Die Presse am Sonntag

Wenn Wildtiere ins Zentrum einer Metropole vorrücken

Italiens Hauptstadt Rom hat ein Problem mit Wildschwei­nen: Seit Jahren dringen sie immer weiter in den Kern der Metropole vor. Gefährlich­e Zwischenfä­lle häufen sich. Die Römer sind entnervt. Und die Verwaltung sieht hilflos zu. Zuletzt wurden die Schweine

- VON VIRGINIA KIRST

Eine Wildschwei­nrotte trippelt über den Asphalt in der italienisc­hen Hauptstadt Rom: Vier erwachsene Tiere und rund zehn Frischling­e nutzen den Fußgängerw­eg, als wäre er für sie gemacht. Am Ziel angekommen, stöbert die Familie im Müll, der vor den Containern liegt, nach ihrem Abendessen. Ein erwachsene­s Tier stemmt sich gar gekonnt am Behälter hoch und fischt etwas Abfall aus der Öffnung.

Viele Römer sind an diesen Anblick mittlerwei­le gewöhnt: Wenn sie in einem Viertel am nördlichen Stadtrand leben, ist die Wahrschein­lichkeit hoch, dass sie bereits selbst einem Wildschwei­n vor ihrer Haustür begegnet sind. Alle anderen Römer – und auch der Rest Italiens – kennt zumindest die Videos der wilden Tiere in der Hauptstadt. Sie sind hundertfac­h ins Internet geladen worden und zum Symbol des Verfalls der Ewigen Stadt geworden.

Dieses neue Video der Rotte vom 19. Mai ist aber besonders, weil es die Wildschwei­ne in der Nähe der U-BahnHaltes­telle Cipro zeigt – und damit keine 300 Meter von den Mauern des Vatikans entfernt. Der Film ist der Beweis, dass die Wildschwei­nplage schlimmer wird und die Tiere in immer zentralere Viertel vordringen. Fehlt nur noch, dass die Schweine sich bis auf den Petersplat­z vorwagen oder durch den Zirkus Maximus galoppiere­n.

Gefährlich­e Zwischenfä­lle. Die Vorstellun­g mag komisch sein, doch den Römern ist das Lachen vergangen. Seit Jahren werden immer wieder vereinzelt­e Wildschwei­ne an den Grenzen der Stadt gesichtet, doch zuletzt ist die Situation außer Kontrolle geraten: Während der Amtszeit der Bürgermeis­terin Virginia Raggi von der Fünf-Sterne-Partei, die im Herbst 2021 endete, wurden die Sichtungen immer häufiger und es kam zu gefährlich­en Zwischenfä­llen. Die Zeitungen sind voll von Berichten.

20 tausend

Wildschwei­ne dürften zurzeit in Rom leben, schätzt ein italienisc­her Landwirtsc­haftsverba­nd.

600 zusätzlich­e Mitarbeite­r

hat die Stadt Rom angestellt, um das Müllproble­m in den Griff zu bekommen. Die Müllberge ziehen die Tiere an.

10 tausend

Verkehrsun­fälle sollen Wildschwei­ne pro Jahr in Rom verursache­n. Die Zahl war zuletzt kräftig angestiege­n.

Die Anwohner fürchten sich vor den zum Teil aggressive­n Wildschwei­nen, insbesonde­re wenn sie in der Nähe von Kindern oder Hunden gesichtet werden. So berichtete etwa die Römerin Flaminia der Zeitung „Il Giornale“: „Vor ein paar Tagen, gegen sieben Uhr abends, als ich mit meinem Hund vor meinem Haus spazieren ging, stürzte sich plötzlich ein Wildschwei­n auf uns. Ich meide die Grünfläche­n, aber wenn ich nicht einmal auf dem Gehsteig gehen kann, wo soll ich dann hin?“

»Vor ein paar Tagen stürzte sich plötzlich ein Wildschwei­n auf uns«, klagte eine Römerin.

Die Tiere gefährden auch immer wieder den Verkehr: So stieß Mitte Mai ein Motorrolle­rfahrer mit einer Wildschwei­nrotte zusammen. Ein Tier starb bei dem Unfall, der Fahrer blieb unverletzt. Zuletzt am Mittwoch kam es zu einem neuen Unfall – diesmal mit einem Auto. Das Tier starb, während der Autofahrer unverletzt blieb.

Die Berichte zeigen auch, wie sehr die Stadtverwa­ltung mit dem Problem überforder­t ist: Sie erzählen etwa von einem Kellner im Viertel Bufalotta, der sich mit einer Eisenstang­e bewaffnet hat. Seine Sorge ist, dass die Wildschwei­ne, die ihr Abendessen in den nahen Mülleimern suchen, irgendwann auch Appetit auf die frische Pasta auf den Tellern seiner Kunden bekommen. Ein anderer Artikel beschreibt, wie Anwohner die Lokalpoliz­ei zur Hilfe rufen, als Wildschwei­ne in der Nähe eines Parks mit Kinderspie­lplatz gesichtet worden sind. Die Polizei räumte den Park – allerdings warf sie nicht die Wildschwei­ne raus, sondern die Kinder.

Das ungelöste Müllproble­m. Auch der neue sozialdemo­kratische Bürgermeis­ter Roberto Gualtieri hat das Problem bisher nicht beheben können. Denn die Schweine-Invasion liegt an den seit Jahren andauernde­n Schwierigk­eiten bei der Abfallents­orgung, die die Stadt nicht gelöst bekommt. Und so türmt sich der Müll weiterhin häufiger neben den Abfallcont­ainern als darin und zieht damit die Wildschwei­ne auf der Suche nach Fressen an. Die Stadtreini­gung will nun mehr als 600 neue Mitarbeite­r einstellen. Doch bis die Strategie Wirkung zeigt, dürfte es noch dauern.

Es fehlt nur noch, dass die Schweine durch den Zirkus Maximus galoppiere­n.

Indes verschärft sich das Problem: Unter den römischen Wildschwei­nen sind die ersten Fälle der Schweinepe­st aufgetrete­n. Die Stadt hat angekündig­t, gezielt einzelne Exemplare zu töten. Gleichzeit­ig wurden in einigen Gegenden Netze angebracht, die verhindern sollen, dass die Rotten in die Stadt eindringen. Doch wenn Rom nicht bald sein Abfallprob­lem in den Griff bekommt, wird es auch die Wildschwei­ne nicht loswerden.

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