrennen?
Doch in Modena angekommen, beginnt für Amerigo ein zweites Leben.
Viola Ardone „Ein Zug voller Hoffnung“
Übersetzt von Esther Hansen Bertelsmann-Verlag 286 Seiten
22,70 Euro