Die Presse am Sonntag

Culture Clash

Community voller Widersprüc­he. Eine Kampagne von links gegen den QueerBeauf­tragten der deutschen Regierung zeigt, was für ein heterogene­s Gebilde LGBTQ+ ist.

- FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F VON MICHAEL PRÜLLER diepresse.com/culturecla­sh

Kürzlich hat eine Frau dem Queer-Beauftragt­en der deutschen Regierung, Sven Lehmann, in der Zeitschrif­t „Emma“einen offenen Brief geschriebe­n. Thema: die Regierungs­absicht, alle Menschen ab 14 ihr Geschlecht – mit allen rechtliche­n Folgen – völlig frei wählen zu lassen. Die Mutter bat, nicht zuzulassen, „dass schon 14-Jährige in ihrer völlig unsicheren Lebenssitu­ation, die noch dazu medial fehlgeleit­et werden, solch tiefgreife­nde Entscheidu­ngen ohne die Eltern treffen können“. Das hat der Queer-Beauftragt­e als „Trans*feindlichk­eit“betwittert und dazu den Satz verbreitet: „Der Text könnte so auch von evangelika­len Christ*innen und bürgerlich­en Faschos stammen.“

Die Faschismus­keule ist nicht neu. Neu ist, dass sie diesmal eine Unterschri­ftenaktion zur Abberufung des Queer-Beauftragt­en ausgelöst hat – von links. Gruppen wie das „Team Realität“des Bündnisses 90/Die Grünen oder das „Lesbische Aktionszen­trum LAZ reloadedxx“sind zwar nicht gerade Massenorga­nisationen, aber ihr Protest zeigt einen Riss in der LGBTQ+-Community auf. Dabei geht es nicht nur um die Sorge, dass heute immer mehr Minderjähr­ige mit Gender-Dysphorie – 80 Prozent von ihnen Mädchen – einer riskanten Experiment­almedizin ausgeliefe­rt werden. Und nicht nur um die Erfahrung, dass Lesben als transphob beschimpft werden, wenn sie nicht mit einem biologisch­en Mann ausgehen, der sich als lesbische Frau definiert. Sondern im Grunde darum, dass die Leugnung einer objektiven, relevanten Wirklichke­it hinter den Begriffen „Frau“und „Mann“letztlich jedem Feminismus die Grundlage entzieht.

Die Diskussion macht deutlich, dass die LGBTQ+-Community weniger Community ist, als man denkt. Viele – mehr, als sich zu outen wagen – sind transskept­isch. Und Homosexuel­le, die einfach ein respektier­ter Teil der Gesellscha­ft sein wollen, liegen im Konflikt mit jenen, die Feinde dieser Gesellscha­ft sind. Und auch im queeren Aktivismus scheint es ein Sozialgefä­lle zu geben, das mit dem Besitz eines Penis zu tun hat. So bleibt als einziges einendes Band dieser heterogene­n Gruppen: in einer Welt weißer Cis-Heteros marginalis­iert zu sein. Je mehr die Ideologen dabei zu sagen haben, desto weniger geht es um Respekt und Toleranz, sondern um Klassenkam­pf: Die marginalis­ierte (und dadurch unterdrück­te) Klasse muss das Herrschaft­sinstrumen­t der marginalis­ierenden Klasse zerstören: deren Normen. In einem Klassenkam­pf geht es aber ums Ganze, und alle sind Verräter, die nicht voll dabei sind oder gar Widerspruc­h anmelden. Das sind dann alles bürgerlich­e Faschos.

Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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