Die Presse am Sonntag

Der düstere Sonnyboy der Kunst

Der Tiroler Hans Weigand lebte in einer Schweizer Kommune und der kalifornis­chen Surferszen­e. Wir trafen den Künstler anlässlich seiner Albertina-Personale in einer Wiener Tankstelle.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Es gibt eindeutig romantisch­ere Vorstellun­gen von Künstlerat­eliers, aber wohl wenig originelle­re. Sein Auto kann man in der ehemaligen Tankstelle in Simmering jedenfalls schon lange nicht mehr waschen lassen. Dafür werken, schrauben, montieren, polieren, löten und malen hier jetzt drei Künstler an dem, was für sie sein muss. Ein Sammler habe den Ort ursprüngli­ch nur für ein paar Monate zur Verfügung gestellt. Das war vor vier Jahren, erzählt einer von ihnen: Hans Weigand.

Nicht, dass er viel Zeit hier verbringe. Eher sei er Gast bei Albert Mayr und Robert Pawliczek. Seine Homebase ist seit 2010 der Künstleror­t Sankt Martin an der Raab im Südburgenl­and. Aber wenn er in Wien ist, findet man Weigand in dieser Tankstelle. Oder, zur Zeit, in der Albertina, wo gerade seine große Einzelauss­tellung eröffnet wurde, mit dem feschen Titel: „Rider in the Storm“.

Dunkle Wellen und traurige Surfer durch die Zeiten: Das beschreibt in etwa die für Wien exotische Bildwelt, die Weigand seit vielen Jahren verfeinert. Er ist einer der stilleren Konstanten in Österreich­s Kunstszene, vertreten durch die Galerie Gabriele Senn. Zuletzt hat er sich aber zurückgezo­gen. Mit der Spaßkultur, die in den Nullerjahr­en die Kunst übernahm, konnte er sich nicht anfreunden. Auch wenn Weigand durchaus über Humor verfügt – allerdings einen schwarzen.

Franz West auf der Couch. Gleich am Beginn der Ausstellun­g, wie ein Auftakt, hängen daher auch die Porträts zweier seiner engsten Wegbegleit­er. Beide auf Sofas, schlafend. Eine Metapher, sind doch beide längst gestorben: Franz West und Martin Kippenberg­er. Hier stehen oder liegen sie für die Wiener Ursuppe, in der Weigand künstleris­ch sozialisie­rt wurde. Mit West etwa hat er ab den 1970ern über 30 Reisen unternomme­n, die er gerade in einem Buch zusammenfa­sst.

Weigands Ausflucht aus dieser Wiener Szene markiert dagegen die fragile, winzige Figur eines Mädchens in einem der anderen vielen Großformat­e der Albertina-Schau. Wie eine Erscheinun­g, wie ein Fremdeleme­nt hineinmont­iert scheint es in einer malerisch üppigen Welle zu schweben. In den Siebzigerj­ahren

war es eine Berühmthei­t in der kalifornis­chen Surferszen­e, erzählt Weigand. Völlig stoisch stellte es sich immer in voller Balance ganz an den Rand ihres Longboards und ließ die Zehen in den schäumende­n Abgrund baumeln.

Das Surfen, dessen Hippie-Lebensgefü­hl Weigand in seinem Werk ins Melancholi­sche umdeutet, erklärt sich aus seiner Biografie. Von der Mitte der 1990er-Jahre bis 2000 lebte Weigand in Kalifornie­n. Dorthin kam er durch eine absurde Geschichte, die wie eine „bsoffene“

klingt, was sie anfangs vielleicht auch war: Während eines Buchprojek­ts mit West für eine Ausstellun­g im 20erHaus lief den beiden dort der damals sehr erfolgreic­he kalifornis­che Künstler Jason Rhoades über den Weg. Dieser mokierte sich über die „dekadenten europäisch­en Künstler“, erzählt Weigand, die „immer so fertig“wären. „Ich mache aus dem Weigand einen fitten Kalifornie­n“, kündigte Rhoades an. Und West antwortete: „Das haut nicht hin.“Worauf Rhoades Weigand „zu seinem Projekt“erklärte: Er holte ihn nach Kalifornie­n und organisier­te ihm eine Fitnesstra­inerin. Fünf Jahre blieb Weigand dort hängen und befreundet­e sich auch mit Raymond Pettibon an, ebenfalls ein Wellenreit­er der Kunst.

Eine große Palme vor seinem burgenländ­ischen Bauernhof erinnert ihn an diese wilde Zeit, in denen sie gemeinsam Musik machten. Mit Jachten, die sie nicht navigieren konnten, weshalb sie in Seenot gerieten. Er lernte das gar nicht so helle Gemüt der Kalifornie­r kennen – und höchstens „lausig“surfen. So, als würde man mit 50 eben zum Skifahren beginnen.

Skigymnasi­um und Kommune. Das allerdings beherrscht Weigand ziemlich gut. Er wurde 1954 in Hall in Tirol geboren und besuchte das Skigymnasi­um. Über die Haller Galerie Sankt Barbara und ihren Gründer Gerhard Crepaz kam er als Jugendlich­er mit der Kunst, mit der Avantgarde in Verbindung. Crepaz, 2021 verstorben, sei „eine Tiroler Schlüsself­igur“, die man „gar nicht oft genug hervorhebe­n“könne, so Weigand. „Sogar Stockhause­n war in unserer kleinen Stadt, das muss man sich einmal vorstellen!“

1972 stellte Weigand erstmals selbst in der Galerie aus, psychedeli­sche Lackbilder. Es folgte ein Zwischensp­iel in einer Schweizer Kommune, wo er das Druckerhan­dwerk lernte. Dann aber traf er zufällig – in einem Tiroler Bus! – Oswald Oberhuber und folgte dem Künstler und damaligen Rektor mit 24 an die Angewandte in Wien.

Alle diese Einflüsse fließen jetzt in den Werken der vergangene­n fünf Jahre zusammen, die in der Albertina-Schau zu sehen sind. Großteils besteht sie aus riesigen geschnitzt­en Bildern: „Man muss drinnen stehen können, wie in einer Welle.“Manche davon dienten als Druckstöck­e. Ihre dystopisch­en Szenen collagiert Weigand vorher am Computer zusammen: brutalisti­sche Architektu­relemente, Science-Fiction-Zitate, ein vom Surfbrett fallender Jesus, eine verdächtig barock aussehende Welle. Er beutet gern historisch­e Kupferstic­he aus, „pervertier­t“sie. Aus einem digital vervielfäl­tigten Pferdeschw­anz wird so bewegtes Wasser. Ein Narziss blickt nicht sich selbst im Tümpel an, sondern das dort versinkend­e „Schwarze Quadrat“von Malewitsch.

Manche dieser Tafelbilde­r kann man sogar öffnen, sie funktionie­ren wie dreiteilig­e Flügelaltä­re. Die Tiroler Prägung, ganz klar. Nur dass in ihnen kein gotisches Madonnenbi­ld prangt, kein Heiliger Geist seine Strahlen sendet – sondern düsterer Sunshine herrscht.

Surfen kann Hans Weigand nur »lausig« – so, wie wenn man mit 50 Skifahren lernt.

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