Junge Menschen, die wie
Die Jungen reden nur noch bundesdeutsch. Der Dialekt verschwindet, und das Wienerische stirbt ohnehin aus, wird oft beklagt. Aber stimmt das, und ist das schlimm?
Ein Wort drückt selten nur das aus, was es meint. Es schwingt oft viel mehr mit, zum Beispiel die Herkunft. Hört ein Mensch über 30 hierzulande das Wort „lecker“, denkt er meist weniger an gutes Essen, vielmehr zieht es ihm den Magen zusammen, und das reflexartige „Lecker sagt man bei uns nicht“ist oft schneller ausgesprochen, als man darüber nachdenken kann.
„In dem Moment, in dem Sie Sprachwandel wahrnehmen, beginnen Sie alt zu werden“, lautet eine Weisheit unter Linguisten. Denn „lecker“sagt man in Österreich sehr wohl – nur mit der Einschränkung, dass das vorwiegend junge Menschen tun, die nichts dabei finden. Sie sagen ja auch „nice“, „for real“oder „gemma Kino“.
»In dem Moment, in dem Sie Sprachwandel wahrnehmen, beginnen Sie alt zu werden.«
„Wir hören den Vorwurf schon oft, dass wir piefkedeutsch reden. Aber in der Schule wird Hochdeutsch gesprochen. Ich glaub, viele Lehrer sprechen eigentlich Dialekt, verstecken das aber in der Schule“, sagt die 15-jährige Babsi Schöbel, die im achten Wiener Bezirk wohnt und der „Presse am Sonntag“gemeinsam mit ihrer gleichaltrigen Freundin Una Reber für ein Gespräch zur Verfügung stand.
Jugend- vs. Erwachsenensprache. Und tatsächlich, für die Autorin dieser Zeilen (die den 40er auch schon hinter sich hat) klingt die Sprache der Mädchen ein bisschen bundesdeutsch – allerdings eher die Sprachmelodie, weniger die Wörter, die sie verwenden. Aber die zwei Mädchen werden sich wohl auch (wie das viele Menschen tun) unbewusst an ihr Gegenüber anpassen und nicht gerade in der Jugendsprache sprechen, sondern so, dass es auch Erwachsene verstehen.
Früher, erzählt Babsi Schöbel, habe sie den Vorwurf, bundesdeutsch zu reden, als Beleidigung wahrgenommen, „weil meine Eltern aus Oberösterreich stammen“. Heute macht ihr das weniger aus, sie ignoriert es. Vielleicht kommt der Vorwurf auch seltener, weil sich ihr Umfeld daran gewöhnt hat.
Ähnlich sieht das ihre Freundin, die Wurzeln in Bayern, Tirol und ebenfalls Oberösterreich hat. Sie beide bezeichnen sich als Wienerinnen, wobei sie, wenn sie ihre Verwandten besuchen, auch hin und wieder in den dort üblichen Dialekt verfallen. „Manchmal fangen die Leute in Tirol an, mit mir
LEXIKON
Hochdeutsch zu sprechen. Das mag ich nicht, ich versteh sie ja. Ich brauch keine Extrawurst“, sagt Una. Und beide Mädchen wurden von ihren Großeltern schon schief angeschaut, wenn sie „lecker“gesagt haben.
Der Vorwurf, dass junge Menschen hierzulande wie in Deutschland reden, kursiert seit Jahren. Ob das stimmt – und man so etwas einem Menschen überhaupt vorwerfen kann –, sei einmal dahingestellt. „Ich habe letztens im Bus eine Gruppe Deutscher gehört, die reden schon ganz anders als wir“, sagt Babsi Schöbel.
Wahrnehmung und Einstellung. Das würde auch der Linguist Manfred Glauninger bestätigen. Darauf angesprochen, muss er schmunzeln und meint, das seien subjektive Wahrnehmungen, die zwar viele teilen, sich aber vom tatsächlichen Sprechen unterscheiden. „Sprache hat viel mit Wahrnehmung und Einstellung zu tun. Einzelnen Wörtern, die besonders auffällig sind, wird viel Aufmerksamkeit geschenkt.“Würde man aber einen Deutschen fragen, was er meint, woher die jungen Wienerinnen, die vermeintliches Bundesdeutsch sprechen, stammen, würde er sie eindeutig als Österreicherinnen erkennen. Aber natürlich sprechen junge Menschen in Wien mehr standardnahes Deutsch, wie er es nennt, weil es ihrer Lebenswelt (auch der virtuellen) entspricht. Genauso, wie sie englische Wörter verwenden.
Sprache ist immer nur eine Momentaufnahme. Den einen richtigen Dialekt gibt es nicht.
Sprache sei generell eine Momentaufnahme, sie wandle sich ständig. Für Linguisten sei das normal. Ebenso normal sei es aber auch, dass Laien den Sprachwandel bedauern. Den „unverfälschten“Dialekt oder das „echte“Wienerisch, dessen Verschwinden oft beklagt wird, gibt es nicht. „Auch der Dialekt der Großeltern war ein Produkt des ständigen Sprachwandels.“Und: Die Veränderung der Sprache zu beklagen sei auch ein Luxusproblem. „Das zeigt schon, dass es uns sehr gut geht.“
Wien ist anders. Man vergesse dabei oft, dass wir nicht mehr so leben wie vor 50 Jahren, also reden wir auch nicht mehr so. Dass aber der Dialekt besonders in den Großstädten seltener wird, sei ein genereller Trend im deutschsprachigen Raum. Das habe mit der gesellschaftlichen Dynamik und der Heterogenität der Bevölkerung zu tun.
Wienerisch, das es in mehreren Facetten gibt (vom „Arbeiterslang“bis hin zum Erbe des Schönbrunner Deutsch, das gern nasal ausgesprochen wurde), hört man heute tatsächlich nur noch selten. Oder besser gesagt: jenes Wienerisch, wie es sich viele vorstellen. Heute wird es hin und wieder bewusst
der Schule, in der Arbeit oder bei Behörden besser Hochdeutsch zu reden, um sich nicht zu blamieren.
Minderwertigkeitskomplex. Wobei das mit dem Hochdeutsch ja auch so eine Sache ist. Denn dass die Standardsprache sich am deutschen Idiom orientiert, ist auch kein Naturgesetz. Eine Gruppe von Germanisten propagiert ein stärkeres Selbstbewusstsein des Österreichischen als eine eigenständige Varietät des Deutschen, zu der man auch stehen soll. Stefan Dollinger, ein Österreicher, der im kanadischen Vancouver Sprachwissenschaft unterrichtet, plädiert für Mut zum Österreichischen. Er selbst habe noch in der Schule gelernt, dass Deutsche „Michelin“deutsch aussprechen, habe mit ihrem Selbstbewusstsein zu tun. Und dass die Österreicher den Namen der französischen Reifenmarke französisch aussprechen, sei ein Ausdruck von Unsicherheit. „Aber das ist nur eine Seite. Man könnte auch sagen, wir sind offener für Fremdsprachen.“
»Gemma Kino« ist vielleicht das Wienerisch von morgen, das einmal hochgehalten wird.
An Beispielen wie diesen verortet er einen sprachlichen Minderwertigkeitskomplex der Österreicher. Der rühre unter anderem daher, dass führende Proponenten der Germanistik in Österreich Deutschnationale gewesen seien und dementsprechend einer großdeutschen Idee gehuldigt haben. Umso wichtiger sei es, dass man das Konzept des österreichischen Hochdeutsch in den Schulen unterrichtet. „Sonst ist man mentalitätsmäßig immer nur ein Dialekt der großdeutschen Sprache.“Allein, so Dollinger, das scheitere derzeit schon daran, dass die Germanistik an den Unis zunehmend von Deutschen besetzt werde. Und genau dort werden auch die Lehrer ausgebildet, die den Kindern dann Deutsch beibringen sollen. Das mache es schwierig, diesem sprachlichen Minderwertigkeitskomplex entgegenzutreten. Und so wird im Gegenzug jemand, der mit Deutschen österreichisches Deutsch spricht, gern liebevoll als ulkig angesehen. Und wenn man im Dialekt spricht, dann erst recht.
Das Wienerische als Ironie. Heute wird Dialekt vielleicht in Summe seltener gesprochen, oder wenn, dann eine Umgangssprache, die leicht dialektal ist. Er wird aber öfter bewusst eingesetzt, etwa um Identität zu stiften. „Auch in der Werbung von Bio-Lebensmitteln wird oft Dialekt verwendet“, sagt Glauninger. Und das Wienerische wird gern eingesetzt, um Ironie oder ein Augenzwinkern auszudrücken. Im Vorarlbergerischen (das ebenfalls eine Ausnahme ist, weil es noch viel mehr von Jung und Alt gesprochen wird), würde das nicht funktionieren.
Dialekt verschwindet also nicht, er wandelt sich nur, wie er das schon immer getan hat. Selbst das Wienerische, das jedoch tatsächlich etwas weniger wird. Allerdings erfährt auch das Wienerische das Schicksal aller selten werdenden Phänomene: Es wird plötzlich wieder besonders und hat deshalb auch einen Platz in der Popkultur. Vielleicht findet es dadurch wieder in den Alltag. Sprache ist stets im Wandel.