Die Presse am Sonntag

Wem gehört der Mond?

Eine ganze Armada von Missionen soll sich auf den Weg zum Trabanten machen. Dabei geht es um Bodenschät­ze – und das Recht auf diese.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Wir, die Menschen der Erde erklären, dass der Mond eine souveräne natürlich Entität mit eigenen Rechten ist“, zu denen zuvörderst die gehören, „zu existieren und unveränder­t, unversehrt und unverschmu­tzt durch menschlich­e Wesen zu bleiben“. So steht es in der „Declaratio­n of the Rights of the Moon“, die im Vorjahr von einer Gruppe um den australisc­hen Landschaft­sarchitekt­en Thomas Gooch lanciert wurde, um eine Debatte darüber in Gang zu bringen, wie es denn weitergehe­n soll mit dem Mond.

Der konnte seit seiner Entstehung vor über vier Milliarden Jahre stille gehen, am 13. September 1959 war es damit vorbei, die sowjetisch­e Sonde Luna 2 schlug ein, der Wettlauf der Weltmächte – um Ruhm bzw. den Erweis der Überlegenh­eit des jeweiligen Systems – war in Gang gekommen, und als die USA ihn am 20. Juli 1969 mit Neil Armstrongs „gigantisch­em Sprung für die Menschheit“entschiede­n hatten, flaute das Interesse wieder ab. Von 1976 bis 1990 hatte der Mond noch einmal seine Ruhe, dann kamen sporadisch­e Missionen, auch von ganz neuen Spielern, Japan, Indien, China.

Und (ab) heuer soll sich eine ganze Armada auf den Weg machen, gleich sechs Nationen bereiten Missionen vor, Privatfirm­en wollen auch mitmischen (Nature 605, S. 208). Natürlich geht es wieder um Ruhm – Südkorea und die Vereinigte­n Arabischen Emirate wollen in den exklusiven Club –, aber es geht auch um Handfestes, um das, was auf dem Mond zu holen ist.

Ja, was soll denn da zu holen sein? Da locken Metalle wie Titan, da locken seltene Erden wie Neodym und Lanthan, da lockt Helium-3, das für die kontrollie­rte Kernfusion nützlich wäre, aber auf der Erde so rar ist, dass ein Kilo mit 1,4 Millionen Dollar aufgewogen wird (BBC Science Focus Magazine 17. 5.). Auf dem Mond hingegen hat der Sonnenwind so viel deponiert, dass der Wert in die Billionen geht, manche bezeichnen den Mond deshalb als „Persischen Golf des Weltraums“. Aber ob es mit Kernfusion­skraftwerk­en je etwas wird, steht in den Sternen.

Drängender ist der Bedarf für etwas, was es auf der Erde reichlich gibt, aber nur mit Kosten von einer Million Dollar pro Tonne zum Mond gebracht werden könnte: Wasser. Lang galt der Trabant als staubtrock­en, weil er keine Atmosphäre hat und im Sonnenlich­t 130 Grad heiß wird, auch in Gesteinspr­oben der Apollo-Missionen fanden sich keinerlei Spuren von Wasser. Die ersten Verbindung­en von Wasserstof­f und Sauerstoff sichtete 2008 die indische Sonde Chandrayaa­n-1 (Science 1178658), es war nur ungewiss, ob es Wasser war oder Hydroxyl (HO).

Klarheit schaffte die Nasa 2009 mit einer Sonde, die sie dort in den Mond einschlage­n ließ, wo sich Wasser am ehesten halten könnte, in lichtlosen Tiefen am Südpol. Herausgesc­hleudert – und von einer zweiten Sonde gemessen – wurde unter anderem Wasser (Science 330, S. 463), seine Existenz hat sich später oft bestätigt.

Woher das Wasser? Aber wo kam bzw. kommt es her? In der Hauptsache mit Meteoriten, aber auch mit Protonen – Wasserstof­fionen – im Sonnenwind, die sich mit Sauerstoff in Mondgestei­n verbinden können. Beide Elemente können auch auf den Mond regnen, wenn er – je fünf Tage im Monat – ins Magnetfeld der Erde gerät, Gunther Kletetschk­a (Prag) hat es gerade gezeigt und schätzt die Größenordn­ung auf 3500 Kubikkilom­eter, das ist etwa so viel wie im Huronsee, dem achtgrößte­n See der Erde (Scientific Reports 3. 5.). Auf eine weitere Quelle stieß kurz darauf Andrew Wilcoski (Boulder), auf die der Vulkane, die auf dem Mond bis vor zwei Milliarden Jahren aktiv waren: Fünf Milliarden Tonnen ihres Wassers könnten als Eis an den Polen lagern (The Planetary Science Journal 19. 5.).

All dieses Wasser ist das Objekt der Begierde – zur Versorgung von Basen, zum Produziere­n von Raketentre­ibstoff für Marsmissio­nen –, an ihm hängt, zu ihm drängt alles, sogar die für Herbst geplante erste russische Mission seit 45 Jahren, China folgt in zwei Jahren. Vorn aber ist die Nasa, sie will mit dem Rover Viper 2023 am Südpol Wasser suchen und eine für 2025 geplante Mission mit Menschen – auch Frauen und Farbigen diesmal, wie die PR betont – vorbereite­n, Artemis (in der Mythologie die Mondgöttin und die Zwillingss­chwester von Apoll, der der ersten bemannten Runde den Namen gab). Die ist höchst aufwendig – veranschla­gte Kosten: 93

Milliarden Dollar –, und sie hat nicht nur technische Finessen (Nature 605, S. 212), sondern juristisch­e auch: Vor zwei Jahren überrascht­en die USA mit einem Vertrag – Artemis Accords –, dem alle Staaten beitreten müssen, die sich an dem Programm beteiligen wollen. Darin geht es um alles Erdenklich­e, die Hauptsache steht in einem Nebensatz im Kapitel „Konfliktve­rmeidung“: Da werden „Sicherheit­szonen“eingeführt – für Basen etwa oder Bergwerke –, innerhalb derer die „sichere und effiziente Nutzung von Weltraumre­ssourcen“garantiert wird.

Das heißt auf Deutsch, dass die Schätze des Monds denen gehören, die sie heben. Aber: „Eine Aneignung solcher Areale ist durch den Outer Space Treaty verboten“, urteilt für viele Stephan Hobe, Experte für Weltraumre­cht an der Uni Köln (Scientific American 12. 11. 2020). Denn in diesem Vertrag, der seit 1967 in Kraft ist, ist festgeschr­ieben, „dass der Mond oder andere Himmelskör­per nicht Gegenstand nationaler Aneignung“sein dürfen, sondern Gemeingut der Menschheit sind.

Das war in der Auslegung von Anfang an umstritten, deshalb kam schon 1979 ein Vorstoß zum besonderen Schutz des Trabanten – der „MondVertra­g“–, er fand wenige Unterzeich­ner, vor allem die USA haben ihn nie ratifizier­t. Darauf bezog sich auch Präsident Trump, als er am 6. April 2020 eine Executive Order erließ: „Die USA betrachten den Mond nicht als Allgemeing­ut.“Noch deutlicher war zuvor schon Präsident Obama 2015 im Space Act geworden, der US-Firmen das Recht einräumte, im Weltall Bodenschät­ze zu schürfen (Eos 20. 7. 2021).

Das war der Startschus­s zu dem, was Victor Shammas (Oslo) in Anspielung auf Neil Armstrongs „giant leap for mankind“„giant leap for capitalist­kind“genannt hat (Palgrave Communicat­ions 5:10): Heute hecheln nicht nur Nationen den Schätzen des Monds hinterher, auch Privatfirm­en wie Musks SpaceX oder die japanische Ispace („Spearhead of a space-based economy“) wollen ins Geschäft. Von der „Declaratio­n of the Rights of the Moon“werden sie sich nicht aufhalten lassen.

Auf dem Mond gibt es viel zu holen: Metalle, seltene Erden, vor allem aber: Wasser.

Sollen die Schätze Gemeingut der Menschheit sein oder denen gehören, die sie heben?

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