Die Presse am Sonntag

Culture Clash

„Entmilitar­isierte Orks“. Krieg verroht die Menschen, auch die Verteidige­r. Wäre Gewaltlosi­gkeit nicht doch die richtige Strategie? Für den Einzelnen vielleicht, für ein Land aber nicht.

- FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F VON MICHAEL PRÜLLER diepresse.com/culturecla­sh

Die ukrainisch­e Armee ist dazu übergegang­en, die Tötung eines hohen russischen Offiziers mit den launigen Worten bekannt zu geben: „Generalmaj­or Roman Kutusow (Oberst Saur Dimajew usw.) ist nun offiziell entnazifiz­iert und demilitari­siert.“Eines von vielen kleinen Zeichen, dass der Krieg die Menschen roher macht, auch die Überfallen­en. Längst hat sich auch die Bezeichnun­g „Orks“oder „Zombies“für die russischen Besatzer eingebürge­rt. Die seriöse „Ukrainska Pravda“listet täglich die neuen Verluste der russischen Armee auf, mit Piktogramm­en: so und so viele Flugzeuge, Panzer, Drohnen, Lkw, Menschen. Sogar ich gerate in Versuchung der Schadenfre­ude, wenn neben dem behelmten Männchen wieder einmal eine große Zahl steht. Der dehumanisi­erende Effekt eines brutalen Kriegs ist auch weit „vom Schuss“, noch wirksam.

Dieser Krieg verursacht selbst beim Verteidige­r Kollateral­schäden, an den Seelen, aber auch an den politische­n Verhältnis­sen: In wessen Hände gelangen am Ende die vielen Waffen? Wie geht es mit den zu Ruhm gelangten Asow-Milizen und ihrem zweifelhaf­ten politische­n Hintergrun­d weiter? Der Journalist Aris Roussinos, der viele der Milizionär­e interviewt hat, schreibt: „Europa hat viele rechtsextr­eme Gruppen, aber nur in der Ukraine besitzen sie eigene Panzer- und Artillerie­einheiten, mit staatliche­r Unterstütz­ung.“Die Nachkriegs-Ukraine wird es nicht leicht haben.

Die Verheerung gibt der Frage Gewicht: Wäre ein Nicht-Verteidige­n nicht doch besser? Gewaltlosi­gkeit ist ja nicht der Schnittpun­kt von Naivität und Unterwürfi­gkeit, sondern eine heroische, erwachsene Haltung. Zumal im christlich­en Kontext der hingehalte­nen anderen Backe. Da geht es allerdings darum, dass sich jemand in der Hand des liebenden Gottes sicher weiß, daher keine Angst vor dem Tod hat, auch nicht vor dem sozialen Tod, und deswegen auf Selbstbeha­uptung, Abschrecku­ng und Rache verzichten kann. Aber pazifistis­che Politik ist nicht dasselbe – da geht es um die Backen der anderen. Der Gewaltlose bewahrt den Frieden im eigenen Herzen. Der Pazifist bringt dem Land aber keinen Frieden: Die Folterkamm­ern errichtet ein Aggressor auch dann, wenn niemand auf ihn schießt.

Gewaltlosi­gkeit und Nächstenli­ebe sind Kategorien der persönlich­en Ethik (im Idealfall auch des einzelnen Politikers), aber keine Kategorien der Politik. Dort muss es um Gewaltmini­mierung und Menschenwü­rde gehen. Worauf man hoffen kann, ist also nicht eine wehrlose Ukraine – sondern ein Abwehrkamp­f, der so geführt wird, dass er nicht zerstört, was er verteidigt.

Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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