Wie man mit neuer Offensive alte Fußballwunden heilt
Analyse: Das 1:1 gegen Frankreich zeigt, dass Rangnicks Methodik richtig ist. Bleiben jetzt naive Fehler aus, ist noch mehr möglich.
Wien. Drei Spiele in der Nations League haben die Wahrnehmung des Nationalteams vollkommen auf den Kopf gestellt. 3:0 gegen Vizeweltmeister Kroatien, bitteres 1:2 gegen Dänemark und jetzt 1:1 gegen Weltmeister Frankreich – Österreichs Fußball wirkt wie verwandelt. Dass zwei Wochen unter Ralf Rangnick genügten, um so zu spielen. Es mutet fast zu gut an. Und, natürlich, die Frage drängt sich auf, in diesem Fall sogar nicht nur für Konjunktivliebhaber: Was wäre bloß passiert, hätte der ÖFB früher die Reißleine gezogen und sich von Franco Foda noch vor dem WM-Play-off getrennt?
Wie viel ein guter Trainer mit einer eingeschworenen Mannschaft bewirken kann, zeigt Rangnick gerade vor. Was ihm bei Manchester United ob zu vieler schwieriger Charaktere, anderer Interessen und zu großer Abwanderungsgelüste nicht gelang, scheint im Nationalteam mit einem Fingerschnippen gelungen: Pressing, Spielfreude, Offensive. Wer jetzt in den Rückspiegel blickt, tut gut daran, ein Taschentuch parat zu haben. Es wäre mehr möglich gewesen mit dieser Mannschaft.
„Schnauze voll!“Den viel zu späten Teamchefwechsel untermauern unerwartet klare Aussagen von David Alaba. Zur Erinnerung: Es gab in der Vergangenheit oft Gerüchte, manch Führungsspieler habe bei ÖFB-Präsident Leo Windtner vorgesprochen und sich über Fodas „Angsthasenfußball“beschwert. Jetzt rechnete Reals Abwehrchef und ÖFB-Kapitän nach dem 1:1 scharf ab: „Wir sind hungrig, ehrgeizig. Es zeigt einfach, dass wir die Schnauze voll haben von einer gewissen Art Fußball zu spielen, wie wir es immer wieder in den Jahren zuvor getan haben.“
Das Verpassen der großen Chance, bei einer WM mitzuspielen, womöglich in der Hochblüte der Karriere oder wie bei manch Mitspieler als letzte Gelegenheit (etwa Arnautovic´), überhaupt jemals so eine Fifa-Endrunde zu erreichen, hat tiefere Narben hinterlassen.
Tabelle: 1. Dänemark (6), 2. Österreich (4), 3. Kroatien (4), 4. Frankreich (2).
Montag
Dänemark – Österreich 20.45 Uhr, live ORF1.
Fadesse ist gestern gewesen, mitreißende Offensive ist die Gegenwart. Das ist die erste, wirklich zulässige Erkenntnis aus 270 Spielminuten unter Ralf Rangnick. Dass der Deutsche im RB-gebrandeten Mittelfeld vor allem auf Schlager und Laimer (sie spielten alle drei Partien durch) schwört, ist ob deren Spielkunst und Form verständlich. Stützen wie Arnautovic´ und Alaba sind gesetzt, sie geben dieser Mannschaft Halt. Interessant ist Weimanns Neuentdeckung, das Tor gegen Frankreich könnte ihm noch bessere Karten im Streben nach mehr Einsatzzeit beschert haben. Nein, muss es eigentlich.
Sogar Rangnicks Kritik gefällt. Mit Pentz ist ein Torhüter zur Stelle, der unbestritten bessere Paraden zeigt als Lindner, der großartige Reflexe hat und damit mehrfach, egal, ob gegen Benzema oder Mbappe´, das letzten Endes eigentlich auch sehr glückliche Remis – dank des Mitwirkens der Querlatte – rettete.
Die zweite, ebenso erfrischende Erkenntnis des neuen ÖFB-Stils ist die Art und Weise, wie Rangnick Spiele – auch gegenüber ORF-Moderator Rainer Pariasek – analysiert, Fehler ungeschönt aufzeigt und sich nicht wie sein Vorgänger mit Minimalismus zufriedengibt. Jeder Österreicher würde das 1:1 gegen einen amtierenden Weltmeister kilometerweit über den Klee loben. Der Legende nach sei der letzte Sieg dieser Größenordnung ja zuletzt bei der WM 1978 in einem argentinischen Ort gegen den Nachbarn gelungen. Rangnick hält nichts von Schönfärberei und Verklärung. Ein Ballverlust nach eigenem Freistoß ärgerte ihn maßlos, er bezeichnete es als „einfach naiv“. Und bitter – weil dieser Fehler den Gegentreffer eingeleitet hat. Aber, auch daran werde man arbeiten.
Am Montag wartet die Fortsetzung in Kopenhagen. In welcher Form und Aufstellung bleibt geheim. Auch ist unklar, wer aller noch fit genug ist nach dieser gemeisterten Mini-EM.