Hype um Analogfilm: Hurra, es
Der Analog-Trend ist auch im Film angekommen. Immer mehr junge Menschen greifen zur Super-8- und 16-mm-Kamera. Ist es Vintage-Flair? Nostalgie-Wahn? Retro-Fetischismus? Mitnichten, meinen Filmemacherinnen wie Lilith Kraxner und Milena Czernovsky – es geht
Es war der Sommerhit des vergangenen Jahres: Mit ihrer schmissigen Single „good 4 u“landete Olivia Rodrigo im Mai 2021 aus dem Stand auf Platz eins der US-Billboard-Charts. Seinen Teil dazu beigetragen hat ein Musikvideo, worin das 18-jährige Pop-Starlet vor fluffigsüßen Highschool-Kulissen singt, tanzt – und augenscheinlich auf blutige Rache an ihrem gefühlskalten Ex sinnt.
Am Schluss steht ihr Kinderzimmer in Flammen, die irgendwie anders züngeln als üblich: wärmer, flirrender, feuriger. Auch sonst eignet der Optik des Videos etwas eigentümlich Organisches, was es von Videoclip-Dutzendware abhebt. Was am Material liegt, mit dem es gedreht wurde: Die 29-jährige kanadische Regisseurin Petra Collins setzte beim Dreh für „good 4 u“auf 16-mm-Film.
Sie ist nicht die einzige junge Filmemacherin, die sich des Analogen bedient. Auch im Kino und in der Werbung feiert es ein Comeback. Lang wurde Zelluloid totgesagt – vor allem von denen, die es tot sehen wollten. Namentlich die großen Firmen, die die Durchsetzung des Digitalen in den frühen 2010er-Jahren durchboxten. Danach galt die Arbeit mit „Filmstreifen“zeitweilig als reine Liebhaberei. Doch neuerdings greifen immer mehr Menschen, nicht zuletzt jüngere, wieder oder zum ersten Mal zu analogen Kameras – abseits wie innerhalb der Branche.
Geht es dabei nur um Nostalgie und Retro-Flair? Um einen InstagramFilter, den das Smartphone nicht bieten kann? Keineswegs, meinen Lilith Kraxner (26) und Milena Czernovsky (29). Die beiden Österreicherinnen reüssierten 2021 mit ihrem ungewöhnlichen Regiedebüt „Beatrix“– über eine junge Frau, die in einem Haus mit Garten fernab sozialer Verpflichtungen genüsslich die Zeit verstreichen lässt. Der Spielfilm ist nach wie vor auf globaler Festivaltour. Neben der pfiffigen Form fällt sein körniger, farblich markanter Look unmittelbar ins Auge, die sich unter anderem einem 16-mm-Negativ verdankt.
Dreh als Performance. Die Optik sei aber nicht der Hauptgrund für die Entscheidung gewesen, auf Film zu drehen, wie Czernovsky und Kraxner im „Presse“-Gespräch versichern. Viel wichtiger sei für sie die Arbeitsweise, die Technik und Medium mit sich bringen. Im Vergleich zum Digitalen, wo man theoretisch endlos viele Szenen drehen kann, ohne sich allzu große Gedanken um Materialmangel zu machen, steht analogen Filmdrehs nur eine beschränkte Zahl an Filmrollen zur Verfügung. Das fordert Konzentration und Kreativität, so Kraxner: „Der Moment des Drehens wird besonders, fast performativ.“
Zugleich mache die Haptik des Materials den Prozess des Filmemachens verständlicher. Czernovsky: „Jede Sekunde laufen 24 Einzelbilder durch die Kamera, die ich bei Bedarf ansehen und anfassen kann. In eine Speicherkarte kann ich nicht hineinschauen.“Dass man am Ende eines Drehtages ein paar Rollen mit fertigen Aufnahmen vor sich liegen hat, verschaffe eine greifbare Genugtuung. Auch der Salzburger Dokumentarist Johannes Gierlinger (37), dessen auf 16 mm gedrehter Essayfilm „Die vergangenen Zukünfte“im Juni im Wiener Metro Kino anläuft, nennt auf Anfrage positive Anspannung und erhöhte Aufmerksamkeit bei der Arbeit als Gründe für die Vorliebe für Film.
Motive, die wohl im Allgemeinen entscheidend sind für die zunehmende Rückbesinnung vieler Menschen auf analoge Künste und Kulturtechniken. Ob Vinyl oder Polaroid, Notizbuch oder Töpferei: Das Interesse an der Intensität des spürbar Physischen – auch beim angeblich „passiven“Medienkonsum – speist sich aus der fortschreitenden Verlagerung von Arbeit, Alltag und Unterhaltung in Sphären, die Motorik und Tastsinn kaum ansprechen. Aus der Suche nach Echtem und Einzigartigem in einem Ozean wohlfeiler digitaler Beliebigkeit. Und aus dem Gefühl, dass uns die Realität abhandenkommt.
Jedes YouTube-Video könnte digital manipuliert worden sein, mit Effekten aus dem sprichwörtlichen „Rechner“. Ein belichteter Filmstreifen hingegen wirkt nach wie vor wie ein direkter Abdruck der Wirklichkeit vor der Kamera: In der Medientheorie nennt man dieses Konzept eines Kausalzusammenhangs zwischen Zeichen und Objekt „Indexikalität“.
Mut zur Unbequemlichkeit. Ob diese Verbindung tatsächlich um so viel „realer“ist, wie sie scheint – schließlich handelt es sich auch bei digitaler Bildproduktion um einen physikalischen, wenn auch nicht fotochemischen Vorgang – spielt eine untergeordnete Rolle. Was zählt, ist der spürbare Unterschied. Für diesen sind Filmemacherinnen wie Czernovsky und Kraxner bereit, den kleinen Preis der Unbequemlichkeit zu zahlen. Denn seit das Analoge als Norm verdrängt wurde, ist der Herstellungs- und Verarbeitungsaufwand von Film stark gestiegen. 2016 sperrte mit der Synchro Film das letzte aktive Filmlabor in Österreich zu, die Aufnahmen für „Beatrix“mussten in Bukarest entwickelt werden.
Während des Drehs sichteten die Regisseurinnen digitale Ausspielungen von Aufnahmen, die sie Ende jeder Woche nach Rumänien schickten: Das Analoge macht Geduld wieder zur Tugend. Hinzu kommt, dass sich Bildfehler einschleichen können, die man erst nach der Entwicklung bemerkt: Bei „Beatrix“sieht man etwa an einer Stelle ein Härchen, dass sich irgendwie in den Kameramechanismus verirrt hat und das Bild unschön durchkreuzt, nur deshalb nicht, weil der betreffende Bereich der Einstellung zu dunkel ist – ein Glück.
Übrigens: Mit Purismus und Fetischismus hat die Arbeit mit Film in der Regel ebenso wenig zu tun wie mit Vintage-Flair. Nachdem Czernovsky und Kraxner wussten, welche der gedrehten Szenen im fertigen Film landen würden, ließen sie von diesen einen „flachen“Scan anfertigen, d. h. ein Digitalisat mit bewusst unspezifischen Kontrasten und Farben. Diesen nutzten sie dann für digitales Color Grading. Und auch die Projektion des Films erfolgte in den meisten Fällen digital. Zum regulären Wien-Start des Films wurde wiederum eine analoge 35-mm-Kopie angefertigt, deren Leuchtkraft die Regisseurinnen besonders schätzen – und die sich nur bedingt mit den ursprünglichen 16-mmAufnahmen
Regisseurin des Films „Beatrix“. vergleichen lässt. Ist „Beatrix“also gar kein „wirklich“analoger Film? Kraxner und Czernovsky kümmert diese Frage wenig. Für sie ist das Analoge eines von vielen Instrumenten, um künstlerische Ziele zu erreichen – vergleichbar mit den Acrylfarben eines Malers. Allerdings eines, das ihnen vertrauter ist als das Digitale: Kraxner besuchte die Schule Friedl Kubelka in Wien (siehe Geschichte rechts), wo die Arbeit mit Super 8 und 16 mm zum Tagesgeschäft gehört. Auch andere Hoffnungsträger des jüngeren heimischen Kunstfilmschaffens, darunter Antoinette Zwirchmayr, Nigel Gavus und Viktoria Schmid, zählen zu deren Absolventen.
Die Beschränkungen der analogen Technik fördern künstlerische Konzentration. » Analoges Filmemachen ist für mich wie malen mit Acrylfarben. « LILITH KRAXNER
Das Basismaterial wird immer noch hergestellt – es hapert bei Projektionsmöglichkeiten.
Um das Basismaterial für analoges Filmemachen braucht man sich derzeit keine allzu großen Sorgen machen: Jenes für „Beatrix“stammt von der Firma Kodak. 2008 noch am Rand des Bankrotts, versorgt es mittlerweile wieder weltweit enthusiastische Cineasten mit dem Stoff ihrer Träume. Auch Hollywood-Granden wie Christopher Nolan und Quentin Tarantino. Oder Sam Levinson, den Schöpfer der bei der jüngeren Generation enorm beliebten HBOSerie Euphoria, deren zweite Staffel fast komplett auf Kodak-Ektachrome-Material gedreht wurde. Die Mehrkosten, die es macht, macht die Effizienz beim Dreh – Stichwort Konzentration – in vielen Fällen wieder wett.
Im Festivalbereich ist Film ohnehin nie wirklich weg gewesen, bei der Viennale liefen regelmäßig analog gedrehte Arbeiten. Auch Marie Kreutzers Sisi-Porträt „Corsage“, das demnächst in Cannes Premiere feiert, wurde auf 35 mm gebannt. Nur bei der Projektion bleibt das Angebot dürftig, nur wenige Kinos bieten noch analoge Vorführungen an. Doch auch das könnte sich wieder ändern.