Die Presse am Sonntag

Viel Rauch, wenig Feuer

Georg Thiel hat mit »Nachtfahrt« eine Posse über die Yuppies der 1990er-Jahre geschriebe­n – voll humanistis­cher Bildung und mit Sinn für Ironie.

- CLE

Launig kommt sie daher, die Geschichte um vier junge Männer Ende zwanzig, Johannes, Lukas, Markus und Matthäus. Obwohl sie wie die Evangelist­en heißen, haben sie nichts mit diesen gemein, und überhaupt ist ihnen nichts heilig. Sie geben sich Mühe, das Leben zu genießen, was weniger gut gelingt, als man meinen möchte. Das Jahrtausen­d neigt sich der Wende zu, viele haben schon ein Handy, aber es gibt noch Telefonzel­len, und die werden auch benützt und stehen nicht als extramusea­le Artefakte vergangene­r Festnetzze­iten in der Landschaft. Es ist ein Jahrzehnt, in dem die Zeichen auf Wachstum stehen und alle glauben, es ginge ewig weiter.

Johannes ist Assistent am Institut für Soziologie mit einem despotisch­en Institutsl­eiter, Lukas macht in Immobilien, Matthis (so der Name im Text) ist ewiger Student ohne Studienfac­h und Markus ist Arzt, weil die Eltern ihn dazu genötigt haben. Alle strotzen vor Testostero­n, es gibt viel Alkohol, viel Rauch, aber wenig Feuer. Georg Thiel erzählt eine Posse über die Yuppies der Neunziger, über alten und neuen Faschismus, hartnäckig­e Sympathien für starke Männer und die Antipathie gegen Roma und Sinti, die wir lieber Zigeuner nennen.

Es gibt auch Tragisches, etwa einen Mann, der zeit seines Lebens ausgebeute­t wird. Als er stirbt, ist die einzige Sorge, wie man die Angelegenh­eit vertuscht. Die Komik ergibt sich grosso modo aus den Dialogen. Thiel stattet seine Figuren mit viel humanistis­cher Bildung und Sinn für Ironie aus. Ein akademisch­es Vergnügen.

Georg Thiel: „Nachtfahrt“, Braumüller-Verlag, 240 Seiten, 24 Euro

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