Aufputz für den kleinen Steffl
Jahrzehntelang auf dem Dachboden verstaubt, wird das Modell des Stephansdoms eines der Herzstücke des neuen Wien-Museums. Davor muss es aber noch rundum restauriert werden.
Fensterputzen nur mit Wattestäbchen, das kann seine Zeit dauern. Ein Jahr lang ist Sophie Rabitsch nun schon damit beschäftigt. Dann säubert sie wieder Wände mit kleinen Schwämmchen. „Manchmal hat man das Gefühl, es hört nie auf“, sagt sie. Aber die fein bemalten Scheiben und die daumengroßen Wasserspeier erfordern eben besondere Sorgfalt.
Wenn es etwas gibt, was Rabitsch hat, dann ist es Geduld – und Fingerspitzengefühl. Deswegen ist die Restauratorin auch mit dem Stephansdom betraut worden. Zwar nicht dem Original, aber einer mehr als 150 Jahre alten, nicht minder beeindruckenden Miniatur desselben.
Seit Ende der 1970er stand das Modell des Deutschen Carl Schropp auf dem Dachboden des großen Originals und war nur bei den seltenen Veranstaltungen zu sehen. Nun soll es eines der Herzstücke der Dauerausstellung des Wien-Museums werden, das Ende 2023 eröffnet. Davor muss es aber noch generalsaniert werden. Schließlich hat sich ganz schön viel Dreck angesammelt. Die Wattestäbchen, die Rabitsch in den Abfall wirft, sind schwarz.
Mit dem Hauptportal samt Tor ist Rabitsch gerade fertig geworden, nun ist der Nordturm an der Reihe. Obwohl nur eine Miniatur, hat auch das Modell beachtliche Ausmaße. Fünf Meter sind es bis zur Spitze des Südturms, in diesem kann Rabitsch aufrecht stehen.
Weil es so groß ist, kann das Modell in über 60 Teile zerlegt werden. Das sei vor allem bei der Übersiedelung vom Dachboden des echten Steffls wichtig gewesen, erzählt Andreas Gruber, Leiter des Restaurierungsprojekts. In einer spektakulären Aktion sind die Einzelteile mit Seilen durch eine Luke im Gewölbe des Doms nach unten geschafft worden. „Alles wieder aufzubauen wird aber auch eine Herausforderung.“Neben den großen Türmen und Schiffen lagern in Kisten derzeit die vielen Einzelteile aus dem – ebenso detailreich gestalteten – Inneren des Doms. Wie der kleine Seitenaltar, der auf eine Hand passt. Sogar die Kerzen in den Ständern sind darauf modelliert.
Akribische Details. „Die vielen Details, wie akribisch und fein alles gearbeitet ist“, das beeindrucke Rabitsch bei dem Modell am meisten. „Es ist bei Weitem nicht alltäglich“, sagt die auf Papier spezialisierte Restauratorin. Tatsächlich war dem „königlichen Hof-Modelleur“Schropp kein Gesicht eines Wasserspeiers, keine noch so kleine Verzierung auf den unzähligen Türmchen zu mühsam. Wer genau hinsieht, kann die Kartonstreifen erkennen, mit denen Schropp die zahlreichen Rosetten der Fenster modelliert hat. Neun Jahre brauchte er für den Mini-Dom.
Das Grundgerüst ist aus Holz, der Rest aus Papier oder Karton, die Figuren und Verzierungen aus einer eigens entwickelten Formmasse. „Die Rezeptur hat Schropp geheim gehalten“, erzählt Rabitsch. Aber er dürfte auch improvisiert haben: „Bei einem Fries ist mir ein Kirschkern entgegengefallen.“
Ist eine Verzierung oder ein Statuen-Kopf verloren gegangen, muss Rabitsch selbst Hand anlegen. Mit kleinen Spachteln formt sie dann neue Gesichter. Übrigens mit ihrer eigenen geheimen Masse, scherzt sie.
Ausgebessert wird nur dort, wo das Gesamtbild des Werks gestört ist. „Grundsätzlich gilt bei restauratorischen Eingriffen: So viel wie nötig, so wenig wie möglich“, sagt Gruber. Großflächige Übermalungen etwa würde man heute nicht mehr machen.
Kaum zu glauben angesichts der vielen Details ist, dass der Modellbauer kein einziges Mal selbst in Wien war. Schropp kannte den Dom nur von Abbildungen. Kein Wunder also, dass nicht alles genau dem Original entspricht. Anderes hat Schropp absichtlich weggelassen, erzählt Rabitsch, wie etwa die angedeuteten weiblichen und männlichen Geschlechtsteile auf der Fassade des Original–Doms (Rabitsch: „Er war wohl ein bisschen zurückhaltender“). Oder die barocke Innenausstattung: „Er hat versucht, das Gebäude in den gotischen Originalzustand zurückzuversetzen“, sagt Gruber. Dasselbe mit dem Original-Dom zu machen war damals in Wien diskutiert worden.
Am Dom hat sich ganz schön viel Dreck angesammelt. Die Wattestäbchen sind schwarz.
Neben dem barocken Stuck im Innenraum fehlt dem Modell noch etwas: die Pummerin.
Und noch etwas fehlt beim kleinen Steffl: die Pummerin. Auch die berühmte Glocke stammt aus der Barockzeit. Schropp habe sie wohl schlicht weggelassen, mutmaßt Gruber.
Interaktiv. Schon während seiner Entstehung in Bamberg war das Modell eine Attraktion, das bei mehreren Ausstellungen gezeigt wurde. Modelle waren im 19. Jahrhundert eine beliebte Möglichkeit, den Menschen internationale Sehenswürdigkeiten näherzubringen. Besonders war Schropps Stephansdom auch wegen seines „interaktiven Elements“, erzählt Gruber. Über eine Öffnung im Sockel konnten Betrachter den Kopf hineinstecken und so den Dom „betreten“.
Nach Schropps Tod wollte sein Sohn das Modell verkaufen. Lang wollte es niemand haben, erst 1904 fand es seinen Weg nach Wien – als 60er-Geburtstagsgeschenk für Bürgermeister Karl Lueger. Zunächst konnte man es im Rathaus betrachten, für den Ende der 1950er-Jahre aufgemachten neuen Standort des Wien-Museums war das Modell aber zu groß, so wanderte es in den Stephansdom.
Im neuen Wien-Museum ist nun endlich wieder Platz dafür. Wenn der Dom fertig geputzt ist. Bis zum Jahresende könnte das schon noch dauern, schätzt Rabitsch.