Teamchef ohne Tellerrand
Mit Teamchef Ralf Rangnick startet der ÖFB eine Offensive. Der Deutsche, 63, gilt als Mastermind der RB-Schule. Kann Österreich aber so spielen?
Rangnick übt neben dem Teamchefposten auch weiterhin seinen Beraterjob bei Manchester United aus. Was entgegnen Sie jenen Kritikern, die eine Doppelfunktion für zeitlich nicht vereinbar halten?
Sie war Teil dieses Deals. Auch weil ich überzeugt bin, dass es zeitlich machbar ist. Ich weiß, wie intensiv Ralf und sein Team arbeiten. Aber: Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass der ÖFB eine solche Nebenbeschäftigung ermöglicht. Ohne diese wäre die Zusammenarbeit nicht zustande gekommen. Ich will ja, dass es meinem Teamchef gut geht. Wenn er das also machen möchte, kann er das gern tun.
Sollte das Engagement in Manchester früher als geplant enden, dürfte Rangnick also auch für einen anderen Klub arbeiten?
Sollte dieser Fall eintreten, hat Ralf weiterhin die Möglichkeit einer Nebenbeschäftigung, ja. Die Freigabe für ein potenzielles alternatives Engagement liegt aber stets beim ÖFB.
Was Fußballinteressierte in Österreich für unmöglich hielten, wurde Wirklichkeit. Ralf Rangnick, 63, wurde Ende April zum neuen ÖFB-Teamchef bestellt und als Nachfolger seines Landsmanns Franco Foda präsentiert. War nach dem Flop in der verpassten WMQualifikation und dem Play-off-Aus in Wales klassisch um Gagen, Machbarund Sinnhaftigkeit debattiert und zugleich die österreichische Trainerausbildung infrage gestellt worden, drehte sich mit der Verkündung des neuen Trainers alles nur noch um seine Person. Wie wurde das möglich? Ist es überhaupt sinnvoll, einen Teilzeitteamchef zu beschäftigen? Wieso Rangnick? Wieso nicht!
Es ist, obgleich das manch eingefleischter Fußballexperte der Alpenrepublik partout so nicht wahrhaben will, ein Coup. Ungeachtet des unglücklich anmutenden Engagements bei Manchester United – da hat der Betreuer aus Backnang, Baden-Württemberg, quasi als Feuerwehr bis Saisonende angeheuert und den Klub auf Platz sechs geführt – gilt Rangnick als Fachmann. Er hat Erfahrung mit Neuanfängen, versteht Aufbauarbeit anders und bricht mit verrosteten Strukturen. Wo andere nur Staubwischen, sagt er offen seine Meinung. Und räumt auf. So die Vision.
Damit gilt einer wie er in Österreich automatisch als schwierig. Für den Verband ist es ein mutiger, womöglich wegweisender Schritt aus dem Gestolper der Vergangenheit. Für Spieler ist es ein neuer Input, fader Sicherheitskick war (hoffentlich) gestern, wenngleich der Beweis im Fall des ÖFB-Teams erst ansteht, dass hohes Pressing ein allgemeingültiges Erfolgsrezept sein kann nebst Vorgaben, den Ball nach maximal sieben Sekunden wieder abgespielt zu haben. Nicht jeder kann das, nicht jeder will das – Rangnick wird es sich jedoch nicht ausreden lassen.
Neustart mit Hoffnung. Der 63-Jährige schürt in Österreich die Hoffnungen, dass mit ihm Qualifikationen für Großereignisse gelingen. Die EM 2024 hat er vorausgesetzt – auch aus dem Blickwinkel, dass die EM in Deutschland den wahren Anreiz für ihn dargestellt hat, diesen Job überhaupt anzunehmen –, und die WM 2026 ist das nächste Nahziel. Dass Österreich seit Frankreich 1998 nicht mehr dabei war, ist nicht nur Folge von Pech. Da fehlte immer mehr.
Auch ist nicht ganz nachvollziehbar, warum manch einer „motschkert“, Rangnick sei die falsche Wahl, da er nur als Teilzeitcoach an der Linie steht. Warum nicht? Alle anderen Teamchefs waren voll bezahlt und hatten – außer Herbert Prohaska (WM 1998), Marcel Koller (EM 2016) und Franco Foda (EM 2020) – keinen Erfolg. Die sechs Tage pro Monat, die Rangnick den „Red Devils“als Berater zu Verfügung steht, können Rot-Weiß-Rot keinen Schaden anhaben. Auch darum kann er sich den ÖFB-Job leisten, das ist die kostendeckende Wahrheit. Ob Handball, Eishockey oder Basketball – in so vielen anderen Sparten gibt es sie doch auch, die Part-time-Teamchefs.
Rangnick kennt System, Spiel und Denkweise im Land. Der ehemalige Mittelfeldspieler war 2012 in Salzburg gelandet, als Sportdirektor sollte er bei Red Bull alles umkrempeln und den Verein auf die Siegerstraße führen. Er gilt seitdem als Mastermind. Das Erreichte spricht Bände: neun Mal Serienmeister, zig Doubles, Stammgast in der Champions League und all das mit einer Akademie im Hintergrund und einem bis zu U7-Nachwuchsmannschaften durchgehenden Spielsystem. Ob das auch im ÖFB zu verankern ist?
Dem Deutschen ist das zuvor schon bei Hoffenheim gelungen, er hat einst den Schalke-Karren fit bekommen und RB Leipzig zu dem gemacht, was es heute ist. Ob Ulm, Stuttgart, Hannover – er hinterließ Spuren. Oft auch zu tiefe, weil er unbequem ist, sich nicht dreinreden lässt. Und sobald Siege ausblieben, auch
Ralf Rangnick
(* 29. Juni 1958 in Backnang, Deutschland) ist seit April 2022 Österreichs Fußballteamchef.
Aufstieg
Bekannt auf dem Trainersektor wurde der Vater von zwei Söhnen, als er mit TSG Hoffenheim aus der Drittklassigkeit in die Bundesliga (2006–2010) aufstieg.
Stationen
Zuvor war der ehemalige Mittelfeldspieler bereits u. a. bei Backnang, Stuttgart, Ulm, Hannover oder Schalke engagiert.
Erfolge
Er führte Schalke 2011 ins Halbfinale der Champions League, gewann den DFB-Cup mit den Knappen.
Red Bull
2012 trat Rangnick als Sportdirektor des Energydrinkkonzerns in Erscheinung. Er installierte Spiel, System und Trainer in Salzburg wie Leipzig.
2022
Ende Mai endet das Trainer-Engagement bei Manchester
United, er bleibt Berater und ist parallel dazu auch ÖFBTeamchef. Sein Vertrag verlängert sich mit Erreichen der EM
2024. im Auftritt nach außen nicht mehr so umgänglich anmutete wie manch anderer. Dabei kennt er auch in diesem Fall alle Seiten. Euphorie hin, Siege her – er durchlebte 2011 dunkle Stunden, fand aus einem „Burn-out“wieder heraus.
Ohne Beißhemmung. Jetzt hat Kleinkariertes auch im ÖFB vorerst ausgedient, so viel steht fest. Ob er sich bei seiner ersten Teamchefposition auch bei Nachwuchs, Trainerausbildung und Infrastrukturen einbringen kann, hängt vom sportlichen Freiraum ab. Es wird Debatten geben, endlich. Auch ist nicht mehr jeder Spieler (etwa Dragovic´) fix dabei, das hat seine erste Kadereinberufung gezeigt. Er will Neues probieren, anderen Chancen geben, Pressing-Fußball mit scharfen Ansagen sehen, ohne Berührungsängste, ohne Beißhemmung. Wer 40 Jahre im Trainergeschäft unterwegs ist – sein erster Klub war 1983 FC Viktoria Backnang, dort lernte er in Testspielen Trainerikone Waleri Lobanowski kennen und seinen Stil schätzen –, hat eigene Ansichten. Österreich kann profitieren, es kann auch ein Misserfolg sein. Dann haben es notorische Besserwisser freilich schon immer gewusst. Der ÖFB ist mit Rangnick jedenfalls über seinen Schatten gesprungen.
Er polarisiert, gibt Hoffnung, wird alles umkrempeln. Fades Sicherheitsspiel ist also pass´e.
Über den Deutschen – er ist Vater von zwei Söhnen, stieg mit vier verschiedenen Vereinen fünf Mal auf und gewann 2011 als Schalke-Trainer mit dem DFB-Cup seinen einzigen Titel – wird viel gemunkelt. Von „Kauz“bis „Professor“(analysierte die Viererkette in der ARD-„Sportschau“) reicht dieses Spektrum. Seine Stiftung kümmert sich darum, Kindern Chancen auf Entfaltung zu geben, die Beraterfirma läuft.
Die Wahrheit liegt auch für Rangnick nur auf dem Platz. Sofort warten Kracher wie Kroatien, Dänemark und Weltmeister Frankreich. Ein Satz von 2012, als er in Salzburg anfing, blieb unvergessen: „Ich sehe mich als Entwicklungshelfer.“Beim ÖFB wartet mehr Arbeit auf ihn, als er sich denken kann.