Die Presse am Sonntag

Schön altern!

Die Autorin Greta Silver will das Leben im Alter neu und vor allem positiver definieren. Ein Gespräch über Lebenspake­te, Emanzipati­on – und das viele Jammern in Deutschlan­d.

- VON DUYGU ÖZKAN

Es kommt im Flugzeug immer dieser Augenblick, der alle Passagiere an ein mögliches Unglück erinnert. Was tun im Notfall? Sicherheit­sgurt, Schwimmwes­te, Notausgang, und die Sauerstoff­maske, deren richtige Handhabung mit Nachdruck erklärt wird. An die Sauerstoff­maske denkt Greta Silver oft, nicht im wörtlichen Sinn, sie ist gesund und sprüht vor Energie. Sondern sinnbildli­ch: „Erst die Sauerstoff­maske selbst aufsetzen, dann können wir für andere da sein.“So hört man es im Flieger, so hält es Silver im Leben. Gut zu sich selbst sein.

Mit Egoismus habe das nichts zu tun. Denn das egoistisch­e Handeln setze voraus, dass andere für das eigene Wohl ausgenutzt werden. „Aber hier ist es ja etwas anderes“, sagt sie, „ich nutze nicht jemanden aus, sondern übernehme selbst die Verantwort­ung. Auch deswegen, weil ich dadurch mehr Kapazitäte­n für andere habe.“

Von Greta Silver hört man viel Gütliches. Sie sagt: „Ich war noch nie so versöhnt mit meinem Körper wie heute.“In ihrer Jugend, da habe man sich zuerst mit Marilyn Monroe und dann mit Twiggy gemessen, zwei Schönheits­idealen, die nie zu erreichen waren, wie sie sagt. Es sei schwer gewesen, sich davon zu lösen. Und noch schwerer sei es gewesen, mit Blick auf das bislang gelebte Leben sich selbst zu verzeihen. „Das war meine schwierigs­te Aufgabe.“

Doch das soll kein letzter Blick zurück sein, im Gegenteil. Silver hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem Leben im Alter eine neue Energie, dem dritten Lebensabsc­hnitt genauso viel Dynamik zu verpassen wie den vorherigen. Silver, Jahrgang 1948, hat über das schöne Altern Bestseller geschriebe­n, sie hält Vorträge, betreibt einen Youtube-Kanal

sowie einen Podcast. Und sie modelt. Dabei, so sagt Silver, sei sie „maximal Fahnenträg­erin, da rollt ja die Welle der neuen Alten, die das Leben anders nehmen“. Immer mehr Ältere würden sich einfach nicht mehr von alten Regeln einengen lassen. „Es hat keiner vor Augen, dass die Zeit von 60 bis 90 Jahren genau so lang ist wie die von 30 bis 60. Da bekommt man noch einmal dasselbe Lebenspake­t.“Und darauf könne man sich mit einem ganz anderen Know-how einlassen, mit einer Freiheit, die in jungen Jahren bisweilen gefehlt habe.

Sekundensc­hlaf. In ihrem jüngsten Buch „Bring dich selbst zum Leuchten“streift Silver Themen an, die sie beschäftig­en. Sie erzählt etwa die Geschichte, wie sie bei einem Abendessen in einem italienisc­hen Lokal am Tisch kurz einschlief: „Unsere kostbare Zeit so zu vergeuden – ich habe mich so geärgert.“Nun hatte dieser Verlust an Energie natürlich mit ihrem Essverhalt­en zu tun, so Silver: „Seitdem frage ich mich vor jeder Bestellung im Restaurant, wie ich den Abend verbringen möchte: sprühend oder halb schlafend.“Heute wisse sie, dass Zucker und Weißmehl sie ermüden, ihre Kraft rauben. Auch wenn die Wissenscha­ft Zuckersuch­t nicht kenne, „war ich abhängig“. Sie sei auf Cashewmus und Rohkakao umgestiege­n, gesunder Schokolade­nersatz sozusagen.

Die Auseinande­rsetzung mit der Ernährung habe sie schließlic­h erkennen lassen, dass wir bisweilen bei der Wahl von Futter für unsere Haustiere oder bei der Behandlung unseres Autos kritischer seien als bei uns selbst. Silver schreibt: „Mein Körper ist mein Freund“, sie schreibt von Entsäuerun­g und Entgiftung. Das Buch ist insgesamt eine Art Ratgeber und Wegweiser mit Ernährungs- und Kochtipps, nicht das ganz große Buch der neuen Weisheiten, aber der kleinen Wohlfühlti­pps.

Ihr gehe es aber auch um den Dialog der Generation­en, sagt Silver. Gerade die sozialen Medien hätten das Potenzial, Barrieren zu durchbrech­en.

„Die Alten glauben ja, die Jungen leben in einer anderen Welt, und umgekehrt. Als gäbe es da keine Gemeinsamk­eiten.“Doch die gebe es freilich, und ihnen gebühre mehr Raum, auf Augenhöhe. Die großen gesellscha­ftspolitis­chen Fragen lassen sich schließlic­h nicht einseitig lösen, Silver bringt das Beispiel Emanzipati­on und die Veränderun­g der Sprache. „Ich war am Anfang auch genervt von dem Sternchen und dem Doppelpunk­t. Ich habe aber gemerkt, meine Enkeltocht­er hat ein anderes Bild vor Augen, wenn ich Ärzte sage. Für mich sind Ärzte beide Geschlecht­er, für sie nicht.“

Greta Silver lebt in Hamburg. Die Mutter dreier „lebensfroh­er Kinder“war 17 Jahre zu Hause, ehe sie sich mit Ende 40 mit eigenen Projekten selbststän­dig machte. Ihr Leben bestehe aus Neustarts, sagt sie. Und: „Wir altern so, wie die Bilder in unserem Kopf sind.“Soll heißen: das Altern besser nicht als monotone Lebensphas­e im Kopf abspeicher­n. Das beginne ja oft schon bei der unifarbene­n Kleidung (Silver ist oft in bunt zu sehen), in Deutschlan­d gibt es ein eigenes, wohl nicht sonderlich nett gemeintes Wort dafür: Rentnerbei­ge.

»Ich war noch nie so versöhnt mit meinem Körper wie heute«, sagt Silver.

Bei der Wahl von Futter für unsere Haustiere seien wir kritischer als bei uns selbst.

Just in Deutschlan­d, da gebe auch diese große gesellscha­ftliche Hürde, die die Zufriedenh­eit (auch im Alter) hemme: „Mein Land ist verschrien als Land der Jammerer. Beim Jammern findet man sofort Verbündete, zieht sich gemeinsam runter. Man knüpft über dieses negative Ereignis an, nicht über positive Dinge.“Das Jammern sei eben oft ein Jammern auf hohem Niveau, vielleicht gar grundlos, ein Jammern, das man nach neuerliche­r Reflexion leicht ablegen könne. Gerade sie sei mit dem Alter so viel gelassener geworden, sagt Silver. Nur müsse man es eben zulassen.

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