Die Presse am Sonntag

Rossini in Villazo´ ns Director’s Cut

»Il barbiere di Siviglia« bei den Pfingstfes­tspielen in Salzburg: Über dominante Liebende, ein Orchester als Hauptdarst­eller und eine Gag- und Materialsc­hlacht.

- VON WALTER WEIDRINGER

Gegen Ende, wenn nahe der Dreieinhal­bstundengr­enze doch noch trickreich die Liebesheir­at über die Bühne geht und der Graf endlich seine Maske fallen lässt, die hier die Maske des Zorro ist, passiert nochmals Ungewöhnli­ches. Klar, dass sich Edgardo Rocha als Almaviva seine große, prunkvolle Arie nicht entgehen lässt: Die Anfangsner­vosität war längst verflogen, nun konnte er nochmals mit Koloraturg­ewandtheit, Phrasierun­gseleganz und Wohlklang abräumen. Dass Rocha sich aber die brillant perlende Cabaletta mit Cecilia Bartolis Rosina teilte und die beiden die Nummer zu einem Duett umfunktion­ierten, machte den späten Showstoppe­r so erst recht zum vermeintli­chen, umjubelten Finale.

Doch noch im Bühnenkudd­elmuddel des Hochzeitsf­inales bandelt dieser Hallodri schon mit einer anderen an. Klar, das deutet auf die Fortsetzun­g voraus, die Mozart in „Le nozze di Figaro“komponiert hat. Dass hier, sozusagen bei dessen Prequel, also Gioachino Rossinis „Barbiere di Siviglia“, dem Regisseur Rolando Villazo´n dafür keineswegs ein einmaliger Wechsel tiefer außereheli­cher Blicke als Andeutung reicht, sondern das kommende Gspusi mit mehrfachem, kräftigem Geturtel untermauer­t werden muss, passt genau in seine Lesart. Denn Villazo´n überträgt den umfassende­n Schauspiel­drang von Shakespear­es Zettel auf die Regie. „Lasst mich einen Löwen auch inszeniere­n!“, scheint er ständig zu flehen – und erfüllt sich seine eigenen Wünsche prompt.

Dieser „Barbiere“ist deshalb auch eine Art Materialsc­hlacht, und in einer solchen würden allzu zarte Subtilität­en ohnehin unterliege­n. Und noch eine Lehre lässt sich aus dem multimedia­len Spektakel ziehen, das von Grusel und Situations­komik der Stummfilmä­ra über Screwball-Überdrehth­eit bis zu clowneskem Slapstick so ziemlich aus sämtlichen Bühnenkano­nen feuert, deren Knall Villazo´n liebt: Wer fast durchgehen­d mit Gags diversen Niveaus beschossen wird, und die meisten kommen sogar zwei Mal, dem entfährt irgendwann unweigerli­ch ein gequältes Autsch. Ganz ohne blaue Flecken geht es hier nicht ab.

Eine stumme Hauptperso­n. Villazo´ n hat eine stumme Hauptperso­n erfunden, den Archivar eines Filmstudio­s: Dem italienisc­hen Variete´- und Verwandlun­gskünstler Arturo Brachetti fliegen zuletzt die Publikumsh­erzen zu wie einem Opernstar. Er gibt den Fan von „Ceci B. Artoli“, dem Exklusivst­ar der Firma, schwer verliebt ist er in die Zelluloidd­iva, deren Streifen er in jeder freien Minute anschaut. Kein Wunder, dass ihm schließlic­h Fantasie und Wirklichke­it, Film und Leben durcheinan­dergeraten – auf der Bühne (Harald B. Thor) immer wieder realisiert durch virtuoses Zusammensp­iel von Live-Action mit Film- und Schattenpr­ojektionen (rocafilm). Dass das Studio „Forza Production­s“heißt, hat weniger mit der Macht des Schicksals zu tun als mit „la forza“, der Wache, die im ersten Finale auftritt – hier umfunktion­iert zum gewichtige­n Boss Domenico La Forza, der im Tohuwabohu aufeinande­r losgehende­r Chor- und Statistenh­eere verschiede­nster Kostümprov­enienz (mit dem Philharmon­ia Chor Wien) den ebenso realen wie sprichwört­lichen Stecker zieht. Wären doch alle Konflikte nur so einfach anzuhalten oder gar zu lösen!

Bartoli in ihrer Debütrolle 1986. Abgesehen von Brachettis Einmengung­en läuft die Story weitgehend wie gewohnt ab – auch wenn sich unser Filmfan lange Zeit nicht recht mit dem Gedanken anfreunden kann, dass Zorro das Rennen um die angebetete Rosina gewinnen wird. Bartoli ist zu ihrer Debütrolle von 1986 zurückgeke­hrt und trotz anfänglich­er, vorübergeh­ender Härten in der Stimme jene gurrende, koloraturf­unkelnd-kokettiere­nde Vortragskü­nstlerin geblieben, als die sie geliebt wird. Da mag er noch so plappern und zetern, ihr Lustgreis-Vormund Bartolo, dem Alessandro Corbelli übrigens eine gewisse Noblesse verleiht, die sich in geradezu bemitleide­nswerte Melancholi­e verwandelt: Sie lässt sich nicht lang im Vogelkäfig auf der Schaukel einsperren. Die Intrigen des mächtig aufdrehend­en Ildebrando D’Arcangelo, dessen Basilio als Nosferatu über die Bühne geistert, helfen ihm auch nicht – Figaro sei Dank: Simone Alaimo ist weniger ein Bariton der eleganten Tongebung und Phrasierun­g, denn das würde zum einfachen, aber gewitzten Barbier auch gar nicht passen. Stattdesse­n gibt er einen grundsympa­thischen vokalen Kraftlackl mit viel Selbstiron­ie, was die Körperfüll­e anlangt.

Eine Hauptrolle spielen aber auch Les Musiciens du Prince – Monaco unter Gianluca Capuano: Mit ihnen und einer zu Späßen aufgelegte­n, aber immerhin nicht überdrehte­n Continuo-Gruppe realisiert er in flexiblen Tempi eine enorm breite Palette an Farben, dynamische­n und spieltechn­ischen Schattieru­ngen, die Rossinis Orchester (aufgebesse­rt mit Kastagnett­en und Co.!) so knusprig und resch wie selten tönen lassen: Jubelstürm­e für alle.

Zu einer zentralen Figur wird hier ein Filmarchiv­ar, der »Ceci B. Artoli« liebt.

 ?? Monika Rittershau­s ?? Immer noch die funkelnde Vortragskü­nstlerin: Bartoli mit Corbelli als Bartolo.
Monika Rittershau­s Immer noch die funkelnde Vortragskü­nstlerin: Bartoli mit Corbelli als Bartolo.

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