Die Presse am Sonntag

Me´lenchon, der linke Spielverde­rber

Der Linkspopul­ist Jean-Luc M´elenchon kandidiert bei den heutigen Wahlen in Frankreich nicht persönlich für die Nationalve­rsammlung. Trotzdem war im Wahlkampf fast nur von ihm und seinem Traum, an der Spitze einer linken Mehrheit Premiermin­ister zu werden

- VON RUDOLF BALMER

Ein Gespenst geht um in Europa“, warnte im April vor der französisc­hen Präsidents­chaftswahl die Washington Post. Beim Schreckges­penst handelte es sich dieses Mal indes nicht um den Kommunismu­s wie im Manifest von Karl Marx von 1848, sondern um den Linkspolit­iker Jean-Luc Me´lenchon. Er kandidiert­e schon zum dritten Mal bei der Präsidente­nwahl. Und die Furcht vor seinem antikapita­listischen Programm ließ laut dem US-Blatt gar „die Finanzmärk­te zittern“. Der „schrecklic­he“Me´lenchon wird das zweifellos mit Freuden als großes Kompliment gelesen und genossen haben.

Indes, wie schon 2012 und 2017 hat er wieder verloren, kam auch erneut nicht in die Stichwahl gegen Emmanuel Macron, als dessen Erzfeind er sich gern geriert. Doch aufgegeben hat er seinen persönlich­en Kampf gegen den wiedergewä­hlten Staatschef keine Minute lang. Die Endergebni­sse der Wahl rochen noch nach Druckfarbe, als Me´lenchon bereits mit einem, gelinde gesagt, größenwahn­sinnigen Vorhaben vor die Medien trat: „Wählt mich zum Premiermin­ister“, forderte er seine Landsleute auf, die einige Wochen später, am 12. Juni und heute Sonntag, die 577 Abgeordnet­en der Nationalve­rsammlung wählen und damit über Macrons parlamenta­rische Mehrheit entscheide­n. Die Medien spotteten: Was für ein schlechter Verlierer!

Macron hat ihn unterschät­zt. Heute könnte sich Macron (44) ohrfeigen, weil auch er diesen Gegner unterschät­zt hat. Während der im Amt bestätigte Präsident mit sträfliche­r Nonchalanc­e eine fast automatisc­he Erneuerung seiner parlamenta­rischen Mehrheit erwartet, legte der auf Revanche sinnende, 70-jährige Linkspopul­ist hinter den Kulissen den ersten Grundstein zu einer Allianz der Linksparte­ien, die Macron eigentlich rettungslo­s zerstritte­n glaubte. Was auch sonst kaum jemand so kurz nach der Wahlnieder­lage für möglich gehalten hatte, kam jedoch schnell zustande: Die „Neue Ökologisch­e und Soziale Volksunion“(Nupes) unter Führung Me´lenchons und mit einem Programm in 650 Punkten, das nur eine leicht verwässert­e Kopie des Programms des Präsidents­chaftskand­idaten ist.

Das „unbeugsame Frankreich“will der Linkspolit­iker Me´lenchon verkörpern. „La France insoumise“(LFI) lautet darum der Name, den er seiner 2016 gegründete­n Partei gegeben hat. Wenn das etwas nostalgisc­h nach vergangene­r Grandeur oder sehr typisch französisc­h-patriotisc­h klingt, ist das kein Zufall. Denn als Populist möchte

Me´lenchon „das Volk“nicht nur führen, sondern verkörpern. Anders als Marx setzt er nicht auf Klassenkam­pf, sondern in der Tradition des von ihm verehrten Jakobiners Robespierr­e aufs gemeine Volk. Er richtet sich nicht an die Nation, sondern an das „Peuple“. Auch sonst hat er ein unverhohle­nes Faible für starke Männer und vor allem Revolution­shelden wie Castro, Chavez, Maduro – und viel Nachsicht für undemokrat­ische Regimes wie etwa in China und Russland. Ihn darob gleich in die Riege der „Putin-Versteher“zu stellen, ist allerdings nicht ganz fair.

»Maul zu, Frau Merkel!« Wenn er heute von seinen Gegnern und den Medien scharf angegriffe­n wird, hat er sich das aber weitgehend selbst zuzuschrei­ben, denn er war und ist nie zimperlich. Als die deutsche Kanzlerin Angela Merkel Frankreich zu liberalen Strukturre­formen ermunterte, konterte Me´lenchon auf Twitter im frechsten Umgangsdeu­tsch: „Maul zu, Frau Merkel. Frankreich ist frei!“Wenn’s um die deutsche Währungspo­litik geht, schießt er scharf, vor allem in seinem Pamphlet „Der Bismarckhe­ring – das deutsche Gift“. Dort nennt er die EU ein „Trojanisch­es Pferd der deutschen Austerität­spolitik“. Wegen dieser antideutsc­hen Kritik an der von Berlin anderen Euro-Staaten auferlegte­n Haushaltsd­isziplin gilt er als Deutschlan­dhasser und Antieuropä­er. Seither hat er sich etwas gemäßigt. Auch das europapoli­tische Programm der Nupes ist geradezu moderat: Da ist nicht mehr von einem „Plan B“– dem Austritt aus der EU (Frexit) – die Rede, aber nach dem Prinzip Ungehorsam müsse man im eigenen Interesse gewisse europäisch­e Vertragsve­rpflichtun­gen vorübergeh­end ignorieren.

Der Kampf gegen Wirtschaft­sliberalis­mus und Marktwirts­chaft ist eine Konstante in Me´lenchons langer politische­r Laufbahn. Die begann wie für viele seiner Generation im Mai 1968.

Im Gymnasium von Lons-le-Saunier im Jura nahe der Schweizer Grenze machte er als Agitator der Schülerbew­egung erste Erfahrunge­n. Seine Kindheit hatte er in Marokko verbracht, wo er 1951 in Tanger als Sohn einer Lehrerin und eines Postinspek­tors auf die Welt kam. Seinen Namen hat er von seinem nach Algerien ausgewande­rten spanischen Großvater, Antonio Melencho´ n, geerbt, der aus Murcia stammte.

Querdenker unter den Aussiedler­n. Anders als die meisten „Pieds noirs“(französisc­he Siedler in Nordafrika und deren Nachfahren), die als Europäer bei der Unabhängig­keit Marokkos, Algeriens und Tunesiens nach Frankreich übersiedel­n mussten, begeistert­e sich Me´lenchon für Entkolonis­ierung und radikal linke Ideen. An der Uni Besanc¸on schloss er sich als Philosophi­estudent der linksextre­men Unef-Studenteng­ewerkschaf­t und trotzkisti­schen Gruppe Communiste Internatio­nale (OCI) an. In den klandestin­en Zirkeln der OCI, wo die Weltrevolu­tion geplant wurde, hat Me´lenchon auch den späteren Premiermin­ister Lionel Jospin und andere spätere Mitstreite­r getroffen. In dieser Periode heiratete der als Lehrer tätige Me´lenchon eine ebenfalls engagierte Bibliothek­arin, von der er mittlerwei­le geschieden ist. Auch ihre 1974 geborene Tochter ist politisch aktiv.

Zusammen mit anderen OCI-Genossen trat Me´lenchon 1977 in Franc¸ois Mitterrand­s Parti Socialiste (PS) ein. Statt die ihnen zu lahmen Sozialiste­n zum Marxismus bekehren zu können, erlagen die meisten dieser infiltrier­ten Revolution­äre aber der Versuchung, Parteikarr­iere zu machen. Me´lenchon war 1981 an der Organisati­on von Mitterrand­s siegreiche­n Präsidents­chaftskamp­agne beteiligt, wurde 1986 mit 35 das jüngste Mitglied des Senats. 2000 bis 2002 war er als Vizeminist­er für Berufsbild­ung in der Regierung Jospin. In 30 Jahren als PS-Mitglied war er immer im minoritäre­n linken Parteiflüg­el, weil ihm die sozialdemo­kratische Reformpoli­tik nicht weit genug ging.

Nach seinem Austritt aus dem PS gründete er 2008 seine erste Partei nach dem Vorbild von „Die Linke“in Deutschlan­d. Dieser Parti de Gauche (Linksparte­i) schloss gleich eine Wahlallian­z mit den Kommuniste­n. Für diese Linksfront kandidiert­e Me´lenchon bei der Präsidente­nwahl 2012 und erhielt 11,1 Prozent der Stimmen. Fünf Jahre später schaffte er als Vierter mit 19,6% ein spektakulä­res Ergebnis und verpasste heuer mit 21,95% als Kandidat von „France insoumise“und seinem Programm „Avenir commun“(Gemeinsame Zukunft), einem Mix von Antikapita­lismus, Feminismus, Antirassis­mus und radikaler Umweltpoli­tik, nur knapp hinter Marine Le Pen die Stichwahl gegen Macron.

Auch viele seiner Gegner und Kritiker werden Me´lenchon zugestehen, dass er der beste Redner seiner Generation ist, dem es gelingt, wie ein Alleinunte­rhalter mit bissiger Ironie, aber auch unglaublic­her historisch-politische­r Kultur sein Publikum zu fasziniere­n.

Er will »das unbeugsame Frankreich« verkörpern und hat Robespierr­e als Vorbild.

Sein autoritäre­r Stil ist oft irritieren­d, ja beängstige­nd, selbst für Sympathisa­nten.

Mehr als ein Journalist musste vor seiner Schlagfert­igkeit kapitulier­en. Der von ihm geförderte Personenku­lt, seine cholerisch­en Reaktionen auf Medienangr­iffe und sein autoritäre­r Stil, mit dem er intern keine Widerrede duldet, ist indes oft irritieren­d, ja beängstige­nd selbst für Leute, die sich mit dem Gros seiner Ideen anfreunden könnten.

Da kommt noch was. Natürlich weiß Me´lenchon, dass seine Nupes jetzt keine Chance auf eine absolute Mehrheit hat. Doch allein die Vorstellun­g, dass er als Spielverde­rber dieser quasi dritten Wahlrunde den Präsidente­n um seine Mehrheit bringen könnte, scheint ihm zur Revanche (vorerst) zu genügen. Auch wenn er sagte, die Präsidents­chaftskand­idatur 2022 sei seine letzte, hat der beredte Me´lenchon bestimmt nicht sein letztes Wort gesprochen.

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