Fußball-Samba in Madrid
Für ganz große Sele¸c˜ao-Stars fehlt dem hochverschuldeten Real Madrid das nötige Kleingeld. Daher setzen die Königlichen jetzt vorwiegend auf brasilianische Nachwuchstalente.
Nach dem 3:1-Sieg über Manchester City im Rückspiel des Champions-LeagueHalbfinales stellte das Social-Media-Team von Real Madrid ein paar Videoclips ins Netz, das die Mannschaft beim Feiern zeigte. Die Spieler führten in der Kabine einen Tanz auf, der irgendwo zwischen Freestyle und Limbo oszillierte. Wobei die Latte hoch lag, schließlich hatten die Brasilianer Rodrygo und Vinicius Junior zuvor schon ihre Sambakünste auf TikTok demonstriert.
Wenn Rodrygo dribbelt, könnte man meinen, er tanze mit seinen Gegenspielern mitunter Samba. Der 21-jährige Brasilianer, der 2018 für 45 Millionen Euro vom FC Santos verpflichtet worden war und zuletzt etwas im Schatten seines überragenden Sturmkollegen Karim Benzema stand, hatte mit seinem Doppelpack in dem epischen Rückspiel maßgeblichen Anteil am Finaleinzug von Real. Zusammen mit seinen Landsleuten Vinicius, E´der Milita˜o und den an Dortmund ausgeliehenen Reinier gehört er zu einer Spielergeneration, die schon als Nachfolger von Lionel Messi und Cristiano Ronaldo gehandelt wird.
Brasilien ist kein Geheimtipp mehr, aber der Fußballmarkt für Chefscout Juni Calafat.
Real war schon immer eine kleine Selec¸a˜o, die Brasilien-Connection steht in einer langen Traditionslinie, die von Robinho, Roberto Carlos und Ronaldo bis hin zu Fernando Rubens Pasi Giudicelli reicht. Letzterer trug 1935 als erster Brasilianer das weiße Trikot der „Königlichen“. In den 1920er-Jahren waren die ersten Teams aus Argentinien und Brasilien auf Europatournee, sie spielten in den Stadien von Paris, Genua und Rotterdam, und die Gazetten schrieben über die Ballkünste der lateinamerikanischen Kicker, als wären es Zirkusartisten. Tempi passati.
Chefscout als Architekt. Brasilien ist schon lange kein Geheimtipp mehr unter Fußballexperten, sondern ein hochprofessionalisierter Markt, in dem Talentsucher aus allen europäischen Ligen unterwegs sind und Jugendliche unter Vertrag nehmen. So schloss Rodrygo (bzw. seine Eltern) bereits als 11-Jähriger einen Sponsorenvertrag mit Nike ab.
Liverpool-Coach Jürgen Klopp war von den Videoaufnahmen von Rodrygo so begeistert, dass er extra nach Brasilien flog, um den damals 16-Jährigen zu sichten. Doch der FC Santos wollte das Stürmertalent zunächst nicht abgeben. Dass der Spieler letztlich in Madrid und nicht in Liverpool unterschrieb, ist vor allem dem Beharrungsvermögen von Reals Chefscout Juni Calafat zu verdanken. Immer wieder hat er Gespräche vor Ort geführt, mit Rodrygo, dessen Beratern und Klubverantwortlichen. Der Spanier, der in Sa˜o Paulo aufwuchs und in der Madrider Vorstadt Mo´ stoles die südamerikanischste aller Sportarten, nämlich Futsal, spielte, ist in beiden Kulturen zu Hause: Er spricht fließend Spanisch und Portugiesisch, was ihm in Verhandlungen zupasskommt.
Schließlich trafen sich Santos-Präsident Jose Carlos Peres und Calafat im Sommer 2018 in einer Kaffeehauskette in Liverpool – ausgerechnet, wo sich die „Reds“bereits handelseinig mit der brasilianischen Seite wähnten. Calafat holte sein Tablet raus und schaltete Real-Präsident Florentino Pe´rez per Facetime zu. Nach einer halben Stunde war der Deal in trockenen Tüchern.
Der Chefscout gilt als Architekt der „Blancos“: Er ist bestens vernetzt in der
Branche (unter anderem verbindet ihn eine Freundschaft mit den ehemaligen Real-Stars Kaka´ und Ronaldo), besitzt die Telefonnummern aller wichtigen Agenten und Manager in Brasilien.
» Was Vinicius und Rodrygo können, kann Real Madrid viel helfen. Sie sind wirklich traumhafte Fußballer. « CARLO ANCELOTTI
Nur Neymar kam nicht. Calafat begann seine Karriere als Journalist, als TV-Experte in der spanischen Fernsehsendung „Fiebre Maldini“wurde er einem breiteren Publikum bekannt. Seine Lateinamerika-Expertise sprach sich schnell herum. 2013 heuerte er bei Real als Scout an, zunächst als Verantwortlicher für Südamerika, später wurde er zum Leiter der internationalen Fußballabteilung befördert.
Auch beim Transfer von Vinicius, der für 45 Millionen Euro von Flamengo kam, spielte Calafat eine entscheidende Rolle: Er sprach mit seiner Familie, stellte den Kontakt zum Management her und baute Vertrauen auf. Beim FC Barcelona, mit dem sich Vinicius und Berater bereits einig waren – die Parallelen sind auffällig – sprach man hinterher zwar von Betrug. Aber was gelten schon Worte und Treueschwüre in einer Branche, in der man heute das Wappen küsst und morgen bei einem anderen Klub unterschreibt?
Bei Real können sie selbst ein Lied davon singen. Immer wieder versuchte man, Neymar zu verpflichten. 2005 luden
Reals Trainer über seine beiden Brasilianer