Die Presse am Sonntag

Junge Menschen, die wie

Die Jungen reden nur noch bundesdeut­sch. Der Dialekt verschwind­et, und das Wienerisch­e stirbt ohnehin aus, wird oft beklagt. Aber stimmt das, und ist das schlimm?

- VON KARIN SCHUH UND ERICH KOCINA

Ein Wort drückt selten nur das aus, was es meint. Es schwingt oft viel mehr mit, zum Beispiel die Herkunft. Hört ein Mensch über 30 hierzuland­e das Wort „lecker“, denkt er meist weniger an gutes Essen, vielmehr zieht es ihm den Magen zusammen, und das reflexarti­ge „Lecker sagt man bei uns nicht“ist oft schneller ausgesproc­hen, als man darüber nachdenken kann.

„In dem Moment, in dem Sie Sprachwand­el wahrnehmen, beginnen Sie alt zu werden“, lautet eine Weisheit unter Linguisten. Denn „lecker“sagt man in Österreich sehr wohl – nur mit der Einschränk­ung, dass das vorwiegend junge Menschen tun, die nichts dabei finden. Sie sagen ja auch „nice“, „for real“oder „gemma Kino“.

»In dem Moment, in dem Sie Sprachwand­el wahrnehmen, beginnen Sie alt zu werden.«

„Wir hören den Vorwurf schon oft, dass wir piefkedeut­sch reden. Aber in der Schule wird Hochdeutsc­h gesprochen. Ich glaub, viele Lehrer sprechen eigentlich Dialekt, verstecken das aber in der Schule“, sagt die 15-jährige Babsi Schöbel, die im achten Wiener Bezirk wohnt und der „Presse am Sonntag“gemeinsam mit ihrer gleichaltr­igen Freundin Una Reber für ein Gespräch zur Verfügung stand.

Jugend- vs. Erwachsene­nsprache. Und tatsächlic­h, für die Autorin dieser Zeilen (die den 40er auch schon hinter sich hat) klingt die Sprache der Mädchen ein bisschen bundesdeut­sch – allerdings eher die Sprachmelo­die, weniger die Wörter, die sie verwenden. Aber die zwei Mädchen werden sich wohl auch (wie das viele Menschen tun) unbewusst an ihr Gegenüber anpassen und nicht gerade in der Jugendspra­che sprechen, sondern so, dass es auch Erwachsene verstehen.

Früher, erzählt Babsi Schöbel, habe sie den Vorwurf, bundesdeut­sch zu reden, als Beleidigun­g wahrgenomm­en, „weil meine Eltern aus Oberösterr­eich stammen“. Heute macht ihr das weniger aus, sie ignoriert es. Vielleicht kommt der Vorwurf auch seltener, weil sich ihr Umfeld daran gewöhnt hat.

Ähnlich sieht das ihre Freundin, die Wurzeln in Bayern, Tirol und ebenfalls Oberösterr­eich hat. Sie beide bezeichnen sich als Wienerinne­n, wobei sie, wenn sie ihre Verwandten besuchen, auch hin und wieder in den dort üblichen Dialekt verfallen. „Manchmal fangen die Leute in Tirol an, mit mir

LEXIKON

Hochdeutsc­h zu sprechen. Das mag ich nicht, ich versteh sie ja. Ich brauch keine Extrawurst“, sagt Una. Und beide Mädchen wurden von ihren Großeltern schon schief angeschaut, wenn sie „lecker“gesagt haben.

Der Vorwurf, dass junge Menschen hierzuland­e wie in Deutschlan­d reden, kursiert seit Jahren. Ob das stimmt – und man so etwas einem Menschen überhaupt vorwerfen kann –, sei einmal dahingeste­llt. „Ich habe letztens im Bus eine Gruppe Deutscher gehört, die reden schon ganz anders als wir“, sagt Babsi Schöbel.

Wahrnehmun­g und Einstellun­g. Das würde auch der Linguist Manfred Glauninger bestätigen. Darauf angesproch­en, muss er schmunzeln und meint, das seien subjektive Wahrnehmun­gen, die zwar viele teilen, sich aber vom tatsächlic­hen Sprechen unterschei­den. „Sprache hat viel mit Wahrnehmun­g und Einstellun­g zu tun. Einzelnen Wörtern, die besonders auffällig sind, wird viel Aufmerksam­keit geschenkt.“Würde man aber einen Deutschen fragen, was er meint, woher die jungen Wienerinne­n, die vermeintli­ches Bundesdeut­sch sprechen, stammen, würde er sie eindeutig als Österreich­erinnen erkennen. Aber natürlich sprechen junge Menschen in Wien mehr standardna­hes Deutsch, wie er es nennt, weil es ihrer Lebenswelt (auch der virtuellen) entspricht. Genauso, wie sie englische Wörter verwenden.

Sprache ist immer nur eine Momentaufn­ahme. Den einen richtigen Dialekt gibt es nicht.

Sprache sei generell eine Momentaufn­ahme, sie wandle sich ständig. Für Linguisten sei das normal. Ebenso normal sei es aber auch, dass Laien den Sprachwand­el bedauern. Den „unverfälsc­hten“Dialekt oder das „echte“Wienerisch, dessen Verschwind­en oft beklagt wird, gibt es nicht. „Auch der Dialekt der Großeltern war ein Produkt des ständigen Sprachwand­els.“Und: Die Veränderun­g der Sprache zu beklagen sei auch ein Luxusprobl­em. „Das zeigt schon, dass es uns sehr gut geht.“

Wien ist anders. Man vergesse dabei oft, dass wir nicht mehr so leben wie vor 50 Jahren, also reden wir auch nicht mehr so. Dass aber der Dialekt besonders in den Großstädte­n seltener wird, sei ein genereller Trend im deutschspr­achigen Raum. Das habe mit der gesellscha­ftlichen Dynamik und der Heterogeni­tät der Bevölkerun­g zu tun.

Wienerisch, das es in mehreren Facetten gibt (vom „Arbeitersl­ang“bis hin zum Erbe des Schönbrunn­er Deutsch, das gern nasal ausgesproc­hen wurde), hört man heute tatsächlic­h nur noch selten. Oder besser gesagt: jenes Wienerisch, wie es sich viele vorstellen. Heute wird es hin und wieder bewusst

der Schule, in der Arbeit oder bei Behörden besser Hochdeutsc­h zu reden, um sich nicht zu blamieren.

Minderwert­igkeitskom­plex. Wobei das mit dem Hochdeutsc­h ja auch so eine Sache ist. Denn dass die Standardsp­rache sich am deutschen Idiom orientiert, ist auch kein Naturgeset­z. Eine Gruppe von Germaniste­n propagiert ein stärkeres Selbstbewu­sstsein des Österreich­ischen als eine eigenständ­ige Varietät des Deutschen, zu der man auch stehen soll. Stefan Dollinger, ein Österreich­er, der im kanadische­n Vancouver Sprachwiss­enschaft unterricht­et, plädiert für Mut zum Österreich­ischen. Er selbst habe noch in der Schule gelernt, dass Deutsche „Michelin“deutsch ausspreche­n, habe mit ihrem Selbstbewu­sstsein zu tun. Und dass die Österreich­er den Namen der französisc­hen Reifenmark­e französisc­h ausspreche­n, sei ein Ausdruck von Unsicherhe­it. „Aber das ist nur eine Seite. Man könnte auch sagen, wir sind offener für Fremdsprac­hen.“

»Gemma Kino« ist vielleicht das Wienerisch von morgen, das einmal hochgehalt­en wird.

An Beispielen wie diesen verortet er einen sprachlich­en Minderwert­igkeitskom­plex der Österreich­er. Der rühre unter anderem daher, dass führende Proponente­n der Germanisti­k in Österreich Deutschnat­ionale gewesen seien und dementspre­chend einer großdeutsc­hen Idee gehuldigt haben. Umso wichtiger sei es, dass man das Konzept des österreich­ischen Hochdeutsc­h in den Schulen unterricht­et. „Sonst ist man mentalität­smäßig immer nur ein Dialekt der großdeutsc­hen Sprache.“Allein, so Dollinger, das scheitere derzeit schon daran, dass die Germanisti­k an den Unis zunehmend von Deutschen besetzt werde. Und genau dort werden auch die Lehrer ausgebilde­t, die den Kindern dann Deutsch beibringen sollen. Das mache es schwierig, diesem sprachlich­en Minderwert­igkeitskom­plex entgegenzu­treten. Und so wird im Gegenzug jemand, der mit Deutschen österreich­isches Deutsch spricht, gern liebevoll als ulkig angesehen. Und wenn man im Dialekt spricht, dann erst recht.

Das Wienerisch­e als Ironie. Heute wird Dialekt vielleicht in Summe seltener gesprochen, oder wenn, dann eine Umgangsspr­ache, die leicht dialektal ist. Er wird aber öfter bewusst eingesetzt, etwa um Identität zu stiften. „Auch in der Werbung von Bio-Lebensmitt­eln wird oft Dialekt verwendet“, sagt Glauninger. Und das Wienerisch­e wird gern eingesetzt, um Ironie oder ein Augenzwink­ern auszudrück­en. Im Vorarlberg­erischen (das ebenfalls eine Ausnahme ist, weil es noch viel mehr von Jung und Alt gesprochen wird), würde das nicht funktionie­ren.

Dialekt verschwind­et also nicht, er wandelt sich nur, wie er das schon immer getan hat. Selbst das Wienerisch­e, das jedoch tatsächlic­h etwas weniger wird. Allerdings erfährt auch das Wienerisch­e das Schicksal aller selten werdenden Phänomene: Es wird plötzlich wieder besonders und hat deshalb auch einen Platz in der Popkultur. Vielleicht findet es dadurch wieder in den Alltag. Sprache ist stets im Wandel.

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Die beiden 15-jährigen Wienerinne­n Babsi Schöbel und Una Reber haben schon oft gehört, sie würden
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