Was die deutschen Grünen besser können
Berlin hat Robert Habeck und Annalena Baerbock, Wien Werner Kogler und Leonore Gewessler. Während die deutschen Grünen einen Wahltriumph feiern, ist hierzulande wenig Euphorie zu spüren. Warum?
Was machen Habeck und Baerbock besser als Kogler und Gewessler? Wenn es nach Michel Reimon, Nationalratsabgeordneter und Sprecher für Europapolitik und Entwicklungszusammenarbeit geht, stellt sich die Frage nicht: „Das ist kein Vergleichswettbewerb, die Ausgangslage ist eine andere“, findet er. Tatsächlich kommt, wenn man bei Grünen derzeit nachfragt, warum die Deutschen beliebter sind, zunächst eine lange AberListe, zum Beispiel: aber Corona. Zwei Jahre Pandemie und drei Gesundheitsminister, das zehrt schon am politischen Kapital, heißt es. Oder man bringt das „Die haben schon einmal mitregiert“-Argument. Sind also erfahrener. Doch auch, wenn die Rahmenbedingungen, zugegeben, nicht ident sind, lassen sich die Ergebnisse doch gegenüberstellen:
KOMMUNIKATION/PERSONEN
In dem Punkt ist sich die deutsche Politszene einig: Die wichtigsten grünen Minister zeigen ihren Kabinettskollegen gerade, wie gute Kommunikation geht. Die Videos, in denen Vizekanzler Robert Habeck seine Anstrengungen gegen das russische Gas erklärt, werden auch von österreichischen Politprofis geteilt. Außenministerin Annalena Baerbock wechselt die Genres, als hätte sie jahrzehntelang nichts anderes gemacht als internationale Diplomatie. Vor den Vereinten Nationen in New York, beim russischen Außenminister Sergej Lawrow in Moskau, am Tatort eines Massakers im ukrainischen Butscha – immer findet sie einen angemessenen Ton. Wenn sie Eindruck machen will, streut sie in US-amerikanischer Polittradition ihre eigenen Gefühle ein, um Geopolitik auf eine Mutter, auf ein Kind herunterzubrechen.
Über die österreichischen Grünen sagt hingegen ein politischer Beobachter: Diese hätten „ein Verkaufsthema“, das Klimaticket etwa sei ein europaweit vorbildliches Projekt gewesen, aber „nicht gut genug verkauft“worden. Was auch an den handelnden Personen liege: Werner Kogler verzettle sich gern in inhaltlichen Details. Und auch Klimaschutzministerin Leonore Gewessler melde sich meist erst zu Wort, wenn ein Vorhaben durch sei. Habeck dagegen sei ein „exzellenter Kommunikator“, der einen journalistischen Zugang habe und gern über die große Weltlage doziere. Er kündige mehr an und traue sich mehr. Außerdem sei er „ein Meister der Headlines und der großen Sätze“, in Österreich am ehesten mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen vergleichbar.
Werner Kogler dagegen „findet den Punkt nicht“. Dabei sei er im Moment „der erfahrenste Spitzenpolitiker, den wir in Österreich haben“. Ein Grüner meint: „Hätte er kommunikativ dieselbe Tiefe wie sachpolitisch, wäre er eine unschlagbare Wunderwaffe.“
Es geht aber nicht nur um rhetorische Fähigkeiten, sondern auch um das, was man kommunizieren will. Das zeigt der Begleitsound der Gaskrise: „Während in Deutschland das Thema Zeitenwende selbstbewusst angegangen wird und auch medial viel Raum bekommt, ist das Motto der österreichischen Institutionen: durchtauchen“, sagt etwa Peter Kraus, (Ko-) Chef der Wiener Grünen. Und er nimmt auch seine Partei hier nicht ganz aus. Denn während Habeck schon lang offensiv zum Sparen aufruft und „Wir werden ärmer werden“verkündet, setzt man in Österreich bisher eher auf Beruhigung. Statt Sparappellen hieß es vor allem: Die Wohnungen würden jedenfalls warm bleiben. „Bei den Grünen sitzt die Angst vor dem Verbotspartei-Image sehr tief“, glaubt Kraus, „deshalb sind wir bei Formulierungen in diese Richtung super vorsichtig.“ Das Rausfliegen aus dem Nationalrat bleibt offenbar ein Trauma. Wenn man sich etwas abschauen könnte von den deutschen Grünen, was wäre das? „Mehr Selbstbewusstsein“, sagt Kraus.
INHALTE
Mit Reden allein lassen sich die Beliebtheitswerte der deutschen Grünen aber nicht erklären: Die Rhetorik muss zum Handeln passen. Cem Özdemir, der Landwirtschaftsminister, liegt nach Habeck und Baerbock an dritter Stelle im Popularitätsranking. Im Krieg um die Ukraine hatten die Grünen den Vorteil, die deutsche Politik am glaubwürdigsten vertreten zu können: Habeck wollte schon Waffen für die Ukraine, als noch Wahlkampf war, Baerbock trat gegen Nord Stream 2 auf, als in der SPD und Wien noch von einem rein privatwirtschaftlichen Projekt gesprochen wurde. Özdemir sprach schon über die durch den Krieg in der Kornkammer Europas drohende Ernährungsschieflage, als der Rest des Landes noch über das Für und Wider von Waffen diskutierte. Die Grünen könnten Krise, weil sie eine Partei seien, die immer vor Krisen gewarnt habe, sagt Habeck.
Sprich: Die Grünen mussten sich nicht verstellen, als der Krieg begann. Es war nur eingetreten, wovor sie jahrelang gewarnt hatten. Und: Mit dem ihnen gern angehefteten Pazifismus hatte sich die Partei schon tief auseinandergesetzt, als Joschka Fischer den Kriegseinsatz im Kosovo mitbeschloss. Zudem kann vor allem Habeck mit Ergebnissen punkten: Die russischen Gasimporte sind in zwei Monaten von 55 auf 35 Prozent reduziert worden. Im kommenden Jahr sollen mindestens zwei Flüssiggasterminals in Betrieb gehen – nachdem diese viele Jahre an bürokratischen Hürden und den hohen Kosten gescheitert sind. Auch die russischen Ölimporte sind in Rekordzeit um zwei Drittel gesunken. Dabei hatte er auch heilige Kühe geschlachtet: FrackingGas aus den USA zu importieren war eigentlich tabu. Wie widersprüchlich die grüne Politik auch in den Details sein mag: In der Krise vermitteln sie den Eindruck, einen Plan zu haben, den sie abarbeiten. Selbst die sonst nicht gerade im grünen Lager sitzenden Industriebosse loben den als grünen Realo bekannten Habeck.
In Österreich dagegen steht Gewessler bei Wirtschaftsbossen in der Kritik. Erst spät, vor wenigen Tagen, wurden für die Industrie wichtige Fragen (Entschädigung von Unternehmen bei Zugriff auf Gasreserven etc.) mit der Novelle des Energielenkungsgesetzes geklärt. Was konkret passiert, wenn es im Herbst kein Gas gibt, weiß man aber immer noch nicht. Österreich stieg langsamer als Deutschland ins Krisenmanagement ein. Und verhaltener. Gewessler fremdelt auch viel stärker als Habeck mit dem Thema Gas und fossile Energien. Einräumen muss man jedoch, dass die Reduktion von russischem Gas für Österreich tatsächlich schwieriger ist (weniger Alternativen, längerfristige Verträge). Und auch der Zeitfaktor spielt eine Rolle. Manch grünes Projekt, das in Deutschland gerade gefeiert werde, sei in Österreich längst umgesetzt, argumentiert man bei den Grünen. Man denkt etwa an das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, das zirka Robert Habecks „Osterpaket“entspreche. Wobei der es anders verknüpfte – nämlich mit dem Krieg.
Die grüne Kommunikation und Politik prägt sich auch ein, weil sie vor einer Kontrastfläche stattfindet: Olaf Scholz, dem Bundeskanzler, SPD. Er wirkt oft hölzern und nach seinen Reden wird gerätselt, was in den schablonenhaften Sätzen an Inhalt versteckt sein könnte. Auch das Timing der SPD gelingt nicht immer. Christine Lambrecht, Verteidigungsministerin der SPD, ließ etwa der Ukraine 5000 Schutzhelme schicken – obwohl diese um Waffen gebeten hatte. Dass die Dreierkoalition für die kleineren Parteien Freiräume bietet, liegt aber auch im deutschen Wahlergebnis begründet. Die SPD kam nur auf 26 Prozent, mit so wenig Stimmen stellte noch keiner den Kanzler.
„In einer Koalition mit SPD und FDP ist mehr Veränderung möglich als mit der ÖVP“, sagt auch ein heimischer Grüner. Wobei unter Bundeskanzler Karl Nehammer nun mehr gehe als unter Sebastian Kurz. Dass die Grünen das temporäre Machtvakuum der ÖVP für klare Ansagen genutzt hätten, ist jedoch bisher nicht aufgefallen.
Für einen Vergleich mit den Deutschen, heißt es aber auch hier, müsse man den Zeitfaktor berücksichtigen. Während die deutsche Bundesregierung in der Kennenlernphase sei, habe sich die türkis-grüne Verbindung schon etwas abgenützt. Und dazu kommt noch der Faktor „Kleinkrieg“: Die Wirtschaftskammer hat mit Gewessler
schon länger eine Fehde laufen, die ÖVP hat öffentlich die Energieagenden von den Grünen gefordert.
KOALITION
RESSORTVERTEILUNG
Auch die deutschen Grünen mussten schon eine Ministerin austauschen: Familienministerin Anne Spiegel war über einen unpassenden Urlaub in der Flutkatastrophe gestolpert. Aufgefallen ist das bei den vergangenen Wahlen in NRW aber scheinbar nicht. Denn gerade für den Krieg in der Ukraine besetzen die deutschen Grünen zwei Schlüsselressorts, die alles überstrahlen: Wirtschaft und Klimaschutz sowie das Außenministerium. Vor allem Habecks Superministerium vereint nahezu alle Pouvoirs, die es für den Klimaumbau braucht – bis auf den Verkehr.
In Österreich vereint Gewessler immerhin Infrastruktur, Energie und Klima. Ein österreichischer Grüner findet das besser, die deutsche Verteilung der Klimaschutz- und Energiethemen auf mehrere Ressorts sei ein Fehler: „Vier Leute auf derselben Spielwiese – als würde man Gewesslers Ressort aufsplitten, allerdings minus Verkehr.“Im Moment funktioniere das aber für Habeck und Baerbock. „In Kriegszeiten und in der Schockstarre, in der wir uns jetzt befinden, ist es vielleicht besser, die Agenden aufzuteilen“, analysiert auch ein anderer Grüner.
POTENZIAL
In Wien schätzt man das Potenzial der deutschen Grünen derzeit höher ein. Dort seien wohl 25 Prozent möglich, hier rund 15. Und das, meint ein Parteikenner, habe vor allem soziodemografische Gründe. Allein in BadenWürttemberg gebe es in etwa so viele Universitätsstädte bzw. urbane Zentren wie im flächenmäßig doppelt so großen Österreich. Hinzu kommt ein Ämterbonus: Die deutschen Grünen stellen seit 2011 einen Ministerpräsidenten (Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg) und etliche (Ober-) Bürgermeister. In Österreich gibt es keinen grünen Landeshauptmann und nur eine grün-regierte Landeshauptstadt (Innsbruck mit Bürgermeister Georg Willi). Insofern, meint man in Wien, hätten deutsche Wähler ein anderes Bild von der Partei. Als „kanzlertauglich“werde eine Partei erst dann wahrgenommen, wenn sie möglichst viele Exponenten in Führungsverantwortung (gehabt) habe.