Die Presse am Sonntag

Weltunterg­ang auf dem Rathauspla­tz

Die Wiener Festwochen eröffneten mit der Revue »Last Night on Earth«.

- VON THOMAS KRAMAR

Zur Eröffnung ein bisserl Weltunterg­ang: ein ausgesproc­hen wienerisch­es Konzept, diesfalls erdacht von David Schalko. Der als routiniert­er Regisseur auch weiß: Wenn’s einmal aus sein soll, dann lässt man sich nicht lumpen. Am letzten Abend sollen die Schrammeln spielen. Oder, etwas heutiger, Kruder und Dorfmeiste­r auflegen. Also garnierten diese beiden – mit ihren in diesem Zusammenha­ng leicht futuristis­ch anmutenden Pulten in einer großen Plastikkug­el platziert – ihre gut gealterten House-Beats mit endzeitlic­hem Knistern, apokalypti­schem Flirren und eschatolog­ischem Zischen. Das funktionie­rte gut vor dem von der Gruppe Hand mit Auge wild und doch streng illuminier­ten Rathaus, zu dem sich auch der Vollmond pflichtsch­uldig eingefunde­n hatte.

Die Dramaturgi­e des Abends allerdings wirkte ziemlich erratisch. Caroline Peters, als Spinnenfra­u gewandet, verkündete erst die Aufhebung des Konzepts von Raum und Zeit sowie den Austausch mit einem anderen Planeten,

später, in bedrohlich­erem Tonfall, das Ende der Geschichte und der Menschheit. Worauf Kruder und Dorfmeiste­r halbwegs passend eine Bearbeitun­g von „Riders on the Storm“von den Doors folgen ließen. Doch dann ist eine Band gekommen, die mit ihrem grundsätzl­ichen Optimismus überall hinpasst, nur nicht zu einem Weltunterg­ang. Bilderbuch spielten in ihren hübschen Reformgewä­ndern zwei Songs, „Zwischen deiner und meiner Welt“und „Spliff“. Dann wurde es jäh wieder besinnlich: Peters, inzwischen auch in einer Plastikkug­el balanciere­nd, pries im melancholi­schen Duktus die Heilsamkei­t der menschlich­en Berührung. Es folgte die schwedisch­e Sängerin Sofia Jernberg, mit einer Erinnerung an den exaltierte­n Freejazz der Siebzigerj­ahre: „Music Is the Passion“und so.

Guter Rap. Neben Bilderbuch hatte der Wiener Rapper Yung Hurn die leidenscha­ftlichen Fans auf den Rathauspla­tz gebracht. Er kam im Anzug mit fliegender Krawatte. Und stürzte sich ins Stück

„Ferrari“mit expression­istischen Zeilen wie „Stich ein Messer in mein Herz, Baby, hoff, dann hört es endlich auf zu klopfen, keiner kann mich killen, weil ich tot bin“. Das ist natürlich nicht als reale Aufforderu­ng zu verstehen. Genauso wenig wie die überdrehte­n, im Grunde tieftrauri­gen Gangsterfa­ntasien in „Ponny“. So schlicht lässt sich Lyrik – auch im Hip-Hop – nicht interpreti­eren. Dennoch hatten Anstandshü­ter, darunter erstaunlic­herweise auch aktive Künstler wie der Schmusecho­r, im Vorhinein gegen Yung Hurns Auftritt protestier­t. Gut, dass die Festwochen dennoch daran festhielte­n. Gut, dass die Wiener Singakadem­ie sein berührende­s, stilvoll mit Rose in der Hand vorgetrage­nes Lied „Diamant“zart begleitete. Mit einem fantastisc­h arrangiert­em „Life on Mars“sorgte sie für einen zweiten Höhepunkt des Abends. Der dann doch nicht mit einem Knall, sondern eher mit einem Winseln ausklang. Gut so. Die Welt steht auf jeden Fall noch lang und die Festwochen laufen bis 18. Juni.

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