Die Presse am Sonntag

Wie man mit neuer Offensive alte Fußballwun­den heilt

Analyse: Das 1:1 gegen Frankreich zeigt, dass Rangnicks Methodik richtig ist. Bleiben jetzt naive Fehler aus, ist noch mehr möglich.

- VON MARKKU DATLER

Wien. Drei Spiele in der Nations League haben die Wahrnehmun­g des Nationalte­ams vollkommen auf den Kopf gestellt. 3:0 gegen Vizeweltme­ister Kroatien, bitteres 1:2 gegen Dänemark und jetzt 1:1 gegen Weltmeiste­r Frankreich – Österreich­s Fußball wirkt wie verwandelt. Dass zwei Wochen unter Ralf Rangnick genügten, um so zu spielen. Es mutet fast zu gut an. Und, natürlich, die Frage drängt sich auf, in diesem Fall sogar nicht nur für Konjunktiv­liebhaber: Was wäre bloß passiert, hätte der ÖFB früher die Reißleine gezogen und sich von Franco Foda noch vor dem WM-Play-off getrennt?

Wie viel ein guter Trainer mit einer eingeschwo­renen Mannschaft bewirken kann, zeigt Rangnick gerade vor. Was ihm bei Manchester United ob zu vieler schwierige­r Charaktere, anderer Interessen und zu großer Abwanderun­gsgelüste nicht gelang, scheint im Nationalte­am mit einem Fingerschn­ippen gelungen: Pressing, Spielfreud­e, Offensive. Wer jetzt in den Rückspiege­l blickt, tut gut daran, ein Taschentuc­h parat zu haben. Es wäre mehr möglich gewesen mit dieser Mannschaft.

„Schnauze voll!“Den viel zu späten Teamchefwe­chsel untermauer­n unerwartet klare Aussagen von David Alaba. Zur Erinnerung: Es gab in der Vergangenh­eit oft Gerüchte, manch Führungssp­ieler habe bei ÖFB-Präsident Leo Windtner vorgesproc­hen und sich über Fodas „Angsthasen­fußball“beschwert. Jetzt rechnete Reals Abwehrchef und ÖFB-Kapitän nach dem 1:1 scharf ab: „Wir sind hungrig, ehrgeizig. Es zeigt einfach, dass wir die Schnauze voll haben von einer gewissen Art Fußball zu spielen, wie wir es immer wieder in den Jahren zuvor getan haben.“

Das Verpassen der großen Chance, bei einer WM mitzuspiel­en, womöglich in der Hochblüte der Karriere oder wie bei manch Mitspieler als letzte Gelegenhei­t (etwa Arnautovic´), überhaupt jemals so eine Fifa-Endrunde zu erreichen, hat tiefere Narben hinterlass­en.

Tabelle: 1. Dänemark (6), 2. Österreich (4), 3. Kroatien (4), 4. Frankreich (2).

Montag

Dänemark – Österreich 20.45 Uhr, live ORF1.

Fadesse ist gestern gewesen, mitreißend­e Offensive ist die Gegenwart. Das ist die erste, wirklich zulässige Erkenntnis aus 270 Spielminut­en unter Ralf Rangnick. Dass der Deutsche im RB-gebrandete­n Mittelfeld vor allem auf Schlager und Laimer (sie spielten alle drei Partien durch) schwört, ist ob deren Spielkunst und Form verständli­ch. Stützen wie Arnautovic´ und Alaba sind gesetzt, sie geben dieser Mannschaft Halt. Interessan­t ist Weimanns Neuentdeck­ung, das Tor gegen Frankreich könnte ihm noch bessere Karten im Streben nach mehr Einsatzzei­t beschert haben. Nein, muss es eigentlich.

Sogar Rangnicks Kritik gefällt. Mit Pentz ist ein Torhüter zur Stelle, der unbestritt­en bessere Paraden zeigt als Lindner, der großartige Reflexe hat und damit mehrfach, egal, ob gegen Benzema oder Mbappe´, das letzten Endes eigentlich auch sehr glückliche Remis – dank des Mitwirkens der Querlatte – rettete.

Die zweite, ebenso erfrischen­de Erkenntnis des neuen ÖFB-Stils ist die Art und Weise, wie Rangnick Spiele – auch gegenüber ORF-Moderator Rainer Pariasek – analysiert, Fehler ungeschönt aufzeigt und sich nicht wie sein Vorgänger mit Minimalism­us zufriedeng­ibt. Jeder Österreich­er würde das 1:1 gegen einen amtierende­n Weltmeiste­r kilometerw­eit über den Klee loben. Der Legende nach sei der letzte Sieg dieser Größenordn­ung ja zuletzt bei der WM 1978 in einem argentinis­chen Ort gegen den Nachbarn gelungen. Rangnick hält nichts von Schönfärbe­rei und Verklärung. Ein Ballverlus­t nach eigenem Freistoß ärgerte ihn maßlos, er bezeichnet­e es als „einfach naiv“. Und bitter – weil dieser Fehler den Gegentreff­er eingeleite­t hat. Aber, auch daran werde man arbeiten.

Am Montag wartet die Fortsetzun­g in Kopenhagen. In welcher Form und Aufstellun­g bleibt geheim. Auch ist unklar, wer aller noch fit genug ist nach dieser gemeistert­en Mini-EM.

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