TikTok-Opa gegen Ex-Rebell
Präsidenten-Stichwahl in Kolumbien zwischen einem Social-Media-aktiven Bauunternehmer und einem linken Ex-Guerillero und Hauptstadt-Chef.
Nicht stehlen, nicht lügen, nicht betrügen . . .“So lautet der Slogan, der den Bauunternehmer Rodolfo Herna´ndez an die Schwelle des kolumbianischen Präsidentenpalasts brachte. Die letzten publizierten Umfragen sahen den 77-Jährigen gleichauf mit dem linken Senator Gustavo Petro, der seit einem Jahr alle Umfragen angeführt hatte. Viele Kenner der Verhältnisse des Landes halten es für möglich, dass der einstige Guerillero und spätere Hauptstadtbürgermeister Petro auch im dritten Anlauf aufs oberste Staatsamt unterliegen wird – gegen einen Kandidaten, den vor einem halben Jahr noch die wenigsten kannten in dem Andenland mit seiner komplizierten Topografie und gewalttätigen Geschichte.
Herna´ndez wählte eine ungewöhnliche Strategie für einen Kandidaten, der auf die kleinen Leute zielt: Er mied Aufmärsche, Straßenmeetings, TV-Duelle. „Ich mag mich nicht an hasserfüllten Debatten beteiligen. Ich will mich lieber über die sozialen Netzwerke präsentieren“, erklärte er via Instagram. Mit seinen 77 war er der älteste Kandidat in der ersten Runde Ende Mai. Und doch kamen viele seiner fast sechs Millionen Stimmen von jungen Wählern. Sie tauften ihn „Opa aus TikTok“Just in diesem Netzwerk hat Herna´ndez seine simplen Thesen verbreitet. Seine Beiträge verzichten auf komplizierte Erklärungen, aber orientieren sich optisch und musikalisch an aktuellen Trends.
Einfache Botschaften in Dauerschleife. Der Stratege hinter der Kampagne ist der spanische Spindoktor V´ıctor Lo´pez, der vor drei Jahren Nayib Bukele mit einer Twitter-Kampagne zum Präsidenten El Salvadors gemacht hatte. Lo´ pez empfahl, einfache und einprägsame Botschaften zu formulieren – und gebetsmühlenartig zuwiederholen.Das„Nichtstehlen,nicht lügen, nicht betrügen . . .“wurde zum Mantra, unterlegt mit einer positiven Bilanz jener Zeit, als der 100 Millionen Dollar schwere Unternehmer die Stadt Bucaramanga regierte. 2016 bis 2019 hat er dort die Bürokratie bekämpft und Entscheidungen beschleunigt, was das BudgetderStadtoffenbarentlastethat.
Das Debatten-Schwänzen erspart ihm unangenehme Antworten. Etwa auf die Frage, warum er 2016 Adolf Hitler einen „großen deutschen Denker“nannte. Er muss auch nicht erklären, warum er im Juli vor Gericht soll. Strafverfolger glauben, dass er an korrupten Manövern eines seiner drei Söhne beteiligt war. Und er umgeht Rechtfertigungen zu den Ohrfeigen, die er einem Stadtrat verpasste, der ihm als Bürgermeister provokante Fragen stellte. Zuletzt erfuhren die Kolumbianer allerlei über Herna´ndez‘ explosives Temperament, angeblich ein Erbe seiner Mama, die jüngst, hochbetagt, ein TV-Interview gab, mit Revolver in der Hand.
Die konservative Elite ist draußen. Weil die Konservativen nach ihrer Schlappe in Runde eins ankündigten, Herna´ndez zu unterstützen, bemühte sich der um die bürgerliche Mitte. Via Twitter präsentierte er 20 Vorhaben, die ihn von den Konservativen unterscheiden, die weiter´unter dem Einfluss von Ex-Präsident Alvaro Uribe stehen. So ist Herna´ndez für die Entkriminalisierung der Abtreibung, den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken und den Friedensvertrag mit den Farc-Rebellen. Politologen betonen, dass er sich wohl als Anti-Politiker präsentiert und die alten Eliten als diebisch und korrupt verunglimpft hat; aber sie stellen klar, dass diese Rebellion nur die Exzesse des politischen Personals betrifft, nicht das kapitalistische Wirtschaften per se. Herna´ndez will den Staat verschlanken und mit weniger Bürokratie Schwung in Wirtschaft und Gesellschaft bringen. Offenbar unterstützen ihn mächtige Industrielle, die, so erfuhr die „Washington
Post“von Vertrauten des Kandidaten, ein Schattenkabinett bilden sollen.
Wird der Linke Petro eine Niederlage akzeptieren? Er wollte das nicht versprechen, aus seinem Umfeld wurden Proteste angekündigt, sollte die Linke erneut verlieren. Herna´ndez muss sich nach einem schmutzigen Wahlkampf auf ständige Querschüsse gefasst machen. Weil er im Parlament kaum eigene Leute hat, wird er irgendwann doch mit seinen Gegnern reden müssen. Parlamentsbeschlüsse wird es via TikTok nämlich nicht geben.
»Nicht stehlen, nicht lügen, nicht betrügen . . .« als Mantra des reichen Bauunternehmers.
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