Die Angst der ORFler vor der Übersiedlung
400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der TV-, Radio- und Online-Information übersiedeln in den multimedialen ORF-Newsroom. Es gibt Murren und Sorgen, Kritik an der »katastrophalen« Kommunikation – und erste Verteilungskämpfe.
Kommende Woche ist es so weit: Von 16. bis 20. Juni wird der neue ORF-Newsroom besiedelt. Er ist das Herzstück des Um- und Neubaus auf dem Küniglberg, der unter dem Strich mehr als 300 Millionen Euro kosten wird. Auch Ö3 und Ö1 werden hier ihr neues Zuhause finden. Zunächst aber ziehen an die 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ORF-Information – TV, Radio, Online – im Newsroom zusammen, um multimedial zu arbeiten. „Die Kolleginnen und Kollegen packen gerade ihre Sachen“, erzählt ein ORFler. „Normalerweise freut man sich auf ein neues Zuhause – aber hier ist nicht genug Platz.“Auf zehn Personen kommen im Newsroom sechs Arbeitsplätze. Man wird sich jeden Morgen einen Schreibtisch suchen müssen. Eine „Verdichtung“, die auch andere Bereiche treffen wird. Das Argument, dass aufgrund von Home-Office, Urlauben und Krankenständen nie alle gleichzeitig da sind, greift zu kurz. „Der Schreibtisch ist ein Stück Heimat, da stellt man den Kaktus und die Familienfotos hin.“
Ängste schürt die Übersiedlung vor allem in der Argentinierstraße. Es gebe eine „hohe Emotionalisierung“, erzählt eine Ö1-Mitarbeiterin. Das Funkhaus steht symbolhaft für das ORF-Radio. Und es erleichterte mit seiner zentralen Lage den Kontakt zu Kultur, Wissenschaft, Universitäten. Da konnte man schnell auf ein Interview vorbeikommen. Manche fühlten sich jetzt, als müssten sie „zum Nordpol“ziehen. Das hat nicht nur mit der Lage des ORFZentrums zu tun. Das Klima zwischen Radio- und TV-Belegschaft ist unterkühlt. Die Neuankömmlinge fürchten, vom Schwergewicht Fernsehen überrollt zu werden. Dort wiederum murrt man, die von Ö1 hielten sich wohl für eine Elite. Einig ist man sich in der Kritik, dass der Veränderungsprozess „katastrophal schlecht“kommuniziert wurde.
Wer hat jetzt das Sagen? Schwierig ist auch der organisatorische Umbau. „Es gibt kein Beispiel, dass drei Personen nebeneinander eine Abteilung führen“, sagt ein Betroffener. Im multimedialen Newsroom werden aber die drei Chefredakteure
von Radio, TV und Online gemeinsam das Sagen haben: Hannes Aigelsreiter, Matthias Schrom und Christian Staudinger. Bei einer Klausur am Traunsee haben sie unlängst Pläne gemacht, wie man zusammenwachsen kann. Mit einer täglichen multimedialen Sitzung zum Beispiel, „die rotierend von TV-, Radio- und Online-CR geleitet wird“, wie es in einem E-Mail heißt. Und wer entscheidet, wenn die drei sich in wichtigen Fragen nicht einigen? Letzte Instanz ist ORF-Generaldirektor Roland Weißmann, der die Information wie schon sein Vorgänger zur Chefsache erklärt hat. In strategischen Fragen kann er ein Board einberufen: Darin sitzen neben den Chefredakteuren ORF-2-Manager Alexander Hofer, Radiodirektorin Ingrid Thurnher und Online-Chef Stefan Pollach. Nur: Eine Weisung könnte auch dieses der Redaktion nicht geben.
Wer wird Ressortleiter? Auch hier verlaufen Gräben zwischen TV und Radio.
Die ist darauf bedacht, in der neuen Struktur nicht an Unabhängigkeit zu verlieren. Vorsorglich wurde ein neues Redaktionsstatut ausgearbeitet, das der Stiftungsrat noch absegnen muss, was aber wohl reine Formsache ist. Künftig wird die Redaktion nicht nur bei der Bestellung von Führungskräften Vorschläge machen, sondern diesen auch das Misstrauen aussprechen können. Über Verbleib oder Ablöse entscheidet dann der Ethikrat.
Am Traunsee wurde auch beschlossen, die multimedialen Ressortleiter erst im Herbst auszuschreiben. Der Verteilungskampf ist freilich längst entbrannt. Auch hier verlaufen Gräben zwischen Fernsehen und Radio: Es sei „undenkbar“, dass jemand Innenpolitik-Chef wird, der noch nie Fernsehen gemacht hat, hört man etwa. Gestritten wurde auch über die Frage, zu welchem Ressort die EU-Agenden gehören. Zur Außenpolitik wie beim Radio? Zur Innenpolitik wie beim Fernsehen? Dem Vernehmen nach hat dieses Kräftemessen das Radio gewonnen.