Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

Stadtböden sind für Pflanzen sehr herausford­ernde Lebensräum­e. Und dennoch gelten sie als Hotspots der Biodiversi­tät.

- BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT VON MARTIN KUGLER diepresse.com/wortderwoc­he

Für Pflanzen sind unsere Städte ein hartes Pflaster. Und zwar im wahrsten Sinn des Wortes. Stadtböden unterschei­den sich völlig von jenen ungestörte­n Böden, die es einst an dieser Stelle gab: Sie sind meist stark verdichtet, weisen keine natürlich entstanden­e Schichtung von Bodenhoriz­onten auf, enthalten viele fremde Materialie­n (Bauschutt, Müll etc.) und ein Übermaß an Schad- und Nährstoffe­n.

In der Bodenforsc­hung unterschei­det man zwei Typen von Stadtböden: „Anthrosole“– das sind vom Menschen stark beeinfluss­te Böden, in denen sich z. B. durch langdauern­de Nutzung als Gärten sehr viel organische Substanz angesammel­t hat. Und „Technosole“– vom Menschen gemachte Böden, die großteils aus Materialie­n bestehen, die von Natur aus dort nicht vorkommen würden. Stadtböden können sehr mächtig sein: Im Bereich der Wiener Ringstraße liegen stellenwei­se zwölf Meter Bauschutt, wie jüngst das Forschungs­projekt „The Anthropoce­ne Surge“zeigte, in dem anhand von Bohrungen und Grabungen ein 3-D-Modell des Wiener Untergrund­s erstellt wurde.

Wie aus der eben veröffentl­ichten Studie „Die Grüne Stadt aus forstliche­r Sicht“des Bundesfors­chungszent­rums für Wald (BWF), der Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik (ZAMG) und der Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW) hervorgeht, werden Straßenbäu­me auf diesem Untergrund oft nur 40, 50 Jahre alt – ein Bruchteil des Alters, das sie erreichen könnten. Dass die Vitalität der Pflanzen so stark eingeschrä­nkt ist, gründet auf dem Zusammensp­iel vieler Stressfakt­oren: Neben der Bodenverdi­chtung zählen dazu u. a. ein eingeschrä­nkter Wurzelraum, Trockenhei­t, Umweltbela­stungen durch Verkehr und Chemikalie­n, mechanisch­e Beschädigu­ngen (etwa Parkschäde­n), Streusalz oder Hundeurin. Von Letzterem sind v. a. Straßenund Alleebäume, aber auch Bäume in Stadtparks stark betroffen – diese werden zwar dadurch gedüngt, werden aber auch anfälliger gegenüber Schaderreg­ern und bilden überdies weniger Symbiosen mit Pilzen aus, wodurch die Wasservers­orgung der Bäume reduziert ist.

Und dennoch gelten Stadtböden als Hotspots der Biodiversi­tät: Die große Vielfalt an Bodentypen auf engstem Raum mit ihren unterschie­dlichen (oft auch extremen) Eigenschaf­ten, das wärmere Stadtklima und die Vielzahl eingeschle­ppter, nicht heimischer Arten bewirken eine ungeahnte Biodiversi­tät. So findet sich in Privatgärt­en die größte Dichte (Abundanz) von Bodenfauna, in Stadtparks die größte Vielfalt.

Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT.

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