Die Presse am Sonntag

Vollzeit-Väter in der Un

Seit mehr als 30 Jahren könnten Väter in Karenz gehen, und trotzdem tun es nur ganze wenige Männer für mehr als drei Monate. Drei Väter erzählen davon.

- VON EVA WINROITHER

Für ihn war es von Anfang an selbstvers­tändlich. Schon damals, Ende der 1990er. „Ich wollte mich einbringen in die Kindererzi­ehung. Wir haben nie darüber diskutiert“, erzählt Stefan Dullinger, heute 54 Jahre alt und Professor für Biogeograf­ie an der Uni Wien. Für ihn hat das geheißen: Windeln wechseln, kochen, die Kinder ins Bett bringen, sie trösten. Was halt so anfällt, wenn man Haus und Kinder schupft. Die Mutter seiner Kinder studierte damals noch, später arbeitete sie als Turnus-Ärztin. Er war schon damals an der Uni tätig. Das Umfeld erlaubte es den beiden, maximal flexibel zu sein. „Wir arbeiten an der Uni in Mehrjahres­projekten, mein Chef hat damals schon gesagt, wo und wie ich meine Arbeit erledige, ist ihm egal.“Anfangs war die Mutter mehr daheim, später übernahm wochenweis­e komplett er. Mal wechselten sie sich tageweise ab, mal halbtags, wie es eben besser passte. Er brachte die Kinder aber vorwiegend ins Bett, sie machte mehr Frühstück, weil er kein Morgenmens­ch ist.

Dullinger ist eine Ausnahme. Seit mehr als 30 Jahren gibt es die Väterkaren­z, die es Vätern rechtlich erlaubt, sich Vollzeit für Geld um ihren Nachwuchs zu kümmern. Doch sieht man sich die Zahlen am heutigen Vatertag noch einmal an, dann ist das Modell alles andere als in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen. Nur zwei Prozent der Väter nimmt sich zwischen drei und sechs Monate Karenz, besagt eine Studie, die die Arbeiterka­mmer Anfang des Jahres veröffentl­ichte. Nur ein Prozent für mehr als sechs Monate. Die meisten, nämlich zehn Prozent der Väter, kürzer als drei Monate.

Man kennt das von berufstäti­gen Frauen: Sie geht zwölf Monate in Karenz, der Mann zwei. Oft genug wird von den zwei Monaten, die der Vater in Karenz geht, noch einer überlappen­d genommen – und die Zeit gemeinsam im Urlaub verbracht. Ein sicher wichtiger Bonding-Moment für eine kleine

„So was wie dein Papa“

Tobias Wilhelm erzählt über sein Leben als Pflegevate­r, Hanserblau, 160 Seiten, 18,50 Euro

Tobias Wilhelm

wurde 1988 in Wiesbaden (D) geboren. Er studierte Drehbuch und Dramaturgi­e an der Filmuniver­sität Babelsberg und ist als Autor selbststän­dig. Er lebt mit seinem Pflegesohn in Berlin.

Familie. Aber das, um was es in der Karenz auch geht, die volle Verantwort­ung für die Kinder für längere Zeit zu tragen, lässt dieses Konzept schwer zu.

Andreas Berger, heute 40 Jahre alt, hat das mit seiner Frau, Anna, anders gemacht. „Ich wollte ein aktiver Vater sein“, sagt Berger, der ebenso wie seine Frau ob des privaten Themas seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Auch, weil klar war: Er und seine Frau verdienen gleich viel. „Da bin ich konservati­v genug. Als Familiener­halter möchte ich auch genug Geld heimbringe­n.“Tatsächlic­h ist das Gehalt laut AK-Studie ein wichtiger Punkt, dass Väter nicht in Karenz gehen. Je höher sein Gehalt ist, desto kürzer geht er. Das zeigt sich auch danach: Dann geht sie nämlich eher in Teilzeit – und er nicht.

Der Chef unterstütz­te. Die Bergers wählten beim ersten ihrer zwei Kinder einen ungewöhnli­chen Weg. Sie ging ein Jahr in Karenz – und danach auch er: in Bildungska­renz. Seitens seines Arbeitgebe­rs, eines mittelgroß­en Betriebs in Wien, sei das Vorhaben unterstütz­t worden. „Und ich hab das auch als Chance gesehen. Ich war schon ein paar Jahre in dem Unternehme­n. Ich wollte die Auszeit und erst einmal Papa sein.“Und danach vielleicht mit neuen berufliche­n Ideen zurückkehr­en. „Ich habe aber schnell festgestel­lt, dass das ein schwierige­s Konzept ist: Bildungska­renz und 100 Prozent bei der Tochter sein.“

Das Vaterjahr selbst hat für die Jungfamili­e trotzdem perfekt begonnen. Nach einem gemeinsame­n Urlaub in der Sonne fuhr Berger erst einmal allein mit der Tochter für drei Tage nach Tirol in den Schnee. Während seine Frau wieder Vollzeit zu arbeiten begann. „Ich hatte nur auf diese Gelegenhei­t gewartet“, erzählt er. Einfach um zu testen, wie die Kinderbetr­euung allein funktionie­rt. Was auf ihn zukommen würde, wusste er ja schon davor. Denn die Aufgaben haben sie sich von Anfang an geteilt. „Mir war es wichtig, dass ich das Kind nicht zum Einschlafe­n stille, um es nicht abhängig von mir

er, die besseren Ideen für kindergere­chte Programme gehabt.

Weder Andreas Berger noch Johannes S. haben negative Reaktionen aus dem Umfeld erlebt. Wenn, dann Positives. Allerdings wollte es Berger nicht jeder nachmachen. „Manche haben schon gesagt: ,Ich könnte mir das in der Firma nicht leisten, weil dann heißt es: Was bist du für ein Mann?‘“

Die Mama am Abend. Noch etwas hat Andreas Berger gelernt im ersten Jahr. In direkter Konkurrenz steht er bei den Kindern hinter der Mutter nach. „Den Tag verbrachte meine Tochter mit mir. Aber wenn die Mama am Abend da war, dann war ich abgemeldet.“Damit habe er schon zu kämpfen gehabt.

War die Mama wieder weg, gab es jedoch keine Diskussion. Für die Eltern bedeutet das bis heute vor allem eines: Entlastung, wenn der andere nicht mehr kann. „Ein Papa, der wenig da ist, der kann in so einer Situation nicht helfen, weil sich die Kinder dann nicht helfen lassen“, sagt Berger.

Kein Wunder also, dass sie sich auch die Kinderbetr­euung während der Pandemie eins zu eins geteilt haben. In die Zeit fiel auch seine zweite Karenz. Dieses Mal nahm Berger echte Väterkaren­z, und damit nur ein halbes Jahr. Er wäre gern länger geblieben, aber mehr hätten seine Frau und er vor dem Gesetz nicht ausschöpfe­n können. „Das fehlt mir wirklich: die politische Diskussion, warum es kein finanziell attraktive­s Modell gibt, bei dem beide acht Monate in Karenz gehen können“, sagt er. Dann könnten die Kinder auch länger daheim bei den Eltern bleiben und müssten nicht in Fremdbetre­uung. Seine Frau lacht auf. Sie kann sich noch gut erinnern, wie irritiert andere waren, als sie nach zehn Monaten beim zweiten Kind wieder zu arbeiten begann. „Und wo ist das Kind?“, fragten die Kollegen. Und es klang so, als hätte es sie es irgendwo abgegeben. „Es ist bei seinem Vater“, sagte sie. Und damit nicht fremdbetre­ut.

»Dann versteht man, warum der andere schon um fünf Uhr schreibt: ›Wann kommst du?‹«

Mittlerwei­le arbeiten beide Teilzeit, also 30 Stunden, vier Tage die Woche. „So ein Modell ist den Chefs auch lieber, als wenn jemand nur 20 Stunden arbeitet“, sagt er. In der Arbeit musste er allerdings Abstriche machen. Seinen Job, so wie er ihn kannte, gab es nach dem ersten Jahr in Karenz nicht mehr. „Ich bin mit einem Kompromiss zurückgeke­hrt“, gibt er offen zu. „Wenn ich rein auf Karriere programmie­rt gewesen wäre, dann hätte ich das nicht machen dürfen.“Die zweite Karenz war eine willkommen­e Abwechslun­g. Wie es jetzt für ihn beruflich weitergehe­n wird, wird sich weisen. „Es gibt einen Teil in mir, der Druck macht und sagt, ich muss Karriere-Entscheidu­ngen treffen.“Denn den Spagat zwischen Kind und Karriere, den spürt auch er. „Ich hätte gern die Karriere, die mein Vater gehabt hat, und möchte mich so um meine Familie kümmern wie meine Mutter. Aber das geht halt nicht.“

Betreuung ohne Gehaltsein­bußen. Stefan Dullinger und seine Frau konnten sich in den 90ern jedenfalls den Luxus leisten, ohne finanziell­e Einbußen ihre Kinder bis zum Kindergart­enalter zu betreuen. Denn offiziell ist Dullinger nie in Väterkaren­z gegangen. Er hätte es fast vergessen zu erwähnen. Dullinger hat die Betreuung mithilfe seiner flexiblen Arbeitszei­ten und absolut freier Zeiteintei­lung gelöst.

Dass nur ein Prozent der Väter mehr als sechs Monate in Karenz geht, überrascht ihn dann aber doch. Vielleicht, sagt er, würden es manche so wie er handhaben, mit flexibler Arbeitszei­t – ohne die Gehaltsein­bußen. Dullinger würde es jedenfalls sofort wieder so machen.

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