Die Wechseljahre: Endlich raus aus dem Tabu!
Die Generation der Babyboomer hat eine offene und ehrliche Debatte über die Menopause gestartet, die nun auf noch mehr Ebenen weitergeführt wird. Von Hormontherapien, Attraktivität – und dem Wunsch, sich nach dem Wechsel neu zu erfinden.
Die Bevölkerungspyramide, man kennt sie als Diagramm. Es sind Balken, die rechts und links, also für Männer und Frauen, von einem Strich in der Mitte abstehen. Die Striche sind karg nach dem Zweiten Weltkrieg, doch ab den 1950er-Jahren macht die Pyramide einen großen Bauch, sie zeigt die Babyboomer, zumindest bis Mitte der 1970er-Jahre. Etliche gesellschaftliche Entwicklungen lassen sich von diesem Diagramm ableiten. Für Veronika Pelikan, 60, hat der BabyboomerBauch auch die Augen geöffnet, und zwar dann, als sie in die Wechseljahre kam, und mit ihr eine ganze Generation geburtenstarker Jahrgänge. Als Journalistin, sagt Pelikan, habe sie sich im Laufe ihrer Karriere viel mit Frauenthemen beschäftigt, recherchiert und geschrieben, gelesen und gelesen. Doch zu Beginn des Wechsels kam die Erkenntnis: „Ich hatte keine Ahnung.“
Freilich, da gibt es diese Vorstellungen von der Menopause, Hitzewallungen und Schlafstörungen, hormonelle Veränderungen im Körper, aber: Nichts Genaues weiß man nicht, so ging es jedenfalls Pelikan. Wohl auch deswegen, weil das Thema weiterhin tabubehaftet ist, obwohl die gesellschaftliche Diskussion rund um die Wechseljahre breiteren Raum einnimmt als noch vor zwei, drei Generationen.
Das Thema vom Tabu befreien also, das hat sich Pelikan vorgenommen. Sie gründete vor Kurzem das Onlineportal wechselweise.net, das sich journalistisch und wissenschaftlich dieser neuen Lebensphase widmet. Pelikan sagt, in Mitteleuropa befindet sich ein Viertel der Frauen im Wechsel, allein im deutschsprachigen Raum sind Schätzungen zufolge 24 Millionen Menschen betroffen. Bei der Recherche für ihr Portal fiel ihr jedoch auf, dass die Menopause noch immer mit negativen Konnotationen daherkomme. Und als sie Bilder von Frauen in mittleren Jahren in diversen Datenbanken suchte, wurde sie gar nicht erst fündig. „Sie finden Bilder von attraktiven Frauen bis 40. Dann hört es auf, dann kommen Omas und Opas mit Apfelbäckchen. Wo sind aber die Frauen zwischen 40 und 60, warum zeigt man sie nicht?“
Trockenheitsgefühl. Wenn Frauen zu Beginn der Wechseljahre in die Ordination der Wiener Frauenärztin Doris Maria Gruber kommen, dann laute ein Standardsatz: „So kenne ich mich nicht.“Bei der Liste der Beschwerden sei jedes Organ betroffen, sagt Gruber. Viele fühlen sich unausgeglichen, leiden an Schlafstörungen, sind grantig bis depressiv. Andere wiederum haben Schmerzen in den Gelenken, ein Trockenheitsgefühl, das sie schwer beschreiben können. Hoher Blutdruck kommt nicht selten vor, trockene Haut und Schleimhäute, Harnwegsinfekte, Zahnfleischbluten und Herzrasen. „Viele merken einen Alterungsschub“, sagt Gruber, „sie merken, dass sie ihren Körper nicht mehr im Griff haben. Sie haben ihren Zyklus 40 Jahre gut kennengelernt und plötzlich tritt ein Durcheinander ein. Das irritiert.“
Grundsätzlich machen Expertinnen und Experten bei Frauen im Klimakterium – also im Zeitraum der hormonellen Umstellung – die Drittel-Regel aus: Ein Drittel hat keine Beschwerden, ein Drittel leichte bis mittlere, und das letzte Drittel starke. Und während es früher oft hieß: Ja, das ist der Wechsel, da muss man durch, suchen Betroffene heute gezielt nach Lösungen und Behandlungsmethoden, um die Beschwerden in den Griff zu bekommen. Denn zum einen werden Frauen einfach älter – gesund älter – und das heißt auch, dass mehr Frauen die Phase der Wechseljahre erreichen. Und zum anderen stehen sehr viele von ihnen mitten im Berufsleben. Wenn sie an Schlafstörungen leiden, müssen sie am nächsten Tag trotzdem aufstehen und in die Arbeit gehen. Diese Belastung ist auf Dauer schwer auszuhalten.
Die Betroffenen informieren sich. Das Internet ist voll mit guten und schlechten Ratschlägen, und immer mehr Neuerscheinungen nehmen sich dem Thema Menopause bzw. der Lebensphase im Alter an. Die Salzburger Gynäkologin Angelika Graf erzählt, dass ihre Patientinnen oft mit einem Vorwissen zu ihr kommen. Sie sagen: „Ich habe Sheila de Liz gelesen, und ich möchte eine Hormontherapie ausprobieren.“Die deutsch-amerikanische Ärztin hat mit „Woman on Fire“(2020) einen Bestseller geschrieben, der „New York Times“-Bestseller der Ärztin Jen Gunter, „Das Menopause Manifest“, ist soeben auf Deutsch erschienen. Die Liste ließe sich noch lang fortsetzen. Graf fällt auf, dass Publikationen wie von de Liz die Hormontherapie wieder ins rechte Licht rücken.
Eine groß angelegte US-Studie der „Women’s Health Initiative“(WHI) ab Mitte der 1990er-Jahre über die Hormonersatztherapie hat da nämlich ihre Spuren hinterlassen. Kurz zusammengefasst
AUF EINEN BLICK sagen Expertinnen heute: Den falschen Frauen wurden die falschen Hormone gegeben, und das hatte natürlich Auswirkungen. So stieg etwa das Brustkrebsrisiko. Die Studie wurde vorzeitig abgebrochen, die Verschreibung von Hormonen brach ein. „Da sitzt einfach die Angst so tief“, sagt Graf. Dabei gebe es mittlerweile bioidente Hormone, also chemische Wirkstoffe, die mit den körpereigenen ident sind. Das bedeutet nun nicht, dass jede Frau Hormone empfohlen bekommt, schließlich hat nicht jede Beschwerden. Aber für diejenigen, die wollen, für die gibt es eben die Möglichkeiten.
Auch Gynäkologin Gruber merkt eine „Erholung“, was den Zugang zu Hormontherapien betrifft. „Es kommen eben kritische Frauen in die Wechseljahre“, sagt sie, „und sie wollen etwas tun.“Die Babyboomer-Generation sei eben geübt, Dinge zu artikulieren, sagt auch Veronika Pelikan. „Wir sind mit Sex, Drugs and Rock’n’Roll aufgewachsen, wir werden uns jetzt nicht an den Ofen setzen und Kamillentee trinken. Da ist noch was.“
»So kenne ich mich nicht« ist der Standardsatz der Frauen, die zur Gynäkologin kommen.
Einschneidende Erlebnisse. Eintritt in die Wechseljahre ist nicht nur ein körperlicher Prozess. Bei vielen Frauen stellt sich plötzlich die Frage: Was kommt jetzt? Pelikan fällt auf, dass diese Lebensphase oft mit anderen Ereignissen, positiven wie negativen, zusammenfalle. Die Kinder beginnen ihr selbstständiges Leben. Oft falle eine langjährige Beziehung auseinander, die nur wegen der Kinder aufrechterhalten wurde. Bei anderen wiederum ändere sich die berufliche Situation. Einschneidende Erlebnisse, die große Veränderungen mit sich bringen.
Bei der Salzburger Beraterin Sonja Schiff – sie „coacht“bei Fragen rund um das Thema Älterwerden – landen oftmals Frauen, die sagen: „Ich habe meine Pflicht erfüllt, die Kinder sind groß, und jetzt bin ich dran.“Im Vergleich zu den vorangegangenen Generationen sind die Frauen im dritten Lebensabschnitt heute (wirtschaftlich) unabhängiger, Schiff sagt: „Sie wehren
gehe: „Sie hegen noch einen Kinderwunsch.“Da sei eine realistische Einschätzung gefragt, so Gruber, aber Frauen, die den Kinderwunsch aus verschiedenen Gründen hinausschieben, müssen nicht 50 sein; bei vielen passt es erst Mitte 40. Und da beginnt bei einer Reihe von Betroffenen bereits die Prämenopause, gleichsam die Vorhut der Wechseljahre, die ebenfalls körperliche Beschwerden mit sich bringen kann. „Man hat noch die Blutungen, aber es kann zum Beispiel zu Stimmungsschwankungen kommen“, sagt Gynäkologin Graf.
Männerdomäne. Wie die Gesellschaft und mit ihr die Betroffenen über die Wechseljahre sprechen, hat sich im Laufe der Zeit tatsächlich geändert, aber dass darüber gesprochen wird, das hat Sylvia Kirchengast auch vor 30 Jahren beobachten können. Als die Biologieprofessorin (Uni Wien) Anfang der 1990er-Jahre an ihrer Dissertation zum Thema Wechseljahre schrieb, wurden massenhaft Menopausen-Institute gegründet, erzählt sie. „Viele Frauen haben die Hormonambulanz im AKH aufgesucht. Es war ihnen ein Anliegen, sie hatten Fragen, sie haben nur nicht gewusst, wohin sie sich wenden sollen.“Zu dieser Zeit war der erste und oft einzige Ansprechpartner der Arzt, und bei dessen Einschätzung blieb man auch.
Und zwar Arzt in der männlichen Form. Kirchengast sagt, zu ihrer Studienzeit gab es zwei habilitierte Gynäkologinnen. Es war also die männliche Sicht, die die Debatte um die Menopause dominierte. Der Diskurs änderte sich sehr wohl, als immer mehr Ärztinnen – und bisweilen auch betroffene Ärztinnen – die Wechseljahre untersuchten, über sie forschten. Früher, und das ist nicht so lange her, galten Frauen jenseits der 50 einfach als alt, auch im gesellschaftlichen Sinne, wie Kirchengast sagt: „Sie hatten alles hinter sich, waren aber noch da.“Um einen Vergleich aus der Popkultur zu bemühen: Die erfolgreiche Serie „Golden Girls“(ab Mitte der 1980er-Jahre) zeigt Frauen um die 50, doch mit dem
Blick von heute würde man meinen, sie waren viel älter. Dabei ging es in der Serie durchaus um Themen wie Sexualität, Einsamkeit, gesellschaftliche Umbrüche, alte und neue Partnerschaften, alte und neue Lebensabschnitte. Doch die Damen wurden eben auch älter gezeigt, ihr Umgang mit diesen Themen wurde bisweilen satirisch überzeichnet.
Kirchengast sagt, bei der Debatte um die Menopause sei ihr wichtig zu betonen, dass Frauen nicht krank seien. „Sie sollen sich klar darüber sein, dass sie sich nicht per se in einem behandlungsbedürftigen Stadium befinden. Die Medizin gibt Empfehlungen ab, und ich habe das Recht, mir Hilfe zu holen, wenn es mir nicht gut geht. Aber die Frauen sind mündig, sie entscheiden darüber.“Die Mündigkeit betrifft auch das Einholen von Informationen an vielen Stellen, ob das nun Beraterinnen sind, Gynäkologinnen oder eben Bücher und Ratgeber.
Auf ihrer Webseite bietet Veronika Pelikan auch Onlineberatungen an, mit Experten und Expertinnen aus verschiedenen Metiers, von Yoga bis Physiotherapie, von Gynäkologie bis ästhetische Chirurgie. Diese Art von Beratung habe sich über die Coronapandemie hinaus bewährt, sagt Pelikan, zumal auf diese Weise Frauen am Land leichter erreicht werden können, oder jene, die keine langen Anfahrtszeiten auf sich nehmen wollen. So erhalte der Arzt oder die Ärztin den Blutbefund digital, und im Rahmen eines Videogespräches könnten die Ergebnisse dann im Detail besprochen werden.
Die Serie »Golden Girls« zeigte ältere Frauen, doch sie waren gerade einmal 50.
Die Debatte um die Wechseljahre ändert sich, so viel ist sicher. Sie wird selbstbewusster. Doch damit sie sich auch nachhaltig ändert, dafür braucht es auch die Schule. Pelikan weist darauf hin, dass in vielen Ländern die Menopause im Unterricht besprochen wird, so wie die Geburt und die Pubertät. Es wäre ein erster Schritt, sagt sie, dass das auch hierzulande passiere.
Venus. An den Schulen wird heute noch unterrichtet, dass die Venus von Willendorf, die kleine, uralte, ikonenhafte und faszinierende Figurine, ein Symbol der Fruchtbarkeit darstellen soll. Die Brüste, die Geschlechtsteile – lange gingen Forscher und Forscherinnen von einem Sexsymbol aus, wie allein der Name Venus impliziert. Doch ist diese Annahme mittlerweile überholt, erst vor wenigen Wochen stellten Experten die Venus in einen neuen Kontext, und mit ihr ihren Namen: Die Frau von Willendorf. Kann es sein, dass sie eine Seniorin darstellt, respektvoll der Nachwelt hinterlassen, weil sie zu Lebzeiten in ihrem Umfeld Respekt genoss? (Es ist belegt, dass zur Zeit der Frau von Willendorf viele die Phase der Wechseljahre tatsächlich erreichten). Die Statue einer weisen, älteren Frau also, einer, deren Erfahrungen wertvoll waren für die Gemeinschaft?
vom Gehirn und seiner Aktivität Bilder machen. Anhand von magnetischen Wellen wird der Sauerstoffverbrauch im Blut gemessen und anhand dessen kann man sehen, welche Hirnregion gerade besonders aktiv ist. Man sagt umgangssprachlich auch, die Neuronen feuern, was nicht ganz richtig ist, es ist nur die Veränderung des Sauerstoffgehalts. Und man muss vorsichtig sein, man kann nicht sagen, die Person hat gerade an Bäume gedacht und deswegen ist diese oder jene Region aktiv. Parallel denkt sie auch an etwas anderes, atmet und verdaut.
Und wofür sind die unterschiedlichen Bereiche im Gehirn zuständig?
Ganz hinten, der Okzipitallappen, ist für das Sehen verantwortlich. Eine wichtige und spannende Region, weil wir unsere Gedanken verbildlichen. Und wenn wir unsere Gedanken wieder aufrufen, kommt im sogenannten inneren Auge ein Bild hoch. Wenn jemand von Geburt an blind ist, übernimmt dieser Bereich eine andere Funktion, zum Beispiel für den Tastsinn oder das Riechen. Das Gehirn ist plastisch und wandelbar.
Was gibt es noch für Bereiche?
Es gibt den vorderen Bereich, den präfrontalen Cortex, dem wird das rationale Denken zugeschrieben. Wenn wir über unser Tun und Handeln nachdenken, ist er aktiv. Wenn wir schlafen und träumen, ist er nicht so aktiv, weil wir da unsere Gedanken nicht überdenken. Wenn meine Mutter im Traum ein Dinosaurier ist, ist das völlig klar. Dann gibt es noch den Temporallappen. Dort sind zwei Bereiche, die für Sprachproduktion und Sprachverständnis oder generell Verständnis zuständig sind. Auf Höhe des Scheitels ist der Bereich für das Motorische, die Balance.
Und wo sind die Gefühle angesiedelt?
Das ist eine gute Frage. Man kann sie ja leider nicht einfach einfangen. Erinnerungen und tiefe Gefühle, wie Angst, sitzen im Inneren des Gehirns, im limbischen System. Dazu gehören auch die Amygdala und der Hippocampus.
Julia Reichert
wurde 1993 in Hamburg geboren, hat Germanistik, französische
Philologie sowie Neurowissenschaften der Sprache in
Spanien studiert.
„Hirn to go
Was wir von listigen Hirnforschern und smarten Prostituierten lernen können“. Julia Reichert, Überreuter, 164 Seiten, 17 Euro