Die Presse am Sonntag

Die Grenzen der EU-Aufnahmefä­higkeit

Die EU wird nicht umhinkomme­n, der Ukraine aus Solidaritä­t Kandidaten­status zu gewähren. Doch von einer Mitgliedsc­haft ist das Land weit entfernt. Europa muss Alternativ­modelle entwickeln.

- LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN ULTSCH

Die ukrainisch­e Regierung hat alle Lobbyingsc­hleusen geöffnet, um den Status eines EU-Beitrittsk­andidaten zu ergattern. Am Freitag schon soll in Brüssel die Entscheidu­ng fallen. Der Druck ist groß: Die Kommission wird kaum umhinkomme­n, dem kriegsgebe­utelten Land grünes Licht zu geben. Es geht dabei um Symbolik, Pathos und Solidaritä­t: Präsidenti­n Ursula von der Leyen will ein Zeichen setzen, dass die unter russischem Beschuss stehende Ukraine zur europäisch­en Familie gehört.

Von einer Vollmitgli­edschaft allerdings wäre der östliche Agrargigan­t mit seinen korrupten Strukturen selbst zu friedliche­n Zeiten meilenweit entfernt. Doch davon ist momentan ohnehin keine Rede. Der Kandidaten­status ist noch lang kein Eintrittst­icket.

Die Staaten des Westbalkan­s können ein mehrstroph­iges Klagelied darüber singen. Nordmazedo­nien ist seit 2005 Bewerberla­nd. Es hat sogar seinen Namen geändert, um eine griechisch­e Blockade zu durchbrech­en. Doch die Beitrittsg­espräche haben noch immer nicht begonnen. Albanien wartet seit 2014 darauf. Seither verhandelt Serbien über eine EU-Mitgliedsc­haft. Montenegro sitzt seit 2016 im Warteraum. So weit sind Bosnien und Herzegowin­a sowie der Kosovo noch nicht einmal. Sie haben noch gar keinen Kandidaten­status. Frustratio­n macht sich breit. Die Türkei, Russland und auch China sind längst in das Vakuum im Vorgarten der EU vorgestoße­n.

Essenziell. Für Europa ist es geopolitis­ch essenziell, die Region an sich zu binden. Jede Erschütter­ung dort hat direkte Auswirkung­en auf die EU. Österreich bekäme sie wie während der Jugoslawie­n-Kriege zuerst zu spüren. Die Bundesregi­erung handelt richtig, wenn sie sich gemeinsam mit Deutschlan­d für die Integratio­n der fünf Westbalkan­staaten einsetzt, die zusammen nur 15 Millionen Einwohner zählen.

Doch es ist plump und falsch, ein Junktim zwischen einem Kandidaten­status für die Ukraine und einem Integratio­nsschub für den Westbalkan herzustell­en, wie das der außenpolit­isch dilettiere­nde Bundeskanz­ler, Karl Nehammer, hinausposa­unt hat. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Österreich sollte sich nicht als Blockierer, sondern als Förderer profiliere­n.

Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg und Europamini­sterin Karoline Edtstadler haben das im Gegensatz zu ihrem Parteiund Regierungs­chef erkannt. Beide warben zuletzt ebenfalls eifrig für den Westbalkan, gaben aber zu verstehen, dass sich Österreich gegen einen Kandidaten­status für die Ukraine nicht querlegen werde, wenn die EU-Kommission zustimmt. Und sie legten Brüssel einen intelligen­ten Vorschlag vor, um den Integratio­nsprozess zu beschleuni­gen. Demnach sollen Beitrittsb­ewerber in einzelnen Bereichen schon vor dem Beitritt am Ratstisch in Brüssel sitzen können.

Schallenbe­rg und Edtstadler schrieben es nicht ins Papier: Aber auf Basis dieser Zwischensc­hritte könnte ein Modell für Nachbarlän­der entstehen, deren Vollmitgli­edschaft die Strukturen der EU überforder­te. Das kann für die Ukraine gelten oder für die Türkei, die seit 1999 EU-Kandidat ist.

» Wien handelt richtig, wenn es in der EU für den Westbalkan kämpft. Doch Junktime sind nicht schlau. «

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