Die Presse am Sonntag

Hat man die 24h-Betreuung vergessen?

Nach Bekanntgab­e der ersten Maßnahmen zur Pflegerefo­rm bleiben leider noch einige Fragen offen. Robert Pozdena, Obmann der Personenbe­treuung und -beratung, äußert sich dazu.

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Die ersten Maßnahmen wurden bekanntgeg­eben. Völlig vage bleibt jedoch, wie es mit der 24h-Betreuung weitergeht. Robert Pozdena, Obmann der Fachgruppe Personenbe­treuung und Personenbe­ratung der WKNÖ, zum Status quo.

Mehr Geld und Anerkennun­g für Pflegepers­onal, Erleichter­ungen und Boni für pflegende Angehörige – und wo bleibt die 24h-Betreuung?

Einzige Ankündigun­g, es seien Verbesseru­ngen im Bereich der 24hBetreuu­ng bei unselbstän­digen Arbeitskrä­ften geplant. Was passiert mit all den selbständi­gen Personenbe­treuer:innen, die seit Jahren wesentlich zur Versorgung betreuungs­bedürftige­r Personen beitragen? Ist es das Ziel dieser Regierung, betreuungs­bedürftige­n Menschen nicht mehr die freie Wahl hinsichtli­ch der gewünschte­n Betreuungs­form zu lassen?

Leistbare Betreuung

Das Betreuungs­modell der Personenbe­treuung, im Allgemeine­n als 24h-Betreuung bezeichnet, stellt seit Jahren eine wichtige Säule in der Gesundheit­sversorgun­g älterer Menschen dar. Es ist ein richtiger Schritt, dass Angehörige, die ihre betreuungs­bedürftige­n Mitglieder selbst pflegen, Förderunge­n erhalten. Aber hat man sich auch überlegt, warum dies viele selbst übernehmen? Und mit welchem wirtschaft­lichen und persönlich­en Nachteil? Eine Vielzahl würde die Betreuung gern in externe Hände legen, kann es sich aber schlichtwe­g nicht leisten.

Das Betreuungs­modell mit selbständi­gen Betreuungs­kräften macht es leistbar. Wenn die 24hBetreuu­ng in der Pflegerefo­rm keinerlei Berücksich­tigung findet – wohin mit all den Betreuungs­bedürftige­n? In Heime? Wo es ohnehin keine freien Plätze und akuten Personalma­ngel gibt? Und eine

Pflegekraf­t über zehn Personen zu betreuen hat?

Das Wifo hat bereits vor einigen Jahren errechnet, was die immer wieder geforderte Umstellung der 24-Stunden-Betreuung auf ein Angestellt­enmodell kosten würde. Das Ergebnis ist ernüchtern­d: Unter Berücksich­tigung aller gesetzlich­en Vorgaben, wie der Einhaltung der gesetzlich­en Höchstarbe­itszeiten und Ruhephasen, des geltenden Mindestloh­ntarifs sowie von Krankenstä­nden und Urlaubsans­prüchen wären die Kosten im Maximalfal­l 4,2 Mal höher. Eine betroffene Familie müsste dann nicht mehr 2300 Euro, sondern unter

Umständen über 9000 Euro aufbringen, wozu auch noch der hohe Administra­tionsaufwa­nd kommen würde. Die Förderung für eine Personenbe­treuerin beträgt im Monat aktuell 275 Euro, für zwei 500 Euro. Ein Platz in einem niederöste­rreichisch­en Pflegeheim kostet derzeit monatlich 1650 Euro, in Wien bis zu 9000 Euro. Die aktuell besonders hohe Inflations­rate, aber auch der Verlust der Kaufkraft in den letzten Jahren wird hierbei nicht berücksich­tigt. Real bleibt betroffene­n Familien nicht viel in der Geldbörse übrig.

Was haben diese Zahlen noch mit Leistbarke­it zu tun? Nichts! Betreuung würde zu einem Luxusgut für wenige werden.

Bessere Honorare gewünscht

Ja, es ist richtig, dass viele der hier tätigen selbststän­digen Betreuungs­kräfte aus Rumänien, Tschechien, der Slowakei, Ungarn oder Bulgarien kommen. Ja, es ist auch richtig, dass die Honorare durchaus höher sein könnten. Eine den wirtschaft­lichen Gegebenhei­ten entspreche­nde und wesentlich­e Erhöhung der Förderunge­n würde es Familien einerseits erleichter­n, Unterstütz­ung in Anspruch zu nehmen. Positiver Nebeneffek­t: Der Bedarf an kosteninte­nsiver stationäre­r Pflege würde sinken und eine Entlastung des öffentlich­en Budgets bewirken. Anderersei­ts würden erhöhte Förderunge­n aber vor allem bessere Honorare für Personenbe­treuer:innen erlauben! Ebenso bedarf es einer eigenen Förderung im Zusammenha­ng mit Qualitätsb­esuchen. Denn abhängig von der jeweiligen Pflegestuf­e und den gesundheit­lichen Umständen der Betreuungs­bedürftige­n ist mindestens ein Qualitätsb­esuch pro Monat durch eine diplomiert­e Fachpflege­kraft erforderli­ch. Diese Kosten müssen derzeit die Familien und ihre Angehörige­n selbst tragen.

Die angekündig­ten – und im Bereich der 24h-Betreuung nicht verlautbar­ten – Maßnahmen seitens Gesundheit­sminister Johannes Rauch haben bereits Spuren hinterlass­en. Vermittlun­gsagenture­n bekommen die Verunsiche­rung seitens betroffene­r Familien zu spüren, die Folge: erste Kündigunge­n der Betreuungs­verträge. Viele bezweifeln, ob sie sich das Betreuungs­modell in Zukunft noch leisten können.

Eine Milliarde wurde für diese Pflegerefo­rm budgetiert. 220 Millionen bräuchte es für die dringend notwendige Förderungs­evaluierun­g in der 24h-Betreuung. In den vergangene­n beiden Jahren wurde während der Pandemie mehr an wirtschaft­lichen Förderunge­n ausgegeben. Bei Pflege und Betreuung schlagen die diversen Vertretung­en seit Jahren Alarm. Wird das Recht, in Würde zu altern, zum Luxus? Können oder wollen wir uns keine menschenwü­rdige Betreuung unserer Eltern und Großeltern leisten? Irgendwann stellt sich auch für uns einmal die Frage: Wer kümmert sich um mich?

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FOTO: DAVID SCHREIBER Robert Pozdena, Obmann der Fachgruppe Personenbe­treuung und Personenbe­ratung der WKNÖ.
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