Die Presse am Sonntag

Fußball-Samba in Madrid

Für ganz große Sele¸c˜ao-Stars fehlt dem hochversch­uldeten Real Madrid das nötige Kleingeld. Daher setzen die Königliche­n jetzt vorwiegend auf brasiliani­sche Nachwuchst­alente.

- VON ADRIAN LOBE

Nach dem 3:1-Sieg über Manchester City im Rückspiel des Champions-LeagueHalb­finales stellte das Social-Media-Team von Real Madrid ein paar Videoclips ins Netz, das die Mannschaft beim Feiern zeigte. Die Spieler führten in der Kabine einen Tanz auf, der irgendwo zwischen Freestyle und Limbo oszilliert­e. Wobei die Latte hoch lag, schließlic­h hatten die Brasiliane­r Rodrygo und Vinicius Junior zuvor schon ihre Sambakünst­e auf TikTok demonstrie­rt.

Wenn Rodrygo dribbelt, könnte man meinen, er tanze mit seinen Gegenspiel­ern mitunter Samba. Der 21-jährige Brasiliane­r, der 2018 für 45 Millionen Euro vom FC Santos verpflicht­et worden war und zuletzt etwas im Schatten seines überragend­en Sturmkolle­gen Karim Benzema stand, hatte mit seinem Doppelpack in dem epischen Rückspiel maßgeblich­en Anteil am Finaleinzu­g von Real. Zusammen mit seinen Landsleute­n Vinicius, E´der Milita˜o und den an Dortmund ausgeliehe­nen Reinier gehört er zu einer Spielergen­eration, die schon als Nachfolger von Lionel Messi und Cristiano Ronaldo gehandelt wird.

Brasilien ist kein Geheimtipp mehr, aber der Fußballmar­kt für Chefscout Juni Calafat.

Real war schon immer eine kleine Selec¸a˜o, die Brasilien-Connection steht in einer langen Traditions­linie, die von Robinho, Roberto Carlos und Ronaldo bis hin zu Fernando Rubens Pasi Giudicelli reicht. Letzterer trug 1935 als erster Brasiliane­r das weiße Trikot der „Königliche­n“. In den 1920er-Jahren waren die ersten Teams aus Argentinie­n und Brasilien auf Europatour­nee, sie spielten in den Stadien von Paris, Genua und Rotterdam, und die Gazetten schrieben über die Ballkünste der lateinamer­ikanischen Kicker, als wären es Zirkusarti­sten. Tempi passati.

Chefscout als Architekt. Brasilien ist schon lange kein Geheimtipp mehr unter Fußballexp­erten, sondern ein hochprofes­sionalisie­rter Markt, in dem Talentsuch­er aus allen europäisch­en Ligen unterwegs sind und Jugendlich­e unter Vertrag nehmen. So schloss Rodrygo (bzw. seine Eltern) bereits als 11-Jähriger einen Sponsorenv­ertrag mit Nike ab.

Liverpool-Coach Jürgen Klopp war von den Videoaufna­hmen von Rodrygo so begeistert, dass er extra nach Brasilien flog, um den damals 16-Jährigen zu sichten. Doch der FC Santos wollte das Stürmertal­ent zunächst nicht abgeben. Dass der Spieler letztlich in Madrid und nicht in Liverpool unterschri­eb, ist vor allem dem Beharrungs­vermögen von Reals Chefscout Juni Calafat zu verdanken. Immer wieder hat er Gespräche vor Ort geführt, mit Rodrygo, dessen Beratern und Klubverant­wortlichen. Der Spanier, der in Sa˜o Paulo aufwuchs und in der Madrider Vorstadt Mo´ stoles die südamerika­nischste aller Sportarten, nämlich Futsal, spielte, ist in beiden Kulturen zu Hause: Er spricht fließend Spanisch und Portugiesi­sch, was ihm in Verhandlun­gen zupasskomm­t.

Schließlic­h trafen sich Santos-Präsident Jose Carlos Peres und Calafat im Sommer 2018 in einer Kaffeehaus­kette in Liverpool – ausgerechn­et, wo sich die „Reds“bereits handelsein­ig mit der brasiliani­schen Seite wähnten. Calafat holte sein Tablet raus und schaltete Real-Präsident Florentino Pe´rez per Facetime zu. Nach einer halben Stunde war der Deal in trockenen Tüchern.

Der Chefscout gilt als Architekt der „Blancos“: Er ist bestens vernetzt in der

Branche (unter anderem verbindet ihn eine Freundscha­ft mit den ehemaligen Real-Stars Kaka´ und Ronaldo), besitzt die Telefonnum­mern aller wichtigen Agenten und Manager in Brasilien.

» Was Vinicius und Rodrygo können, kann Real Madrid viel helfen. Sie sind wirklich traumhafte Fußballer. « CARLO ANCELOTTI

Nur Neymar kam nicht. Calafat begann seine Karriere als Journalist, als TV-Experte in der spanischen Fernsehsen­dung „Fiebre Maldini“wurde er einem breiteren Publikum bekannt. Seine Lateinamer­ika-Expertise sprach sich schnell herum. 2013 heuerte er bei Real als Scout an, zunächst als Verantwort­licher für Südamerika, später wurde er zum Leiter der internatio­nalen Fußballabt­eilung befördert.

Auch beim Transfer von Vinicius, der für 45 Millionen Euro von Flamengo kam, spielte Calafat eine entscheide­nde Rolle: Er sprach mit seiner Familie, stellte den Kontakt zum Management her und baute Vertrauen auf. Beim FC Barcelona, mit dem sich Vinicius und Berater bereits einig waren – die Parallelen sind auffällig – sprach man hinterher zwar von Betrug. Aber was gelten schon Worte und Treueschwü­re in einer Branche, in der man heute das Wappen küsst und morgen bei einem anderen Klub unterschre­ibt?

Bei Real können sie selbst ein Lied davon singen. Immer wieder versuchte man, Neymar zu verpflicht­en. 2005 luden

Reals Trainer über seine beiden Brasiliane­r

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AFP / Gabriel Bouys Mit ihnen feiert Real Madrid: die Brasiliane­r Rodrygo und Vinicius Junior überzeugen.

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