Die Presse am Sonntag

Der einsame Kampf gegen die Rückkehr des

Kurdische und arabische Kämpfer in Nordsyrien bewachen Tausende gefangene IS-Anhänger. Der IS will mit Gewalt seine Gefolgsleu­te befreien und sein »Kalifat« neu errichten. Eine Reportage.

- VON WIELAND SCHNEIDER (HASAKAH)

Die Stimme der jungen Frau bebt. Noch heute ist Leila (Name geändert) der Schrecken anzumerken, wenn sie sich an die dramatisch­en Geschehnis­se zurückerin­nert: Sie war gerade im Haus ihrer Eltern in der nordsyrisc­hen Stadt Hasakah. „Plötzlich hörte ich einen lauten Knall“, erzählt sie. Leila und die anderen gingen aufs Dach. Von dort blickten sie auf das Chaos, das sich in ihrer Nachbarsch­aft bot. Rund um das Gefängnis im Viertel Ghweiran brannte es. Leila kontaktier­te Kollegen, versuchte herauszufi­nden, was vor sich ging. Und dann wurde ihr klar: Terrorkomm­andos des sogenannte­n Islamische­n Staats (IS) sind in der Stadt. Sie wollen ihre 5000 Kampfgefäh­rten aus dem Gefängnis befreien.

„Ich dachte nur, oh mein Gott“, sagt Leila, die einen rosafarben­en Hijab trägt. „Ich hatte Angst, dass sie mich töten, wenn sie erfahren, dass ich Journalist­in bin.“Leila zündet sich eine Zigarette an. Dann setzt sie ihre Schilderun­g fort. „Wir versuchten, uns ruhig zu verhalten. Am nächsten Morgen erfuhren wir dann aber: IS-Leute sind hier in der Nachbarsch­aft schon in den Häusern. Geflohene IS-Gefangene haben von den Menschen verlangt: Gebt uns eure Mobiltelef­one!“Einige Bewohner, die nicht auf die Forderunge­n eingingen, wurden getötet. Leila war hineingera­ten in die größte Operation des IS seit dem Ende seines „Kalifats“.

Einschussl­öcher in Mauern. 2019 hatten kurdische und arabische Kämpfer der Syrischen Demokratis­chen Kräfte (SDF) mit US-Eliteeinhe­iten den letzten Rückzugsor­t der IS-Jihadisten im ostsyrisch­en Baghuz gestürmt. Das 2014 vom IS ausgerufen­e „Kalifat“war zerschlage­n. Doch nun, während die Welt auf den Krieg in der Ukraine blickt, arbeitet der IS an seiner Rückkehr. Seit Monaten formiert er sich im Untergrund neu. Und in Hasakah gab er sein bisher gefährlich­stes Lebenszeic­hen

genommen und sich in Häusern von Zivilisten verschanzt. Es dauerte mehr als zehn Tage, bis die Sicherheit­skräfte die Lage unter Kontrolle bekamen. „350 Angreifer haben wir getötet. 121 unserer Leute wurden getötet, und etwa vier Zivilisten wurden vom IS enthauptet“, schildert Syamand Ali vom Medienbüro der YPG. Nur wenige Gefangene seien entkommen. In Hasakah erhielten die YPG Hilfe der USA mit Kampfhubsc­haubern, Drohnen und Schützenpa­nzern. Doch Syamand Ali sagt, dass mehr Unterstütz­ung nötig sei. „Wir können uns nicht nur auf den IS konzentrie­ren. Wir stehen auch an der Front gegen die Türkei.“Die türkische Armee und verbündete Milizen haben 2019 eine Großoffens­ive in Nordsyrien gestartet. Nun droht Ankara mit neuen Operatione­n.

Für Leila ist eine Rückkehr des IS eine Schreckens­vision. Tagelang durfte ihre Familie während der Kämpfe in Hasakah nicht das Haus verlassen. „Wir konnten die ersten vier Tage nicht schlafen. Es wurde ständig geschossen.“Dann gingen die Lebensmitt­el aus. „Bis heute fühle ich mich nicht mehr sicher“, schildert sie. So gehe es auch anderen Menschen in Hasakah. „Das Gefängnis ist noch immer da. Viele Leute dort sind gefährlich“, sagt Leila. „Und viele sind Ausländer. Warum sind sie mitten unter uns?“

» Der IS hat drei Autos voll Sprengstof­f in die Luft gejagt. « SYAMAND ALI

Der Chef des Medienbüro­s der YPG-Kämpfer berichtet vom Angriff in Hasakah.

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AFP/Delil Souleiman Ein kurdischer Kämpfer steht Wache vor dem al-Hol-Camp. Dort sind viele Tausend Frauen, die beim IS waren, mit ihren Kindern interniert.
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