Wie Rosa in Mode kam
Noch eine Woche lang ist es beim Giro d’Italia das Objekt der Begierde: Heute repräsentiert das rosa Trikot Italiens Radsport, dabei hätte Benito Mussolini die Einführung gern verhindert.
Unverständlich“war für Benito Mussolini die Entscheidung, den Gesamtführenden des Giro d’Italia in einem rosafarbenen Trikot auf die Strecke zu schicken. Als „feminin“und „überhaupt nicht männlich“missfiel dem italienischen Diktator die Farbe. Doch ihm blieb keine Wahl. 22 Jahre nach der Tour de France sollten auch die Fans bei der Italien-Rundfahrt eine Orientierungshilfe im Peloton erhalten, und was lag für Organisator Emilio Colombo näher, als damit auch den Hauptsponsor zu würdigen, dessen Direktor er ebenfalls war? Und die „Gazzetta dello Sport“wurde nun einmal auf rosafarbenem Papier gedruckt.
Die Einführung des neuen Trikots geschah also 1931, ganz ohne Feierlichkeiten und mit der Ergänzung um das faschistische Rutenbündel samt Axt – zumindest damit hatte sich Mussolini durchgesetzt.
Der Giro war dem Duce grundsätzlich ein Dorn im Auge. Als fortschrittlich wollte er seinen Faschismus zelebrieren, auf intellektueller Ebene genauso wie auf technologischer. Er präferierte den Motorsport, erfolgreiche Piloten wie Alberto Ascari und Tazio Nuvolari wurden zu seinen sportlichen Botschaftern. Ein Radrennen taugte Mussolinis Ansicht zufolge lediglich dem einfachen Volk zur Unterhaltung. Nicht ohne Grund. Von motorisierten Gefährten und schön asphaltierten Straßen konnten die meisten Italiener zu dieser Zeit nur träumen, das Rad hingegen hatte seinen festen Platz im Alltag – und in den Herzen.
Zudem stellte Italien damals auch die schnellsten Radfahrer, Mussolini konnte sich seinen deklarierten Posterboy also zumindest aussuchen. Die Wahl fiel auf Learco Guerra, seine Söhne Vittorio und Bruno sollen große
Fans des italienischen Meisters und Zweitem der jüngsten WM und Tour gewesen sein. Dieser war in bescheidenen Verhältnissen als Sohn eines Maurers aufgewachsen, und hatte sich bei den Transporten von Sand einen kraftvollen Pedaltritt antrainiert. Er wurde schließlich von einem Radhersteller entdeckt und machte sich bei Rennen als „Lokomotive“einen Namen. 1928 lockte der erste Giro-Start, dass der Ausstatter dafür im Gegenzug den Beitritt zur faschistischen Partei verlangte, schreckte Guerra nicht ab. Es erzürnte zwar den eigenen Vater, einen Kommunisten, aber gefiel Mussolini.
Der frühe Fluch. Die 19. Auflage der Rundfahrt war jedenfalls gezielt nach Guerras Geschmack eine vergleichsweise flache. Der auserkorene Held erfüllte den Auftrag von oberster Stelle und sprintete auf der Auftaktetappe von Mailand in seine Heimatstadt Mantua zum Sieg – vor dem viermaligen Giro-Sieger Alfredo Binda, den die Organisatoren ob seiner Dominanz für sein Fernbleiben im Jahr zuvor im Sinne der Spannung sogar bezahlt hatten. Mussolinis Plan ging somit auf, Guerra wurde die Ehre zuteil, als Erster in das neue Führungstrikot zu schlüpfen. Dafür seines als Staatsmeister in den Landesaufgaben aufzugeben, fiel nicht nur ihm schwer. „Ein zartes Rosa, wie bei Frauen-Unterwäsche“, urteilte damals die Zeitung „La Stampa“ätzend.
Insgesamt fünf Mal sollte Rosa auf den zwölf Etappen von 1931 seinen Träger wechseln. Als Guerra das Trikot nach zwei Tagen an Binda abtreten musste, kamen ihm die Tränen. Am Ende schieden beide Erzrivalen und mit Michele Mara später ein weiterer Mitfavorit aus, sodass italienische Medien bereits einen Fluch herbeischrieben. Es war schließlich Außenseiter Francesco Camusso, der die Insigne ins Ziel nach Mailand fuhr. Kein Sieger nach dem Geschmack des Duce, denn der „Gams von Cumiana“wurde Nähe zum Sozialismus nachgesagt.
Guerra indes brachte das rosa Trikot auch in den beiden Folgejahren
Jahre
ist es her, dass beim Giro d’Italia erstmals der Gesamtführende mit dem rosa Trikot ausgestattet wurde – als Orientierungshilfe für Fans und Offizielle.
78 Tage
trug der Belgier Eddy Merckx das rosa
Trikot. Damit hält „der Kannibale“den Rekord vor den Italienern Francesco Moser (57) und Gino Bartali (50).
260 Fahrer
fuhren bis zur 13. Etappe der diesjährigen 109. Giro-Auflage zumindest einen Tag lang im rosa Trikot. Vier davon verteidigten es von der ersten bis zur letzten Etappe, zuletzt Gianni Bugno 1990. kein Glück, erst 1934 wurde er Mussolinis Auftrag gerecht. Dank eines zweiten Zeitfahrens im Programm und möglicherweise verbotener Hilfe der Organisatoren. Diese hätten ihn auf Anordnung von ganz oben im Kofferraum ihres Autos einen Berg hinaufgeführt, wie der damals zweitplatzierte Camusso moniert haben soll.
Stilsicher oder nicht. Waren diese ersten rosa Trikots noch aus Wolle und mit Taschen alles andere als aerodynamisch, werden sie heute aus Kunstfaser, extraleicht und anliegend (für das Zeitfahren gibt es eine eigene, noch engere Version), hergestellt. Das jährliche Design obliegt seit 2018 wieder der italienischen Modemarke Castelli, Auftritte auf der Mailänder Modemesse machen die Bedeutung dieses Kleidungsstückes für Italien deutlich. Die stilistische (und technologische) Weiterentwicklung ist im Museo del Ghisallo in der Nähe des Comer See zu sehen, über 50 originale rosa Trikots der Rundfahrt sind dort ausgestellt.
»Ein zartes Rosa, wie bei Frauen-Unterwäsche«, urteilte eine Zeitung bei der Premiere.
Der Duce hatte seinen Sieger für die Premiere auserkoren. Doch Learco Guerra fiel aus.
Zum 86. Mal wird heuer beim Giro darum gerittert, wer am kommenden Sonntag das inzwischen heiß begehrte Stück ins Ziel nach Verona bringen darf. Nicht alle Profis wissen sich in Rosa stilsicher zu präsentieren, wie etliche Best- und Worst-of-Listen belegen. Unvergessen der vom Trikot inspirierte rosafarbene Skinsuit von Mario Cipollini 2005. Dass Alexander Winokurow es fünf Jahre später unter einer gelben Jacke versteckte, nahmen ihm Tifosi übel. Ganz anders Vincenzo Nibali, der 2013 bei seinem ersten Giro-Sieg auf einen transparenten Regenschutz setzte. In einer Online-Umfrage im Vorjahr kürten Fans aus 32 Kandidaten schließlich das rosa Trikot, in dem Marco Pantani 1998 triumphierte, zum bislang schönsten der Geschichte.