Die Grenzen der EU-Aufnahmefähigkeit
Die EU wird nicht umhinkommen, der Ukraine aus Solidarität Kandidatenstatus zu gewähren. Doch von einer Mitgliedschaft ist das Land weit entfernt. Europa muss Alternativmodelle entwickeln.
Die ukrainische Regierung hat alle Lobbyingschleusen geöffnet, um den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu ergattern. Am Freitag schon soll in Brüssel die Entscheidung fallen. Der Druck ist groß: Die Kommission wird kaum umhinkommen, dem kriegsgebeutelten Land grünes Licht zu geben. Es geht dabei um Symbolik, Pathos und Solidarität: Präsidentin Ursula von der Leyen will ein Zeichen setzen, dass die unter russischem Beschuss stehende Ukraine zur europäischen Familie gehört.
Von einer Vollmitgliedschaft allerdings wäre der östliche Agrargigant mit seinen korrupten Strukturen selbst zu friedlichen Zeiten meilenweit entfernt. Doch davon ist momentan ohnehin keine Rede. Der Kandidatenstatus ist noch lang kein Eintrittsticket.
Die Staaten des Westbalkans können ein mehrstrophiges Klagelied darüber singen. Nordmazedonien ist seit 2005 Bewerberland. Es hat sogar seinen Namen geändert, um eine griechische Blockade zu durchbrechen. Doch die Beitrittsgespräche haben noch immer nicht begonnen. Albanien wartet seit 2014 darauf. Seither verhandelt Serbien über eine EU-Mitgliedschaft. Montenegro sitzt seit 2016 im Warteraum. So weit sind Bosnien und Herzegowina sowie der Kosovo noch nicht einmal. Sie haben noch gar keinen Kandidatenstatus. Frustration macht sich breit. Die Türkei, Russland und auch China sind längst in das Vakuum im Vorgarten der EU vorgestoßen.
Essenziell. Für Europa ist es geopolitisch essenziell, die Region an sich zu binden. Jede Erschütterung dort hat direkte Auswirkungen auf die EU. Österreich bekäme sie wie während der Jugoslawien-Kriege zuerst zu spüren. Die Bundesregierung handelt richtig, wenn sie sich gemeinsam mit Deutschland für die Integration der fünf Westbalkanstaaten einsetzt, die zusammen nur 15 Millionen Einwohner zählen.
Doch es ist plump und falsch, ein Junktim zwischen einem Kandidatenstatus für die Ukraine und einem Integrationsschub für den Westbalkan herzustellen, wie das der außenpolitisch dilettierende Bundeskanzler, Karl Nehammer, hinausposaunt hat. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Österreich sollte sich nicht als Blockierer, sondern als Förderer profilieren.
Außenminister Alexander Schallenberg und Europaministerin Karoline Edtstadler haben das im Gegensatz zu ihrem Parteiund Regierungschef erkannt. Beide warben zuletzt ebenfalls eifrig für den Westbalkan, gaben aber zu verstehen, dass sich Österreich gegen einen Kandidatenstatus für die Ukraine nicht querlegen werde, wenn die EU-Kommission zustimmt. Und sie legten Brüssel einen intelligenten Vorschlag vor, um den Integrationsprozess zu beschleunigen. Demnach sollen Beitrittsbewerber in einzelnen Bereichen schon vor dem Beitritt am Ratstisch in Brüssel sitzen können.
Schallenberg und Edtstadler schrieben es nicht ins Papier: Aber auf Basis dieser Zwischenschritte könnte ein Modell für Nachbarländer entstehen, deren Vollmitgliedschaft die Strukturen der EU überforderte. Das kann für die Ukraine gelten oder für die Türkei, die seit 1999 EU-Kandidat ist.
» Wien handelt richtig, wenn es in der EU für den Westbalkan kämpft. Doch Junktime sind nicht schlau. «