»Wir hoffen, dass Österreich seine Bürger zurücknimmt«
Der Vizechef der Selbstverwaltung Nordsyriens warnt, dass das ungelöste Problem der IS-Gefangenen ein Risiko für Europa ist.
Sie bewachen in Ihrem Gebiet Tausende gefangene Kämpfer des Islamischen Staats (IS) und deren Familien. Der IS hat zuletzt in Hasakah versucht, Gefangene zu befreien.
Bedran ¸Ciya Kurd: Der internationale Fokus liegt jetzt auf der Ukraine. Aber es wäre ein großer Fehler, Syrien und den Irak zu vernachlässigen. Das könnte dazu führen, dass sich der IS und andere Extremisten erneut in der Region ausbreiten. Wir haben zusammen mit der internationalen Gemeinschaft den Krieg gegen den IS geführt. Als Ergebnis sitzen Tausende IS-Kämpfer in unseren Gefangenenzentren und Zehntausende IS-Frauen und ihre Kinder in Camps wie al-Hol. Das ist eine große Belastung für unsere Autonome Verwaltung: in rechtlicher und humanitärer Hinsicht und in puncto Sicherheit.
Was fordern Sie?
Nach der Niederlage des IS haben wir von der internationalen Gemeinschaft die Schaffung eines internationalen
Bedran ¸Ciya Kurd
ist Vizevorsitzender der Autonomen Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien.
Die Selbstverwaltung
ging aus den von Kurden besiedelten Teilen Syriens hervor. Mit der Vertreibung des IS wuchs ihr Gebiet weiter an. Heute ist sie offiziell ein Projekt von Kurden, Arabern und anderen Gruppen.
Tribunals für die IS-Kämpfer gefordert. Und wir haben verlangt, dass jedes Land, das eigene Staatsbürger in unserer Region hat, die Frauen und die Kinder zurücknimmt. Aber bis jetzt gab es leider keine positive Antwort. Die Autonome Verwaltung kann diese große Verantwortung nicht allein tragen. Der IS profitiert von dieser Situation. Er versucht, sich zu reorganisieren. Das Problem wird durch das Verhalten der internationalen Gemeinschaft verschärft. Die Frauen und Kinder in den Camps leben in einer radikalen Atmosphäre. Einige Frauen indoktrinieren nach wie vor ihre Kinder mit der ISIdeologie. In der Zukunft könnte das eine tickende Zeitbombe sein. Wir haben fast 2000 ausländische Kämpfer in unseren Gefangenenzentren. Warum stellt man sie nicht vor Gericht?
Warum tun Sie das nicht?
Unsere Autonome Verwaltung sollte nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass die ausländischen ISKämpfer noch nicht vor Gericht gestellt wurden. Denn dafür brauchen wir die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Wir brauchen juristische Hilfe, damit wir in der Lage sind, Prozesse abzuhalten.
In den Camps werden auch mindestens zwei Österreicherinnen festgehalten, die beim IS waren. Was erwarten Sie von Österreich?
Wir hoffen, dass Österreichs Regierung die richtige Entscheidung trifft, um den Terrorismus zu schwächen. Wir hoffen, dass Österreich seine Bürger zurücknimmt. Wir als Autonome Verwaltung sind bereit, Österreichs Regierung dabei jede Hilfe zu bieten.
Ein Argument der Länder in Europa ist, dass sie Angst davor haben, Staatsbürger zurückzunehmen, die beim IS waren.
Ich möchte den Ländern, die sich vor der Rückkehr ihrer Bürger fürchten, sagen: Am Ende sind sie ihre Staatsbürger.
Sie sind hierhergekommen, um bei uns Menschen zu töten und Terroranschläge zu verüben. Wir haben Tausende Gefallene geopfert, um den Terror zu besiegen – im Dienste der ganzen Menschheit. Wir erwarten, dass diese Länder unser Opfer würdigen, indem sie mit uns kooperieren. Wenn diese Länder vor diesem Problem davonlaufen, indem sie ihre Bürger einfach bei uns lassen wollen, ist das nicht hilfreich. Hätte der IS in Hasakah Erfolg gehabt und seine 5000 Kämpfer befreit, hätten es natürlich einige davon geschafft, in ihre Länder zurückzukehren. Sie wären dann eine große Bedrohung. Aber zum Glück konnten wir die Kontrolle über das Gefängnis wiederherstellen. Aber sie könnten erneut versuchen auszubrechen. Im al-Hol-Camp mit der großen Zahl an IS-Familien haben wir die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. Wenn die Dinge in al-Hol außer Kontrolle gerieten: Was für eine Katastrophe wäre dann möglich.