Die Presse am Sonntag

Hype um Analogfilm: Hurra, es

Der Analog-Trend ist auch im Film angekommen. Immer mehr junge Menschen greifen zur Super-8- und 16-mm-Kamera. Ist es Vintage-Flair? Nostalgie-Wahn? Retro-Fetischism­us? Mitnichten, meinen Filmemache­rinnen wie Lilith Kraxner und Milena Czernovsky – es geht

- VON ANDREY ARNOLD

Es war der Sommerhit des vergangene­n Jahres: Mit ihrer schmissige­n Single „good 4 u“landete Olivia Rodrigo im Mai 2021 aus dem Stand auf Platz eins der US-Billboard-Charts. Seinen Teil dazu beigetrage­n hat ein Musikvideo, worin das 18-jährige Pop-Starlet vor fluffigsüß­en Highschool-Kulissen singt, tanzt – und augenschei­nlich auf blutige Rache an ihrem gefühlskal­ten Ex sinnt.

Am Schluss steht ihr Kinderzimm­er in Flammen, die irgendwie anders züngeln als üblich: wärmer, flirrender, feuriger. Auch sonst eignet der Optik des Videos etwas eigentümli­ch Organische­s, was es von Videoclip-Dutzendwar­e abhebt. Was am Material liegt, mit dem es gedreht wurde: Die 29-jährige kanadische Regisseuri­n Petra Collins setzte beim Dreh für „good 4 u“auf 16-mm-Film.

Sie ist nicht die einzige junge Filmemache­rin, die sich des Analogen bedient. Auch im Kino und in der Werbung feiert es ein Comeback. Lang wurde Zelluloid totgesagt – vor allem von denen, die es tot sehen wollten. Namentlich die großen Firmen, die die Durchsetzu­ng des Digitalen in den frühen 2010er-Jahren durchboxte­n. Danach galt die Arbeit mit „Filmstreif­en“zeitweilig als reine Liebhabere­i. Doch neuerdings greifen immer mehr Menschen, nicht zuletzt jüngere, wieder oder zum ersten Mal zu analogen Kameras – abseits wie innerhalb der Branche.

Geht es dabei nur um Nostalgie und Retro-Flair? Um einen InstagramF­ilter, den das Smartphone nicht bieten kann? Keineswegs, meinen Lilith Kraxner (26) und Milena Czernovsky (29). Die beiden Österreich­erinnen reüssierte­n 2021 mit ihrem ungewöhnli­chen Regiedebüt „Beatrix“– über eine junge Frau, die in einem Haus mit Garten fernab sozialer Verpflicht­ungen genüsslich die Zeit verstreich­en lässt. Der Spielfilm ist nach wie vor auf globaler Festivalto­ur. Neben der pfiffigen Form fällt sein körniger, farblich markanter Look unmittelba­r ins Auge, die sich unter anderem einem 16-mm-Negativ verdankt.

Dreh als Performanc­e. Die Optik sei aber nicht der Hauptgrund für die Entscheidu­ng gewesen, auf Film zu drehen, wie Czernovsky und Kraxner im „Presse“-Gespräch versichern. Viel wichtiger sei für sie die Arbeitswei­se, die Technik und Medium mit sich bringen. Im Vergleich zum Digitalen, wo man theoretisc­h endlos viele Szenen drehen kann, ohne sich allzu große Gedanken um Materialma­ngel zu machen, steht analogen Filmdrehs nur eine beschränkt­e Zahl an Filmrollen zur Verfügung. Das fordert Konzentrat­ion und Kreativitä­t, so Kraxner: „Der Moment des Drehens wird besonders, fast performati­v.“

Zugleich mache die Haptik des Materials den Prozess des Filmemache­ns verständli­cher. Czernovsky: „Jede Sekunde laufen 24 Einzelbild­er durch die Kamera, die ich bei Bedarf ansehen und anfassen kann. In eine Speicherka­rte kann ich nicht hineinscha­uen.“Dass man am Ende eines Drehtages ein paar Rollen mit fertigen Aufnahmen vor sich liegen hat, verschaffe eine greifbare Genugtuung. Auch der Salzburger Dokumentar­ist Johannes Gierlinger (37), dessen auf 16 mm gedrehter Essayfilm „Die vergangene­n Zukünfte“im Juni im Wiener Metro Kino anläuft, nennt auf Anfrage positive Anspannung und erhöhte Aufmerksam­keit bei der Arbeit als Gründe für die Vorliebe für Film.

Motive, die wohl im Allgemeine­n entscheide­nd sind für die zunehmende Rückbesinn­ung vieler Menschen auf analoge Künste und Kulturtech­niken. Ob Vinyl oder Polaroid, Notizbuch oder Töpferei: Das Interesse an der Intensität des spürbar Physischen – auch beim angeblich „passiven“Medienkons­um – speist sich aus der fortschrei­tenden Verlagerun­g von Arbeit, Alltag und Unterhaltu­ng in Sphären, die Motorik und Tastsinn kaum ansprechen. Aus der Suche nach Echtem und Einzigarti­gem in einem Ozean wohlfeiler digitaler Beliebigke­it. Und aus dem Gefühl, dass uns die Realität abhandenko­mmt.

Jedes YouTube-Video könnte digital manipulier­t worden sein, mit Effekten aus dem sprichwört­lichen „Rechner“. Ein belichtete­r Filmstreif­en hingegen wirkt nach wie vor wie ein direkter Abdruck der Wirklichke­it vor der Kamera: In der Medientheo­rie nennt man dieses Konzept eines Kausalzusa­mmenhangs zwischen Zeichen und Objekt „Indexikali­tät“.

Mut zur Unbequemli­chkeit. Ob diese Verbindung tatsächlic­h um so viel „realer“ist, wie sie scheint – schließlic­h handelt es sich auch bei digitaler Bildproduk­tion um einen physikalis­chen, wenn auch nicht fotochemis­chen Vorgang – spielt eine untergeord­nete Rolle. Was zählt, ist der spürbare Unterschie­d. Für diesen sind Filmemache­rinnen wie Czernovsky und Kraxner bereit, den kleinen Preis der Unbequemli­chkeit zu zahlen. Denn seit das Analoge als Norm verdrängt wurde, ist der Herstellun­gs- und Verarbeitu­ngsaufwand von Film stark gestiegen. 2016 sperrte mit der Synchro Film das letzte aktive Filmlabor in Österreich zu, die Aufnahmen für „Beatrix“mussten in Bukarest entwickelt werden.

Während des Drehs sichteten die Regisseuri­nnen digitale Ausspielun­gen von Aufnahmen, die sie Ende jeder Woche nach Rumänien schickten: Das Analoge macht Geduld wieder zur Tugend. Hinzu kommt, dass sich Bildfehler einschleic­hen können, die man erst nach der Entwicklun­g bemerkt: Bei „Beatrix“sieht man etwa an einer Stelle ein Härchen, dass sich irgendwie in den Kameramech­anismus verirrt hat und das Bild unschön durchkreuz­t, nur deshalb nicht, weil der betreffend­e Bereich der Einstellun­g zu dunkel ist – ein Glück.

Übrigens: Mit Purismus und Fetischism­us hat die Arbeit mit Film in der Regel ebenso wenig zu tun wie mit Vintage-Flair. Nachdem Czernovsky und Kraxner wussten, welche der gedrehten Szenen im fertigen Film landen würden, ließen sie von diesen einen „flachen“Scan anfertigen, d. h. ein Digitalisa­t mit bewusst unspezifis­chen Kontrasten und Farben. Diesen nutzten sie dann für digitales Color Grading. Und auch die Projektion des Films erfolgte in den meisten Fällen digital. Zum regulären Wien-Start des Films wurde wiederum eine analoge 35-mm-Kopie angefertig­t, deren Leuchtkraf­t die Regisseuri­nnen besonders schätzen – und die sich nur bedingt mit den ursprüngli­chen 16-mmAufnahme­n

Regisseuri­n des Films „Beatrix“. vergleiche­n lässt. Ist „Beatrix“also gar kein „wirklich“analoger Film? Kraxner und Czernovsky kümmert diese Frage wenig. Für sie ist das Analoge eines von vielen Instrument­en, um künstleris­che Ziele zu erreichen – vergleichb­ar mit den Acrylfarbe­n eines Malers. Allerdings eines, das ihnen vertrauter ist als das Digitale: Kraxner besuchte die Schule Friedl Kubelka in Wien (siehe Geschichte rechts), wo die Arbeit mit Super 8 und 16 mm zum Tagesgesch­äft gehört. Auch andere Hoffnungst­räger des jüngeren heimischen Kunstfilms­chaffens, darunter Antoinette Zwirchmayr, Nigel Gavus und Viktoria Schmid, zählen zu deren Absolvente­n.

Die Beschränku­ngen der analogen Technik fördern künstleris­che Konzentrat­ion. » Analoges Filmemache­n ist für mich wie malen mit Acrylfarbe­n. « LILITH KRAXNER

Das Basismater­ial wird immer noch hergestell­t – es hapert bei Projektion­smöglichke­iten.

Um das Basismater­ial für analoges Filmemache­n braucht man sich derzeit keine allzu großen Sorgen machen: Jenes für „Beatrix“stammt von der Firma Kodak. 2008 noch am Rand des Bankrotts, versorgt es mittlerwei­le wieder weltweit enthusiast­ische Cineasten mit dem Stoff ihrer Träume. Auch Hollywood-Granden wie Christophe­r Nolan und Quentin Tarantino. Oder Sam Levinson, den Schöpfer der bei der jüngeren Generation enorm beliebten HBOSerie Euphoria, deren zweite Staffel fast komplett auf Kodak-Ektachrome-Material gedreht wurde. Die Mehrkosten, die es macht, macht die Effizienz beim Dreh – Stichwort Konzentrat­ion – in vielen Fällen wieder wett.

Im Festivalbe­reich ist Film ohnehin nie wirklich weg gewesen, bei der Viennale liefen regelmäßig analog gedrehte Arbeiten. Auch Marie Kreutzers Sisi-Porträt „Corsage“, das demnächst in Cannes Premiere feiert, wurde auf 35 mm gebannt. Nur bei der Projektion bleibt das Angebot dürftig, nur wenige Kinos bieten noch analoge Vorführung­en an. Doch auch das könnte sich wieder ändern.

 ?? Clemens Fabry ?? Die Regisseuri­nnen Milena Czernovsky (li.) und Lilith Kraxner im Wiener Metro-Kino, wo ihr auf 16-mm-Film gedrehter Festivalhi­t „Beatrix“im Jänner von einer frischen 35-mm-Kopie gezeigt wurde.
Clemens Fabry Die Regisseuri­nnen Milena Czernovsky (li.) und Lilith Kraxner im Wiener Metro-Kino, wo ihr auf 16-mm-Film gedrehter Festivalhi­t „Beatrix“im Jänner von einer frischen 35-mm-Kopie gezeigt wurde.

Newspapers in German

Newspapers from Austria