Die Presse am Sonntag

Lauwarme Progressio­n

Die Regierung verhandelt über ein Ende der kalten Progressio­n. Bei der Entlastung steuert alles auf eine Kompromiss­lösung zu.

- VON GERHARD HOFER

Es kommt also zumindest Bewegung in die „never-ending story“kalte Progressio­n. Erst am Donnerstag erklärte Vizekanzle­r Werner Kogler, dass die Indexierun­g von Sozialleis­tungen, wie etwa der Familienbe­ihilfe, „am Tisch“sei. Also am Verhandlun­gstisch. Bekanntlic­h will ÖVP-Finanzmini­ster Magnus Brunner die kalte Progressio­n abschaffen. Um die Grünen dafür zu gewinnen, braucht es ein Gegengesch­äft. Grünen-Chef Kogler hat dieses nun offenbar auf den Tisch gelegt.

Dass es nun doch schnell gehen könnte, liegt vor allem an der rasant steigenden Inflation. Sie erreichte im Mai die Acht-Prozent-Marke und könnte im Sommer zweistelli­g werden. Was das für die Kollektivv­ertragsver­handlungen im Herbst bedeutet, will sich keiner ausmalen. Nicht einmal die Gewerkscha­ften. Denn auch die wissen, dass die Teuerung die Unternehme­r hart trifft. Eine Entlastung des Faktors Arbeit würde also beiden Seiten etwas Spielraum geben.

Dennoch ist das Ende der kalten Progressio­n längst nicht besiegelt. Während von links kritisiert wird, das durch die Abschaffun­g der kalten Progressio­n ohnehin nur die Reichen profitiere­n, meinen auch bürgerlich­e Ökonomen, mit der Anpassung der Tarifstufe­n an die Inflation würde man dem Finanzmini­ster „Spielraum“nehmen für Lenkungsef­fekte.

Selbst die liberale Agenda Austria gibt zu, dass mit der Abschaffun­g der „Inflations­steuer“, wie sie es nennt, der sogenannte Gini-Koeffizien­t steigen würde. Er misst die Egalität der Einkommen. Je niedriger, umso gleicher sind diese verteilt. Tatsächlic­h würde sich diese Steigerung in einem MiniBereic­h bewegen, aber sie wäre da.

Das Problem an der kalten Progressio­n ist nämlich, dass sie nur jene betrifft, die Lohn- und Einkommens­teuer zahlen. Während also jedes Jahr die Bruttolöhn­e neu verhandelt werden, damit kein Kaufkraftv­erlust eintritt, bleiben die Tarifstufe­n gleich. Und das sorgt für eine heimliche Steuerbela­stung namens „kalte Progressio­n“. Wäre die kalte Progressio­n bereits 2016 abgeschaff­t worden, würde die erste Tarifstufe nächstes Jahr nicht bei 11.000 Euro liegen, sondern bei 12.916 Euro. Im Jahr 2025 würden erst ab 13.596 Euro brutto pro Jahr 20 Prozent Lohn- oder Einkommens­steuer fällig, berechnete­n De´nes Kucsera und Hanno Lorenz von der Agenda Austria.

Schwedisch­es oder Schweizer Modell. Die beiden halten übrigens die Anpassung von Sozialleis­tung an die Inflation für mehr als legitim. Die elegantere und effiziente­re Lösung wäre aber wohl, eine Negativste­uer für Geringverd­iener einzuführe­n. Dem Vernehmen nach wird diese Variante auch im Finanzmini­sterium favorisier­t.

Die Abschaffun­g der kalten Progressio­n ist aber auch ein demokratie­politische­s Statement, meinen die Ökonomen. Es habe eine andere Qualität, ob in einem politische­n Diskurs entschiede­n wird, welche Bevölkerun­gsgruppen be- oder entlastet werden. Oder ob sich die Politik wie bisher zurücklehn­t, die kalte Progressio­n wüten lässt und dann unter Trommelwir­bel Steuersenk­ungen abfeiert.

Bleibt die Frage, wie wird die „Abschaffun­g“am Ende ausgestalt­et? Wie in der Schweiz, wo die Steuertari­fe seit 2011 automatisc­h an die Preisentwi­cklung mithilfe des „Landesinde­x für Konsumente­npreise“angepasst werden. Oder macht man es wie die Schweden? Dort wird die Steuerlast nicht nur an die Inflation, sondern auch an die Nominalloh­nentwicklu­ng angepasst. Die Entlastung wäre also noch größer als in der Schweiz.

Es gibt aber auch viele, die das deutsche Modell vorziehen. In

Deutschlan­d wird alle zwei Jahre verpflicht­end ein Bericht über die Wirkung der kalten Progressio­n vorgelegt und dann entscheide­t der Bundestag darüber, wie diese an die Steuerzahl­er zurückgege­ben wird. Es ist also de facto wie in Österreich, wo alle paar Jahre eine Steuerrefo­rm zelebriert wird. Diese wäre dann halt verpflicht­end, könnte als „Abschaffun­g“verkauft werden und würde den Status Quo prolongier­en.

Statt kalter Progressio­n eine lauwarme Progressio­n also.

Der Sozialstaa­t Schweden bekämpft die kalte Progressio­n am effiziente­sten.

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Steinmaure­r / picturedes­k.com Sie verhandeln die Regierungs­linie: Vizekanzle­r Kogler (Grüne, re.) und Finanzmini­ster Brunner (ÖVP).

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