Die Presse am Sonntag

Die Abneigung gegen Russland ist sehr ausgeprägt

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Für mich ist infolge des derzeitige­n Krieges die momentan erschrecke­nde unversöhnl­iche Meinungsbi­ldung auf beiden Seiten problemati­sch. Ich möchte dazu über meine persönlich­en Ukraine-Erfahrunge­n berichten:

Im September 1991 war ich bei einer Wasser-Tagung in Kiew. Die Ukraine war auf dem Weg zur Eigenständ­igkeit. Es gab noch den russischen Rubel, aber für alle wichtigen Waren konnte man nur ergänzt mit einem Papierkupo­n kaufen. Man wollte verhindern, dass reiche Russen lebenswich­tige Waren in der Ukraine aufkauften. Diese Kupons wurden nur an Ukrainer ausgegeben. Für eine Woche wurden wir Tagungstei­lnehmer einfach zu Ukrainern erklärt, damit wir einkaufen konnten.

Neu war mir, dass der Atomunfall in Tschernoby­l eigentlich kein Gebrechen, sondern ein von der Moskauer Atombehörd­e angeordnet­er Stresstest war, der sich vermutlich wegen Fehleinsch­ätzung dann nicht einbremsen ließ. Wir konnten darüber einen eindrucksv­ollen Vortrag anhören. Man gab der russischen Atombehörd­e in Moskau die Schuld für das Desaster. Eine ukrainisch-russische Wasserbiol­ogin erklärte mir die Differenze­n zwischen Russland und der Ukraine, da man das immer wieder bei Gesprächen heraushört­e.

Der von Stalin angeordnet­e Holodomor 1932/33, bei dem zwischen zwei bis fünf Millionen Ukrainer starben, war mir unbekannt (und offenbar damals auch dem Rest der Welt). Die

Ukraine wollte damals die sowjetisch­kommunisti­schen Reformen nicht mitmachen, und mit dem totalen Verbot der Lebensmitt­elversorgu­ng an die Ukrainer wollte Stalin sie erzwingen. Das war auch die Ursache dafür, dass ukrainisch­e Kampfeinhe­iten im Zweiten Weltkrieg sogar auf deutscher Seite kämpften. So etwas wirkt lang nach.

Als nach Stalin der aus der Ukraine stammende Chruschtsc­how folgte, wollte er eine Versöhnung zwischen Russland und der Ukraine. Als Versöhnung­sgeschenk wurde die Halbinsel Krim an die Ukraine übereignet und später ein Denkmal der immerwähre­nden Freundscha­ft zwischen Russland und Ukraine errichtet (in Kiew nahe dem Stadion; am 26. 4. 2022 zerstört). Übrigens: Chruschtsc­hows erste Frau war auch ein Opfer des Holodomor.

Von 2004 bis 2006 war ich bei der EU-Kommission tätig und bearbeitet­e das gesamte Donau-Einzugsgeb­iet. Ein relativ großes Abflussgeb­iet liegt in der

» Für mich ist infolge des derzeitige­n Krieges die erschrecke­nde unversöhnl­iche Meinungsbi­ldung auf beiden Seiten problemati­sch. « KARL WACHTER

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