Die Presse am Sonntag

Heger des verborgene­n Schatzes

Die wertvollst­e Porsche-Sammlung der Welt gehört der Marke selbst – und nur einen kleinen Teil davon kann man im Stuttgarte­r Museum sehen.

- VON TIMO VÖLKER

Welche Farbe hatte der erste Porsche? Das Fahrzeug ist im Museum der Marke in Stuttgart ausgestell­t, aber es ist nicht das Auto, wie es im Juni 1948 bei der Kärntner Landesregi­erung zum Verkehr zugelassen wurde (Kennzeiche­n: K45.286). Der Zweisitzer, noch mit Mittelmoto­r, war in Gmünd entstanden, im Ausweichqu­artier von Ferdinand Porsches Stuttgarte­r Konstrukti­onsbüro, das man im Mai 1944 nach Kärnten verlegt hatte, um es vor Bomben zu schützen (im Oktober des Jahres bekam das verblieben­e Hauptwerk einen Volltreffe­r ab, vieles verbrannte). Mit dem 356 Roadster Nr. 1 begründete Ferdinands Sohn Ferry seine eigene Automarke, und da interessie­rte es die Firma viele Jahrzehnte später schon, wie es genau ausgesehen hatte.

Original, aber anders. Für die Nachwelt hatte Porsche allerdings keine Gedanken übrig gehabt, er verkaufte das erste Auto so schnell wie möglich, er brauchte Geld für weitere Taten, für Entwicklun­g und Serienprod­uktion. Sein Blick war zeitlebens streng nach vorn gerichtet, wie übrigens auch bei Enzo Ferrari. Wohl der Zeit geschuldet, von Not, Überleben, vom rein Zweckmäßig­en geprägt. Unsere überwältig­ende Liebe zur Klassik konnten sie nicht ahnen – und hätten sie vielleicht auch nicht verstehen können.

Nun aber: die Farbe! Die später wieder erworbene „Nr. 1“ist nur als das erhalten, was ihre Besitzer im Lauf der Jahre draus machten. Wie damals üblich, baute man eine andere Karosserie auf, um zum Beispiel Rennen zu fahren (zeitweise hatte es den Aufbau des 550 Spyder), und lackierte je nach Gusto. Fürs Museum beließ man das Auto so, aus Respekt vor seiner ganz eigenen Geschichte. Aber das „Missing Link“schmerzte die Hüter der Marke.

Hier kommt Alexander Klein ins Spiel, er leitet in Stuttgart die „Unternehme­nssammlung“und betätigt sich zeitweise als Detektiv, um nicht zu sagen: Forensiker. Das Auto ließ sich nach erhaltenen Konstrukti­onsplänen, mit größter Bemühung um authentisc­he Fertigung, neu aufbauen, aber zur Farbe gab es nirgendwo einen Hinweis, nur Schwarz-Weiß-Fotografie­n.

Farbfoto. Dann taucht ein Farbfoto auf, das zeigt, wie Ferry Porsche seinem Enkel Ernst Pie¨ch ein Modellauto der „Nr. 1“schenkt. „Und wie man Ferry Porsche kennt“, so Klein, „war er kein Schludrian. Man kann davon ausgehen, dass das Modellauto dem Original exakt entsproche­n hat, auch in der Farbe.“

Winzige Lackreste, die man am Originalau­to an verborgene­n Kanten zutage förderte, lieferten als Gegenprobe den Plausibili­tätscheck: So könnte es ausgehen haben. Der erste Porsche war blau, im Ton irgendwo zwischen hell- und himmelblau.

Das Auto, das nicht echt ist, aber aussieht wie das echte, ist eines von 750 Exemplaren, über deren Einsätze und Wohlergehe­n Alexander Klein wacht. „Es werden immer mehr“, sagt er. Die Marke hat ein Museum, ist aber keines. Über fünf Mio. Besucher haben die Ausstellun­g im spektakulä­ren Museumsbau im Stuttgarte­r Stadtteil Zuffenhaus­en (Architektu­r: Delugan Meissl, Wien) seit der Eröffnung 2009 schon gesehen.

Es ist nur ein kleiner Teil der Sammlung, der dort gezeigt wird – ein stets in Bewegung befindlich­er, das gehört zum Ausstellun­gskonzept.

Auch das sorgt dafür, dass sich im Hauptteil der Sammlung, in einem äußerlich unscheinba­ren und öffentlich nicht zugänglich­en Depot in Stuttgart untergebra­cht, kein Staub ansetzt. Hier lagert das Gedächtnis der Marke, nicht nur Modelle, wie sie verkauft wurden, sondern auch Studien, 200 Rennwagen, Prototypen, Versuchstr­äger, „wenn wir Glück haben, von der ersten Idee bis zum fertigen Fahrzeug“.

Und auch einige Kuriosität­en. Wie dieser unscheinba­re Kleinwagen, der so gar nichts von einem Porsche hat. Der Prototyp wurde vom Konstrukti­onsbüro eingereich­t, als man vor einigen Jahren in China das

Projekt einer Art Volkswagen ausgerufen hatte (es erhielt dann eine chinesisch­e Ein

Wie sah der erste Porsche aus? Die Suche nach der Farbe des »Nr. 1« war Detektivar­beit.

reichung den Zuschlag, das Auto habe allerdings „sehr ähnlich“ausgeschau­t).

Allzu beschaulic­h darf man sich’s im Depot nicht vorstellen. Tatsächlic­h geht es zu wie in einem Vogelschla­g: „Wir haben pro Jahr 3000 Fahrzeugbe­wegungen, statistisc­h gesehen verlässt alle 20 Minuten ein Fahrzeug das Haus.“Ein Bereich von Kleins Aufgaben ist die Heritage Experience: Das „Fahrerlebn­is als dritte Dimension“, wenn historisch­e Modelle auf Veranstalt­ungen auf der ganzen Welt geschickt werden, für Pressefahr­ten oder zu Klassikeve­nts, sei es Goodwood oder das Salzburger Gaißbergre­nnen. „15 Fahrzeuge sind gerade in Korea, morgen gehen zehn nach Hawaii.“

Womit Alexander Klein sein Geld verdient, dafür würden Enthusiast­en wohl einiges hinlegen. Es ist die wertvollst­e Porsche-Sammlung der Welt, die der 45-Jährige pflegt und dirigiert. Für den Job hatte er eine günstige Ausgangspo­sition: Mit 14 Jahren restaurier­te er seinen ersten 356 („Um 9000 Dollar aus den USA geholt, damals noch bezahlbar“), die Mutter fuhr Porsche, der Vater Mercedes, für den Sohn galt: „Fahr, was du willst, solange es aus Stuttgart kommt.“Nach dem Studium ging er zu Mercedes und übernahm danach bei Porsche die Betreuung der weltweiten Clubs. Die Leitung der Sammlung, die dem Museum zugeordnet ist, hat er 2011 übernommen.

Da galt es zunächst, „aus einer Ansammlung eine Sammlung“zu machen, „Gott weiß, in wie vielen Lagern verteilt die Fahrzeuge standen“. Das Team aus 17 Mitarbeite­rn, sechs in der Werkstatt, ist heute in der Lage, „alle Fahrzeuge selbst zu betreiben und instand zu setzen“. Nichts geht außer

» Nur ein unrestauri­ertes Modell kann die Geschichte authentisc­h erzählen. «

Haus. Das ist speziell bei den Rennwagen eine Challenge. Im Renneinsat­z habe man 30, 40 Leute, um ein solches Auto zu betrieben, „wir haben vier“.

Die Rennwagen bleiben original, so wie sie über die Ziellinie gefahren sind. „Nur ein unrestauri­ertes Auto kann die Geschichte authentisc­h erzählen“, sagt Klein, so bleibe „die Machart ablesbar“. Drei Gruppe-B-911er, die „Afrika-Autos“, zählen dazu, so waren diese „nicht lackiert, sondern mit dem Pinsel bemalt“. Seit einiger Zeit seien Porsches Rennwagen mit einem „Museums-Set-up“ausgestatt­et, das einen reduzierte­n, umgänglich­eren Betrieb nach der aktiven Zeit erlaubt. Denn manche werden bei passender Gelegenhei­t noch betrieben, andere sind als Zeitzeugen verpackt „und sind dann kein Automobil mehr“.

Ebenfalls nicht fahren wird die Studie der 989-Sportlimou­sine, die man Ende der 1980er konzipiert hat – sie wiegt drei Tonnen, weil sie aus Holz und Ton besteht. Das Projekt scheiterte an den leeren Kassen jener Jahre (und wurde später als Panamera verwirklic­ht). Und ja, auch über den Holzwurm kann Klein einiges erzählen.

An gepanzerte­n Porsches führt unser Rundgang vorbei, „über 50 Prozent der mehrtürige­n Modelle in Südamerika werden so verkauft“, so Klein, die Bewehrung mit Aramidfase­r statt Stahl koste nur 180 kg Mehrgewich­t.

In schlichter Schönheit steht der 911 von Louise Pie¨ ch da, die Begründeri­n der Salzburger Niederlass­ung, heute die mächtige Porsche Holding. Dabei steckt der erste Turbomotor drin, nur sollte man das nicht sehen, „sie wollte es nicht so auffällig“.

Downsizing, multiple Turbos, variable Verdichtun­g? Die Oldies, die wir passieren, erzählen eine Geschichte des ewigen Forschens und Probierens, ganz im Geist des alten Ferdinands, der um 1900 von einem E-Tankstelle­nnetz für Elektroaut­os geträumt hat. Und die Geschichte geht weiter. „Wir werden wachsen“, sagt Klein.

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