»Vielleicht um ein Alzerl besser als Kurz«
Der steirische Landeshauptmann, Hermann Schützenhöfer, wirbt für die aus der Mode gekommene Große Koalition, kritisiert das »vergiftete Klima zwischen ÖVP und Justiz« – und lobt das gute Verhältnis des Kanzlers zu den Grünen.
Herr Landeshauptmann, sowohl die Bundesregierung als auch Ihre Landesregierung haben dieser Tage Halbzeit. Beginnen wir im Bund: Wie fällt Ihre Bilanz nach zweieinhalb Jahren Türkis-Grün aus?
Hermann Schützenhöfer: Sie ist sehr viel besser als der Ruf der Regierung. Es gab zuletzt eine Pflegereform, dazu kommen Steuerreform und das Paket gegen die Teuerung. Außerdem haben wir bei der Landeshauptleutekonferenz festgelegt, dass die kalte Progression abgeschafft wird, das kostet bis 2026 elf Milliarden Euro. Man darf dabei übrigens eines nicht vergessen: 21 Prozent davon zahlen die Länder, also wir. Die Inflation ist zu hoch, sie frisst die Lohnerhöhungen. Daher muss man da etwas machen – einerseits für die kleinen Einkommen, andererseits vor allem für den Mittelstand.
Die Abschaffung der kalten Progression wurde schon oft angekündigt. Warum soll das ausgerechnet jetzt kommen?
Weil sich jetzt alle einig sind. Der Bund hat ja früher immer nur darüber geredet. Finanzminister Magnus Brunner kann rechnen, er weiß, wie viel das kostet – aber auf den kann man sich verlassen. Und die Länder tun mit. Wir haben alle Geld ausgegeben, das kein Mensch mehr hat. Aber wir können nicht den Mittelstand dahindarben lassen. Da müssen wir gegensteuern, es ist eine außergewöhnliche Zeit. Da muss man auch außergewöhnliche Maßnahmen setzen.
Befristet oder endgültig?
Darüber wird noch diskutiert.
Aber welcher Politiker würde so etwas denn je wieder zurücknehmen?
Ich glaube, wenn man es einmal macht, wird es endgültig sein.
Sind Sie zufrieden mit der Amtsführung der vergangenen Monate?
Zufrieden darf man in der Politik nie sein. Aber ich denke, wir sind in einer nicht gerade beneidenswerten Phase der Politik. Die Regierung arbeitet gut, leistet viel. Sie kommt aber nicht wirklich vom Fleck. Das hat natürlich viel mit angeblichen Skandalen – viele davon erweisen sich ja dann als null und nichtig – zu tun. Da sind wir in einer Abneigungsdebatte, die man nur überwinden kann, wenn man zuhört und den Kritikern Raum lässt, um das Vertrauen zurückzugewinnen.
Sie meinen, die ÖVP soll sich weniger um die Kritik im U-Ausschuss kümmern?
Es ist schon etwas Einmaliges, dass man einen U-Ausschuss gegen eine Partei macht. Wo bleiben die U-Ausschüsse gegen andere Parteien und ihre Verzweigungen? Aber da will ich gar nicht aufrechnen. Auch in der Justiz gibt es in einigen Fällen eine relativ starke Schlagseite bei der Verfolgung von ÖVP-Politikern.
Woran würde diese Schlagseite, so es sie überhaupt gibt, Ihrer Ansicht nach liegen?
Ich glaube schon, dass es da viele Bestemmhaltungen gibt. Wir müssen aufpassen, dass nicht alles, was kritisiert werden kann, von vornherein zum Kriminalfall wird. Das Klima zwischen ÖVP und Justiz ist jedenfalls vergiftet, zum Schaden aller. Das müssen wir beruhigen, ohne etwas unter den Tisch zu kehren. Ich will, dass diese Dinge bereinigt werden und aufhören, aber ich will nicht, dass normale Vorgänge kriminalisiert werden.
Apropos: Ist es ein normaler Vorgang, wenn sich der oberösterreichische Seniorenbund, eine Teilorganisation der ÖVP, als Verein auftretend zwei Millionen Euro Förderungen holt, die Parteien nicht kriegen dürften?
Vom Steuerberater ist dargestellt worden, dass das passt. Und wenn es passt, kann man dagegen nichts einwenden.
In der Steiermark ist das nicht passiert?
Unser Landesgeschäftsführer hat alle Teilorganisationen abgefragt. Niemand hat angesucht oder etwas bekommen.
Und Sie finden diese Zahlungen moralisch in Ordnung? Die Steirer werden einen Grund haben, warum man dieses Geld nicht beantragt hat, man ist ja nicht blöd.
Ich habe mich beim einen wie beim anderen erkundigen müssen, aber bei uns gibt es da nichts, was man näher anschauen müsste.
Seit Monaten heißt es, die schwarzen Landeshauptleute seien unter Karl Nehammer viel mächtiger, als sie es unter Sebastian Kurz gewesen sind. Sind Sie denn mächtiger geworden, Herr Landeshauptmann?
Nein. Ich bin im Lebendgewicht mächtiger geworden. Die Landeshauptleute hatten immer Gewicht, das war bei Kurz nicht anders. Ich bin sehr verwundert, wie man jetzt den Landeshauptleuten eine Rolle zuschreibt, die sie nicht haben. Und wenn wir sie haben, dann hatten wir sie vorher schon.
Hat sich also nichts geändert?
Es hat sich nichts geändert.
Worin unterscheiden sich Sebastian Kurz und Karl Nehammer?
Diese Frage ist nicht zu beantworten. Jeder Mensch ist seinem Wesen nach einzigartig. Nehammer ist für mich ein Pragmatiker, der Dinge gut abspricht. Man hat den Eindruck, dass er mit dem Koalitionspartner sehr gut kann. Vielleicht um ein Alzerl besser als Kurz. Das ist gut: Denn in der Koalition ist manches fragil geworden, die Grünen tanzen etwa im U-Ausschuss raus. Das macht das Koalitionsleben schwer. Anders als bei uns in der Steiermark,
Sie haben Ihr Koalitionsprogramm, das kurz vor der alles verändernden Coronakrise gemacht wurde, ergänzt. Soll das die Bundesregierung, die ihr Programm zur selben Zeit geschrieben hat, auch tun?
Wir haben das gemacht, weil wir sahen, dass wir durch diese Pandemie irgendwie gefangen genommen wurden. Aber das muss jeder selbst wissen.
Es gehörte zum türkisen Markenkern, Große Koalitionen kategorisch abzulehnen. Gilt dieses Dogma unter Nehammer noch?
Kanzler Nehammer lehnt das nicht kategorisch ab. Er bemüht sich um eine gute Basis mit den Grünen, aber er vergibt sich nichts in Bezug auf spätere Koalitionen.
Glauben Sie, dass wir bald wieder eine Große Koalition auf Bundesebene haben?
Das kann ich nicht beurteilen. Ich bin ein überzeugter Anhänger einer solchen Zusammenarbeit, aber ich habe das zu beurteilen für das Land. Und nicht für den Bund.
Aber fänden Sie es gescheit?
Ich finde jedenfalls gescheit, wie die Landeshauptleute – und das sind ein paar Schwarze und ein paar weniger Rote – zusammenarbeiten. Wenn die neun sich auf etwas einigen, gibt es kaum Widerstand in Österreich dazu. Ich spreche jetzt zwar keine Empfehlungen für eine Koalition aus, aber ich wünsche mir, dass sowohl die ÖVP als auch die SPÖ eine Koalition mit dem jeweils anderen Partner nicht ausschließen. Der nationale Schulterschluss ist uns ja etwa bei der Impfpflicht oder bei Corona nicht gelungen, deshalb gab es auch manches Desaster.
Wissen Sie schon, wem Sie im Herbst bei der Hofburg-Wahl Ihre Stimme geben?
Das überlege ich mir gut. Ich habe immer gesagt, es ist eine Frage der Selbstachtung, bei allen Wahlen einen Kandidaten aufzustellen. Es ist aber auch eine Frage der Weisheit, das in bestimmten Situationen nicht zu tun. Wir haben mit dem Bundespräsidenten gut zusammengearbeitet, er hat uns gut durch die Krise gebracht.
Ist es schlüssig, nicht zu kandidieren, aber auch keine Wahlempfehlung abzugeben?
Wir gehen davon aus, dass wir es mit mündigen Menschen zu tun haben. Wenn man genau weiß, wer antritt, wird man die Frage nach der Empfehlung noch einmal stellen. Die ÖVP hat damit, dass sie keinen Kandidaten aufstellt, ohnehin ein klares Zeichen gesetzt.
Zuletzt forderten Sie einen freien Karfreitag für alle, als Opfer brachten Sie den Ostermontag ins Spiel. Was gefällt Ihnen denn nicht am „persönlichen Feiertag“, der unter Türkis-Blau eingeführt wurde?
Für die Christen sind der Ostersonntag und der Karfreitag die zentralen Feiertage zu Ostern. Alle, die eine Kirche noch nie von innen gesehen haben, wollen natürlich alle katholischen Feiertage behalten. Sich zu fürchten, dass am Karfreitag die Leute sonst nicht mehr einkaufen, ist der falsche Ansatz.
Sie treten an diesem Wochenende wieder als eine Art Schirmherr beim jährlich stattfindenden Ausseer Narzissenfest auf – ist es Ihr letztes als Landeshauptmann?
Fangfrage! Ich bin da immer gern hingefahren. Und ich werde auch in Zukunft gern hinfahren. Ob als Landeshauptmann oder nicht, das werden wir sehen. Schauen Sie: Bleibe ich so lang im Amt wie Erwin Pröll, dann wär ich mit 89 noch Landeshauptmann. Aber wenn ich 2024 wieder antrete, bin ich am Ende der Legislaturperiode immer noch jünger, als es der Bundespräsident jetzt ist.
Sie haben also keinen Stress mit der Amtsübergabe?
Ich habe keinen Stress.