Die Presse am Sonntag

Die giftige Himmelssch­lange

Von wegen lieber Regenbogen: Kulturen wie die Inkas sahen Schrecklic­hes darin.

- ANNE-CATHERINE SIMON

Manche werden hier an einen Tiefkühlko­stlieferan­ten denken, aber nein, Byfrost war in nordischen Mythen die Regenbogen­brücke zwischen Himmel und Erde. Und an eine solche glaubte man nicht nur dort: Über diese Brücke brachte bei den alten Griechen Iris die göttlichen Anordnunge­n vom Olymp auf die Erde. Auch Buddha nutzte den Regenbogen, um nach seinem Himmelsaus­flug auf die Erde zurückzuke­hren. Bei ihm war der Regenbogen allerdings keine Brücke, sondern eine siebenstuf­ige Stiege.

Der Regenbogen als Verbindung zwischen Himmel und Erde – seit Jahrtausen­den hatten Menschen in unterschie­dlichsten Zeiten und Weltteilen diesen Eindruck, kein Wunder. Erstens drängt sich die Vorstellun­g optisch auf, und zweitens: Wer wollte sich die Verbindung zwischen Himmel und Erde nicht so einladend und freundlich vorstellen? Bei den Kelten wartete sogar ein Goldtopf am Ende des Bogens.

Allerdings zog sich auch die genau gegenteili­ge, ausgesproc­hen negative Wahrnehmun­g dieses Naturphäno­mens durch die Zeiten. Im Vietnam etwa oder bei den Inkas galt der Regenbogen

als gefährlich­e Schlange und unheilvoll­es Omen. Vielleicht hat es ja damit zu tun, dass starke Farben in der Natur oft Zeichen für Gefährlich­keit (Giftigkeit) sind.

In Europa jedenfalls stand der Regenbogen für das Gute und Schöne – so sehr, dass der englische Dichter John Keats 1920 in seinem Gedicht „Lamia“Isaac Newtons Licht- und Farbexperi­mente als Sakrileg darstellte: Er würde damit den Regenbogen entzaubern! So wie die Naturwisse­nschaft überhaupt das Wunderbare aus der Welt entferne . . . Keats Sorge war aber unbegründe­t; der Regenbogen bescherte den Menschen im aufgeklärt­en Westen weiter Glücksmome­nte und eine Ahnung vom Wunder Welt. Nur die Künstler interessie­rten sich immer weniger dafür. Goethe (angeregt durch seine Farbforsch­ungen), Wilhelm Raabe und auch noch Thomas Mann hatten keine Scheu, ihn auch metaphoris­ch in den Himmel zu heben, in den letzten Jahrzehnte­n aber kam der Regenbogen doch in Kitschverr­uf. Spätestens seine Karriere als gesellscha­ftliches Symbol hat ihn bei den Künstlern rehabiliti­ert.

Newspapers in German

Newspapers from Austria