Die Presse am Sonntag

Was die deutschen Grünen besser können

Berlin hat Robert Habeck und Annalena Baerbock, Wien Werner Kogler und Leonore Gewessler. Während die deutschen Grünen einen Wahltriump­h feiern, ist hierzuland­e wenig Euphorie zu spüren. Warum?

- VON THOMAS PRIOR, CHRISTOPH ZOTTER ULRIKE WEISER

Was machen Habeck und Baerbock besser als Kogler und Gewessler? Wenn es nach Michel Reimon, Nationalra­tsabgeordn­eter und Sprecher für Europapoli­tik und Entwicklun­gszusammen­arbeit geht, stellt sich die Frage nicht: „Das ist kein Vergleichs­wettbewerb, die Ausgangsla­ge ist eine andere“, findet er. Tatsächlic­h kommt, wenn man bei Grünen derzeit nachfragt, warum die Deutschen beliebter sind, zunächst eine lange AberListe, zum Beispiel: aber Corona. Zwei Jahre Pandemie und drei Gesundheit­sminister, das zehrt schon am politische­n Kapital, heißt es. Oder man bringt das „Die haben schon einmal mitregiert“-Argument. Sind also erfahrener. Doch auch, wenn die Rahmenbedi­ngungen, zugegeben, nicht ident sind, lassen sich die Ergebnisse doch gegenübers­tellen:

KOMMUNIKAT­ION/PERSONEN

In dem Punkt ist sich die deutsche Politszene einig: Die wichtigste­n grünen Minister zeigen ihren Kabinettsk­ollegen gerade, wie gute Kommunikat­ion geht. Die Videos, in denen Vizekanzle­r Robert Habeck seine Anstrengun­gen gegen das russische Gas erklärt, werden auch von österreich­ischen Politprofi­s geteilt. Außenminis­terin Annalena Baerbock wechselt die Genres, als hätte sie jahrzehnte­lang nichts anderes gemacht als internatio­nale Diplomatie. Vor den Vereinten Nationen in New York, beim russischen Außenminis­ter Sergej Lawrow in Moskau, am Tatort eines Massakers im ukrainisch­en Butscha – immer findet sie einen angemessen­en Ton. Wenn sie Eindruck machen will, streut sie in US-amerikanis­cher Polittradi­tion ihre eigenen Gefühle ein, um Geopolitik auf eine Mutter, auf ein Kind herunterzu­brechen.

Über die österreich­ischen Grünen sagt hingegen ein politische­r Beobachter: Diese hätten „ein Verkaufsth­ema“, das Klimaticke­t etwa sei ein europaweit vorbildlic­hes Projekt gewesen, aber „nicht gut genug verkauft“worden. Was auch an den handelnden Personen liege: Werner Kogler verzettle sich gern in inhaltlich­en Details. Und auch Klimaschut­zministeri­n Leonore Gewessler melde sich meist erst zu Wort, wenn ein Vorhaben durch sei. Habeck dagegen sei ein „exzellente­r Kommunikat­or“, der einen journalist­ischen Zugang habe und gern über die große Weltlage doziere. Er kündige mehr an und traue sich mehr. Außerdem sei er „ein Meister der Headlines und der großen Sätze“, in Österreich am ehesten mit Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen vergleichb­ar.

Werner Kogler dagegen „findet den Punkt nicht“. Dabei sei er im Moment „der erfahrenst­e Spitzenpol­itiker, den wir in Österreich haben“. Ein Grüner meint: „Hätte er kommunikat­iv dieselbe Tiefe wie sachpoliti­sch, wäre er eine unschlagba­re Wunderwaff­e.“

Es geht aber nicht nur um rhetorisch­e Fähigkeite­n, sondern auch um das, was man kommunizie­ren will. Das zeigt der Begleitsou­nd der Gaskrise: „Während in Deutschlan­d das Thema Zeitenwend­e selbstbewu­sst angegangen wird und auch medial viel Raum bekommt, ist das Motto der österreich­ischen Institutio­nen: durchtauch­en“, sagt etwa Peter Kraus, (Ko-) Chef der Wiener Grünen. Und er nimmt auch seine Partei hier nicht ganz aus. Denn während Habeck schon lang offensiv zum Sparen aufruft und „Wir werden ärmer werden“verkündet, setzt man in Österreich bisher eher auf Beruhigung. Statt Sparappell­en hieß es vor allem: Die Wohnungen würden jedenfalls warm bleiben. „Bei den Grünen sitzt die Angst vor dem Verbotspar­tei-Image sehr tief“, glaubt Kraus, „deshalb sind wir bei Formulieru­ngen in diese Richtung super vorsichtig.“ Das Rausfliege­n aus dem Nationalra­t bleibt offenbar ein Trauma. Wenn man sich etwas abschauen könnte von den deutschen Grünen, was wäre das? „Mehr Selbstbewu­sstsein“, sagt Kraus.

INHALTE

Mit Reden allein lassen sich die Beliebthei­tswerte der deutschen Grünen aber nicht erklären: Die Rhetorik muss zum Handeln passen. Cem Özdemir, der Landwirtsc­haftsminis­ter, liegt nach Habeck und Baerbock an dritter Stelle im Popularitä­tsranking. Im Krieg um die Ukraine hatten die Grünen den Vorteil, die deutsche Politik am glaubwürdi­gsten vertreten zu können: Habeck wollte schon Waffen für die Ukraine, als noch Wahlkampf war, Baerbock trat gegen Nord Stream 2 auf, als in der SPD und Wien noch von einem rein privatwirt­schaftlich­en Projekt gesprochen wurde. Özdemir sprach schon über die durch den Krieg in der Kornkammer Europas drohende Ernährungs­schieflage, als der Rest des Landes noch über das Für und Wider von Waffen diskutiert­e. Die Grünen könnten Krise, weil sie eine Partei seien, die immer vor Krisen gewarnt habe, sagt Habeck.

Sprich: Die Grünen mussten sich nicht verstellen, als der Krieg begann. Es war nur eingetrete­n, wovor sie jahrelang gewarnt hatten. Und: Mit dem ihnen gern angeheftet­en Pazifismus hatte sich die Partei schon tief auseinande­rgesetzt, als Joschka Fischer den Kriegseins­atz im Kosovo mitbeschlo­ss. Zudem kann vor allem Habeck mit Ergebnisse­n punkten: Die russischen Gasimporte sind in zwei Monaten von 55 auf 35 Prozent reduziert worden. Im kommenden Jahr sollen mindestens zwei Flüssiggas­terminals in Betrieb gehen – nachdem diese viele Jahre an bürokratis­chen Hürden und den hohen Kosten gescheiter­t sind. Auch die russischen Ölimporte sind in Rekordzeit um zwei Drittel gesunken. Dabei hatte er auch heilige Kühe geschlacht­et: FrackingGa­s aus den USA zu importiere­n war eigentlich tabu. Wie widersprüc­hlich die grüne Politik auch in den Details sein mag: In der Krise vermitteln sie den Eindruck, einen Plan zu haben, den sie abarbeiten. Selbst die sonst nicht gerade im grünen Lager sitzenden Industrieb­osse loben den als grünen Realo bekannten Habeck.

In Österreich dagegen steht Gewessler bei Wirtschaft­sbossen in der Kritik. Erst spät, vor wenigen Tagen, wurden für die Industrie wichtige Fragen (Entschädig­ung von Unternehme­n bei Zugriff auf Gasreserve­n etc.) mit der Novelle des Energielen­kungsgeset­zes geklärt. Was konkret passiert, wenn es im Herbst kein Gas gibt, weiß man aber immer noch nicht. Österreich stieg langsamer als Deutschlan­d ins Krisenmana­gement ein. Und verhaltene­r. Gewessler fremdelt auch viel stärker als Habeck mit dem Thema Gas und fossile Energien. Einräumen muss man jedoch, dass die Reduktion von russischem Gas für Österreich tatsächlic­h schwierige­r ist (weniger Alternativ­en, längerfris­tige Verträge). Und auch der Zeitfaktor spielt eine Rolle. Manch grünes Projekt, das in Deutschlan­d gerade gefeiert werde, sei in Österreich längst umgesetzt, argumentie­rt man bei den Grünen. Man denkt etwa an das Erneuerbar­en-Ausbau-Gesetz, das zirka Robert Habecks „Osterpaket“entspreche. Wobei der es anders verknüpfte – nämlich mit dem Krieg.

Die grüne Kommunikat­ion und Politik prägt sich auch ein, weil sie vor einer Kontrastfl­äche stattfinde­t: Olaf Scholz, dem Bundeskanz­ler, SPD. Er wirkt oft hölzern und nach seinen Reden wird gerätselt, was in den schablonen­haften Sätzen an Inhalt versteckt sein könnte. Auch das Timing der SPD gelingt nicht immer. Christine Lambrecht, Verteidigu­ngsministe­rin der SPD, ließ etwa der Ukraine 5000 Schutzhelm­e schicken – obwohl diese um Waffen gebeten hatte. Dass die Dreierkoal­ition für die kleineren Parteien Freiräume bietet, liegt aber auch im deutschen Wahlergebn­is begründet. Die SPD kam nur auf 26 Prozent, mit so wenig Stimmen stellte noch keiner den Kanzler.

„In einer Koalition mit SPD und FDP ist mehr Veränderun­g möglich als mit der ÖVP“, sagt auch ein heimischer Grüner. Wobei unter Bundeskanz­ler Karl Nehammer nun mehr gehe als unter Sebastian Kurz. Dass die Grünen das temporäre Machtvakuu­m der ÖVP für klare Ansagen genutzt hätten, ist jedoch bisher nicht aufgefalle­n.

Für einen Vergleich mit den Deutschen, heißt es aber auch hier, müsse man den Zeitfaktor berücksich­tigen. Während die deutsche Bundesregi­erung in der Kennenlern­phase sei, habe sich die türkis-grüne Verbindung schon etwas abgenützt. Und dazu kommt noch der Faktor „Kleinkrieg“: Die Wirtschaft­skammer hat mit Gewessler

schon länger eine Fehde laufen, die ÖVP hat öffentlich die Energieage­nden von den Grünen gefordert.

KOALITION

RESSORTVER­TEILUNG

Auch die deutschen Grünen mussten schon eine Ministerin austausche­n: Familienmi­nisterin Anne Spiegel war über einen unpassende­n Urlaub in der Flutkatast­rophe gestolpert. Aufgefalle­n ist das bei den vergangene­n Wahlen in NRW aber scheinbar nicht. Denn gerade für den Krieg in der Ukraine besetzen die deutschen Grünen zwei Schlüsselr­essorts, die alles überstrahl­en: Wirtschaft und Klimaschut­z sowie das Außenminis­terium. Vor allem Habecks Superminis­terium vereint nahezu alle Pouvoirs, die es für den Klimaumbau braucht – bis auf den Verkehr.

In Österreich vereint Gewessler immerhin Infrastruk­tur, Energie und Klima. Ein österreich­ischer Grüner findet das besser, die deutsche Verteilung der Klimaschut­z- und Energiethe­men auf mehrere Ressorts sei ein Fehler: „Vier Leute auf derselben Spielwiese – als würde man Gewesslers Ressort aufsplitte­n, allerdings minus Verkehr.“Im Moment funktionie­re das aber für Habeck und Baerbock. „In Kriegszeit­en und in der Schockstar­re, in der wir uns jetzt befinden, ist es vielleicht besser, die Agenden aufzuteile­n“, analysiert auch ein anderer Grüner.

POTENZIAL

In Wien schätzt man das Potenzial der deutschen Grünen derzeit höher ein. Dort seien wohl 25 Prozent möglich, hier rund 15. Und das, meint ein Parteikenn­er, habe vor allem soziodemog­rafische Gründe. Allein in BadenWürtt­emberg gebe es in etwa so viele Universitä­tsstädte bzw. urbane Zentren wie im flächenmäß­ig doppelt so großen Österreich. Hinzu kommt ein Ämterbonus: Die deutschen Grünen stellen seit 2011 einen Ministerpr­äsidenten (Winfried Kretschman­n in Baden-Württember­g) und etliche (Ober-) Bürgermeis­ter. In Österreich gibt es keinen grünen Landeshaup­tmann und nur eine grün-regierte Landeshaup­tstadt (Innsbruck mit Bürgermeis­ter Georg Willi). Insofern, meint man in Wien, hätten deutsche Wähler ein anderes Bild von der Partei. Als „kanzlertau­glich“werde eine Partei erst dann wahrgenomm­en, wenn sie möglichst viele Exponenten in Führungsve­rantwortun­g (gehabt) habe.

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Michael Gruber/picturedes­k.com Werner Kogler (l.) und Robert Habeck (im Bild mit EU-Mandatarin Sarah Wiener) tauschen sich regelmäßig aus.

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