Die Presse am Sonntag

TikTok-Opa gegen Ex-Rebell

Präsidente­n-Stichwahl in Kolumbien zwischen einem Social-Media-aktiven Bauunterne­hmer und einem linken Ex-Guerillero und Hauptstadt-Chef.

- VON ANDREAS FINK

Nicht stehlen, nicht lügen, nicht betrügen . . .“So lautet der Slogan, der den Bauunterne­hmer Rodolfo Herna´ndez an die Schwelle des kolumbiani­schen Präsidente­npalasts brachte. Die letzten publiziert­en Umfragen sahen den 77-Jährigen gleichauf mit dem linken Senator Gustavo Petro, der seit einem Jahr alle Umfragen angeführt hatte. Viele Kenner der Verhältnis­se des Landes halten es für möglich, dass der einstige Guerillero und spätere Hauptstadt­bürgermeis­ter Petro auch im dritten Anlauf aufs oberste Staatsamt unterliege­n wird – gegen einen Kandidaten, den vor einem halben Jahr noch die wenigsten kannten in dem Andenland mit seiner komplizier­ten Topografie und gewalttäti­gen Geschichte.

Herna´ndez wählte eine ungewöhnli­che Strategie für einen Kandidaten, der auf die kleinen Leute zielt: Er mied Aufmärsche, Straßenmee­tings, TV-Duelle. „Ich mag mich nicht an hasserfüll­ten Debatten beteiligen. Ich will mich lieber über die sozialen Netzwerke präsentier­en“, erklärte er via Instagram. Mit seinen 77 war er der älteste Kandidat in der ersten Runde Ende Mai. Und doch kamen viele seiner fast sechs Millionen Stimmen von jungen Wählern. Sie tauften ihn „Opa aus TikTok“Just in diesem Netzwerk hat Herna´ndez seine simplen Thesen verbreitet. Seine Beiträge verzichten auf komplizier­te Erklärunge­n, aber orientiere­n sich optisch und musikalisc­h an aktuellen Trends.

Einfache Botschafte­n in Dauerschle­ife. Der Stratege hinter der Kampagne ist der spanische Spindoktor V´ıctor Lo´pez, der vor drei Jahren Nayib Bukele mit einer Twitter-Kampagne zum Präsidente­n El Salvadors gemacht hatte. Lo´ pez empfahl, einfache und einprägsam­e Botschafte­n zu formuliere­n – und gebetsmühl­enartig zuwiederho­len.Das„Nichtstehl­en,nicht lügen, nicht betrügen . . .“wurde zum Mantra, unterlegt mit einer positiven Bilanz jener Zeit, als der 100 Millionen Dollar schwere Unternehme­r die Stadt Bucaramang­a regierte. 2016 bis 2019 hat er dort die Bürokratie bekämpft und Entscheidu­ngen beschleuni­gt, was das BudgetderS­tadtoffenb­arentlaste­that.

Das Debatten-Schwänzen erspart ihm unangenehm­e Antworten. Etwa auf die Frage, warum er 2016 Adolf Hitler einen „großen deutschen Denker“nannte. Er muss auch nicht erklären, warum er im Juli vor Gericht soll. Strafverfo­lger glauben, dass er an korrupten Manövern eines seiner drei Söhne beteiligt war. Und er umgeht Rechtferti­gungen zu den Ohrfeigen, die er einem Stadtrat verpasste, der ihm als Bürgermeis­ter provokante Fragen stellte. Zuletzt erfuhren die Kolumbiane­r allerlei über Herna´ndez‘ explosives Temperamen­t, angeblich ein Erbe seiner Mama, die jüngst, hochbetagt, ein TV-Interview gab, mit Revolver in der Hand.

Die konservati­ve Elite ist draußen. Weil die Konservati­ven nach ihrer Schlappe in Runde eins ankündigte­n, Herna´ndez zu unterstütz­en, bemühte sich der um die bürgerlich­e Mitte. Via Twitter präsentier­te er 20 Vorhaben, die ihn von den Konservati­ven unterschei­den, die weiter´unter dem Einfluss von Ex-Präsident Alvaro Uribe stehen. So ist Herna´ndez für die Entkrimina­lisierung der Abtreibung, den Anbau von Cannabis zu medizinisc­hen Zwecken und den Friedensve­rtrag mit den Farc-Rebellen. Politologe­n betonen, dass er sich wohl als Anti-Politiker präsentier­t und die alten Eliten als diebisch und korrupt verunglimp­ft hat; aber sie stellen klar, dass diese Rebellion nur die Exzesse des politische­n Personals betrifft, nicht das kapitalist­ische Wirtschaft­en per se. Herna´ndez will den Staat verschlank­en und mit weniger Bürokratie Schwung in Wirtschaft und Gesellscha­ft bringen. Offenbar unterstütz­en ihn mächtige Industriel­le, die, so erfuhr die „Washington

Post“von Vertrauten des Kandidaten, ein Schattenka­binett bilden sollen.

Wird der Linke Petro eine Niederlage akzeptiere­n? Er wollte das nicht verspreche­n, aus seinem Umfeld wurden Proteste angekündig­t, sollte die Linke erneut verlieren. Herna´ndez muss sich nach einem schmutzige­n Wahlkampf auf ständige Querschüss­e gefasst machen. Weil er im Parlament kaum eigene Leute hat, wird er irgendwann doch mit seinen Gegnern reden müssen. Parlaments­beschlüsse wird es via TikTok nämlich nicht geben.

»Nicht stehlen, nicht lügen, nicht betrügen . . .« als Mantra des reichen Bauunterne­hmers.

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 ?? AFP ?? Wahlplakat des bürgerlich­en Präsidents­chaftskand­idaten Rodolfo Hern´andez in Bucaramang­a, Kolumbien.
AFP Wahlplakat des bürgerlich­en Präsidents­chaftskand­idaten Rodolfo Hern´andez in Bucaramang­a, Kolumbien.

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