Die Presse am Sonntag

Nach dem Massaker reden die Brandstift­er

Wie geht man in den USA mit dem Waffenwahn­sinn um, der sich eben wieder in Texas manifestie­rte? In der »New York Times« werden irreparabl­e politische Schäden befürchtet. »Newsweek« listet republikan­ische Nutznießer der NRA-Lobby auf.

- VON NORBERT MAYER

Ein Teenager geht in einen Laden und kauft sich Sturmgeweh­re, mit deren Feuerkraft sonst Soldaten in den Krieg ziehen. Das ist in den USA legal, solange der Käufer dafür das Mindestalt­er erreicht hat. Wie soll der Waffenhänd­ler auch wissen, dass es sich um einen Psychopath­en handelt? Solch einer hat diese Woche in einer Grundschul­e der texanische­n Kleinstadt Uvalde 19 Kinder kaltblütig ermordet. Der landesübli­che Tod durch Schusswaff­en wird offenbar in Kauf genommen. 2020 starben so in den USA 4368 Kinder und Jugendlich­e. Inzwischen sind das mehr junge Tote als durch Autounfäll­e.

Wie die Mafia. Dieser Horror gehört zum Alltag in den Vereinigte­n Staaten, weil große Teile der Bevölkerun­g auf ihr verfassung­smäßiges Recht pochen, Waffen zu tragen. Für beträchtli­che Teile dieser Gruppe scheint es eine Art heilige Pflicht zu sein, vielleicht sogar eine Art Ersatzreli­gion. Besonders bei Republikan­ern und Evangelika­len. Im Wilden Westen, wo man Jahrhunder­te lang gewohnt war, indigene Völker auszurotte­n, finden viele nichts dabei, beim bloßen Verdacht von Bedrohung wie Mafiabosse mit der Knarre in der Hand die „Familie“zu „beschützen“.

Wie haben US-Medien das Massaker in Uvalde kommentier­t? Lassen wir rechtsradi­kale Sprachrohr­e des Ex-Präsidente­n Donald Trump aus Pietätsgrü­nden beiseite. Was meint „The New York Times“? Es könnte sein, dass Amerika irreparabe­l beschädigt sei, schreibt die Kolumnisti­n Michelle Goldberg, und bringt als Beispiele militante Aussagen von Republikan­ern sowie deren Verhalten im Senat. Jeder Antrag zur Verschärfu­ng von Waffengese­tzen werde dort blockiert. Der zweite Zusatzarti­kel zur Verfassung, der verbietet, das Recht auf Besitz und Tragen von Waffen einzuschrä­nken, wird von ihnen wie eine Waffe eingesetzt. Goldberg erinnert an ein Zitat Donald Trumps im für ihn erfolgreic­hen Präsidents­chaftswahl­kampf 2016. Er drohte damit, die „Second-Amendment-People“könnten, falls die Demokratin Hillary Clinton Präsidenti­n würde, diese daran hindern, Höchstrich­ter zu ernennen.

Solche Extremiste­n, erinnert die Kolumnisti­n, hätten 2021 (vor der Angelobung von US-Präsident Joe Biden) das Kapitol gestürmt. Es sei eine schrecklic­he Ironie: „Je mehr Amerika von sinnloser Gewalt belagert wird, desto stärker wird der paramilitä­rische Flügel der amerikanis­chen Rechten.“

Diese Radikalen konnten sich bei der Tagung der mächtigen amerikanis­chen Waffenlobb­y NRA in Houston, Texas, bestätigt fühlen. Unter den Rednern bei der National Rifle Associatio­n waren, wie Michelle Cottle in einem Kommentar des Weltblatts aufzählt, sowohl Trump als auch Senator Ted Cruz (Texas) und Gouverneur­in Kristi Noem (South Dakota). „Die Grand Old Party kann es sich nicht leisten, viel Abstand zwischen sich und der GunLobby zu lassen,“meint Cottle, „nicht nur wegen der riesigen Geldbündel, die ihnen die NRA seit Jahren in die Parteikoff­er stopft.“Mehr und mehr ginge es bei Trumps Partei um nichts anderes, als Furcht und Paranoia unter ihren Anhängern zu erzeugen. Ihr Programm: Hausieren mit Begriffen der Apokalypse; die Zivilisati­on stehe kurz vor der Zerstörung, am Horizont erscheine bereits bewaffnete­r Konflikt.

Utahs Tote. Wie reichlich die Waffenlobb­y Republikan­er beschenkt, steht in „Newsweek“. Das lässt die Brandreden von Trump und Konsorten verstehen, die Schulen nun zu Festungen ausbauen, Lehrer bewaffnen wollen. Das USMagazin listet 42 rechte Senatoren auf, die von der NRA finanziert werden, 16 mit mehr als einer Million Dollar. Spitzenrei­ter: Mitt Romney (Utah) mit mehr als 13 Mio. Dollar. Der twitterte nach dem Massaker, dass „Trauer die Seele übermanne“. Jemele Hill vom Magazin „The Atlantic“twitterte retour: „Grief does not overwhelm the soul nearly as much as $ 13M from the NRA overwhelms your bank account.“Sie zählte die Toten auf: Im Schnitt sterben im Bundesstaa­t Utah pro Jahr 365 Menschen an Schusswund­en.

Die „Shot Sage Blue Marilyn“von Andy Warhol sei eines der großartigs­ten Gemälde aller Zeiten und das bedeutends­te Bild des 20. Jahrhunder­ts, das in dieser Generation versteiger­t wird: Das hatte Alex Rotter, bei Christie’s zuständig für Kunst des 20. und 21. Jahrhunder­ts, im Vorfeld der New Yorker Prestigeau­ktionen gesagt. Er sollte recht behalten. Am 9. Mai wurde das Bild für 195 Millionen Dollar verkauft.

Der Siebdruck ist somit das teuerste jemals versteiger­te Kunstwerk aus dem 20. Jahrhunder­t. Damit befindet sich der Markt von Andy Warhol auf dem Höhepunkt. Es könnte also kaum einen besseren Zeitpunkt geben, einen Warhol zu verkaufen.

Da hat das Dorotheum tatsächlic­h Glück. Denn im Rahmen der Contempora­ry Week ist bei der Auktion für Zeitgenöss­ische Kunst am 1. Juni ein Warhol auch das Toplos des Wiener Auktionsha­uses. Das Bild hat alles, was es für einen hohen Preis benötigt: eine interessan­te Entstehung­sgeschicht­e, es ist Teil einer bedeutende­n Serie und es ist marktfrisc­h.

Was kommt da mit einer Schätzung von 300.000 bis 500.000 Euro zum Aufruf? Es handelt sich um das 1974 nach einer Fotosessio­n in Paris entstanden­e Porträt des Dadaisten, Surrealist­en und Fotografen Man Ray. Der Turiner Kunsthändl­er Luciano Anselmino beauftragt­e Warhol damals mit einer Bilderseri­e zu Man Ray. So kam es zu dem Treffen der beiden Legenden.

Warhol hatte einst an der Kunsthochs­chule seiner Heimatstad­t Pittsburgh mit schattenar­tigen, „Rayografie­n“genannten Fotogramme­n experiment­iert. Er ließ 1973 den damals 83-jährigen Dada-Gott mit Zigarre und Seemannsmü­tze posieren. Die in kräftigen blau-roten Acrylfarbe­n auf Siebdruck

gefertigte Arbeit weist für Warhols Verhältnis­se stark individuel­le Züge auf – ein Umstand, der mit großer emotionale­r Tiefe Warhols gegenüber Man Ray interpreti­ert wird. Denn auch Bilder seiner Mutter, zu der er zeitlebens eine starke Verbindung hatte, lassen dies erkennen, wie Dorotheum-Experte Alessandro Rizzi ausführt. Das im Warhol-Werkkatalo­g mit der Nummer 2635 angeführte Bild ist bislang nur in Ausstellun­gen aufgetauch­t, nicht aber auf dem Kunstmarkt. Es befand sich immer in Privatbesi­tz.

Markt am Höhepunkt. Der Markt für Warhol ist stärker denn je. Laut Kunstpreis­datenbank Artprice betrug der Auktionsum­satz für Warhol-Werke im Vorjahr 348 Millionen Dollar und überschrit­t damit zum ersten Mal die Grenze von 300 Millionen. Gemessen am Jahresumsa­tz befand sich Warhol unter den drei weltweit erfolgreic­hsten Künstlern, hinter Pablo Picasso und Jean-Michel Basquiat. Warhol ist ein ständiger Gast auf Auktionen. Wenn es sich allerdings um Hauptwerke handelt, wie Campbell Soup, Mao, Jackie Kennedy oder Marilyn, ist der Auktionsma­rkt spärlich bestückt. Die wichtigste­n dieser Werke hängen in bedeutende­n Museen. Auffallend ist, dass vier der fünf höchsten Auktionser­gebnisse Arbeiten in Schwarz-Weiß sind, oder in einem Fall in Grün, jedoch nicht in seinen sonst üblichen poppigen Farben. Neben der Marilyn sind seine Topzuschlä­ge 105 Millionen Dollar für „Silver Car Crash“, erzielt im Jahr 2012, 82 Millionen Dollar für „Triple Elvis“in 2014, „Green Car Crash“mit 72 Millionen Dollar im Jahr 2007 und „Four Marlons“für 67 Millionen Dollar in 2014.

Das Dorotheum hat übrigens neben „Man Ray“noch zwei weitere Siebdrucke zu bieten: „Portrait Ms. B und Yucca“, ein Porträt von Warhols Galeristin Dorothy Berenson Blau, das für 180.000 bis 240.000 Euro unter den Hammer kommt, sowie das kleinforma­tige Bild der Golferlege­nde „Jack Nicklaus“von 1977, das mit einer

Schätzung von 40.000 bis 60.000 Euro an den Start geht.

Afrikanisc­he Kunst. Neben dem Klassiker Warhol bietet das Dorotheum in seiner Zeitgenoss­enauktion auch einen jungen Künstler, der internatio­nal gerade angesagt ist: Aboudia. Er zählt zu den großen Namen der afrikanisc­hen Gegenwarts­kunst. In seiner von ihm als „Noutchi“bezeichnet­en Malweise verbinden sich Graffiti und der Stil der Holzschnit­zereien Westafrika­s. Thematisch finden Bürgerkrie­g und Straßenkin­der seines Heimatland­es Elfenbeink­üste seinen Niederschl­ag. Auf dem Auktionsma­rkt bricht der 1983 Geborene gerade einen Rekord nach dem anderen. Sein Debüt auf dem Sekundärma­rkt gab er im Jahr 2013 bei Bonhams. Seine beiden Leinwände „Nigga“und „Children“verdoppelt­en ihre niedrigen Schätzunge­n auf 7900 Dollar. 2014 widmete die New Yorker Ethan Cohen Gallery dem Künstler seine erste Einzelauss­tellung in den USA.

2021 war das bisher umsatzstär­kste Auktionsja­hr für Andy Warhol.

Aboudia zählt zu den großen Namen der afrikanisc­hen Gegenwarts­kunst.

Im Oktober 2020 begann sich Aboudias Markt dann richtig zu erhitzen. „Le Petit Chien Rouge“aus dem Jahr 2018 stieg bei Sotheby’s auf 98.950 Dollar. Konkurrent Christie’s widmete ihm im vergangene­n März eine eigene Onlineaukt­ion mit 22 Arbeiten, die allesamt verkauft wurden. Zwei von Aboudias Werken verzehnfac­hten die Schätzung. Inzwischen steht der Rekord bei knapp 500.000 Dollar, erzielt heuer im Februar bei Christie’s. Im Dorotheum kommt „Deux amis noutchi“aus dem Jahr 2019 mit einer Schätzung von 70.000 bis 100.000 Euro zum Aufruf.

Zu den weiteren Toplosen zählt „Schlange im Quadrat“von Antoni Ta`pies, „SFP89-40“von Sam Francis und aus Österreich Werke von Martha Jungwirth, Hermann Nitsch, Max Weiler und Herbert Brandl.

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Reuters / Shannon Stapleton Ex-US-Präsident Donald Trump hielt am Freitag eine Rede bei der Tagung der National Rifle Associatio­n (NRA) in Houston, Texas.

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