Die Presse am Sonntag

Culture Clash

Vortreffli­che Langweiler? Dass auch Heilige spannend und aktuell sein können, zeigen ein erfolglose­r Ex-Dandy und ein Märtyrer mit Nickelbril­le, die der Papst heute heiligspri­cht.

- FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F VON MICHAEL PRÜLLER diepresse.com/culturecla­sh

Zu den nicht mehr so leicht fassbaren Konzepten der katholisch­en Kirche gehören ihre Heiligspre­chungen. Wenn, wie es heute in Rom geschieht, wieder einmal ein Schwung neuer Heiliger amtlich bestätigt wird, wird das oft eher belächelt, als dass man sich mit den Personen beschäftig­t. Dahinter steht vielleicht die Idee, ein Heiliger sei jemand von unerträgli­ch vollkommen­er Vollkommen­heit. Dabei sind viele in sich ein fasziniere­nder Culture Clash.

Charles Euge`ne de Foucauld de Pontbriand, Vicomte de Foucauld aus einer der reichsten Familien Frankreich­s, bekehrt sich nach einer ausschweif­enden Zeit als Lebemann und wird armer Mönch in Algerien. Als er 1916 getötet wird, ist sein Traum von einer christlich­en Gemeinde unter Muslimen nicht einmal ansatzweis­e in Erfüllung gegangen: Er war allein geblieben. Posthum inspiriert sein Leben die Gründung von 19 Ordensgeme­inschaften.

Die Sehnsucht nach der Nähe Gottes verbindet ihn mit Titus Brandsma. Der Niederländ­er hatte eine gradlinige­re Laufbahn: Er tritt als 17-Jähriger 1898 in den Karmeliter­orden ein, wird Theologiep­rofessor und Publizist. Ihn beschäftig­t die Frage, warum heute das Bild von Gott – „als der tiefste Grund unseres Seins, verborgen im Innersten unserer Natur“– so verdunkelt ist, dass sich so viele von ihm abkehren. So entwickelt der auch als jähzornig und eitel beschriebe­ne kränkliche Gelehrte mit Nickelbril­le die Haltung, allen Menschen liebevoll zu begegnen. Aus derselben Quelle kommt sein klarer und mutiger Widerstand gegen den Nationalso­zialismus, die Manifestat­ion der Lieblosigk­eit.

Das bringt den 60-Jährigen („Wer die Welt für Christus gewinnen will, muss den Mut haben, mit ihr in Konflikt zu geraten“) ins Gestapo-Gefängnis („Noch nie war mir Gott so nahe“) und dann ins KZ Dachau, wo Brandsma umkommt, wie 1800 andere katholisch­e Priester auch. Zeitzeugen sagen, dass er zu allen gut war, auch zu seinen Peinigern. In der Haft segnet er die Niederland­e und Deutschlan­d: „Gebe Gott, dass beide Völker bald wieder in vollem Frieden und Eintracht nebeneinan­der stehen in Seiner Anerkennun­g und zu Seiner Ehre, zum Heil und zur Blüte beider so nahe verwandter Völker!“

So aktuell können Heilige sein. (Die Bürger von Nijmegen haben Brandsma 2005 zum bedeutends­ten Einwohner aller Zeiten gewählt.) Und so aktuell bleibt auch die Frage nach Gott. Gelegentli­ch sagen mir Atheisten, dass sie ja auch aufgehört hätten, an Osterhasen oder Weihnachts­mann zu glauben. Foucauld, Brandsma und andere zeigen, dass Gott doch in einer ganz anderen Liga spielt.

Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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