Trotz Arbeit kein Brot
Die Inflation verteuert die Grundbedürfnisse der Menschen. Das führt dazu, dass auch immer mehr Erwerbstätige mit ihrem Geld nicht auskommen, so die Berechnung des Fiskalratsbüros.
Rund sechs Milliarden Euro ist jenes Paket schwer, das die Regierung am vergangenen Dienstag vorgestellt hat und mit dem die Auswirkungen der Inflation für die Bevölkerung abgefedert werden sollen. Neben der Abschaffung der kalten Progression, Unterstützung für Betriebe und der Valorisierung diverser Sozial- und Familienleistungen ist die Auszahlung von 500 Euro an jeden Erwachsenen und 250 Euro an jedes Kind die wohl direkteste Antwort auf die Teuerungswelle der vergangenen Wochen, die im Herbst aller Voraussicht nach weitergehen wird.
Natürlich freut sich jeder in Österreich über diese Zahlung von staatlicher Seite, schließlich ist auch jeder in irgendeiner Art und Weise von den gestiegenen Preisen betroffen. Dennoch widerspricht dieses Geldverteilen mit der Gießkanne den Forderungen sämtlicher Ökonomen. Diese plädieren nämlich weitgehend einheitlich dafür, dass der Staat sich bei direkten Hilfen auf jene beschränken sollte, bei denen die Inflation zu gravierenden finanziellen Problemen führt. Für jene Einkommensschichten, bei denen die Inflation zwar einen Wohlstandsverlust bedeutet, dieser aber durch Reduktion der Sparquote beziehungsweise Einsparungen von nicht unbedingt notwendigen Konsumausgaben kompensiert werden kann, sollte der Staat hingegen nicht helfend eingreifen. Einerseits, weil es nicht die Aufgabe des Staates ist, jegliche Preiserhöhungen auszugleichen. Und andererseits, weil dies langfristig die finanzielle Kraft des Staates selbst übersteigen beziehungsweise zu unnötigen zusätzlichen Schulden führen würde.
Wer ist betroffen? Das Problem beim Umsetzen dieser ökonomischen Forderung ist jedoch: Wer sind eigentlich jene, bei denen der aktuelle Inflationsschub zu gravierenden finanziellen Problemen führt? Die Regierung versucht dieses Problem zu lösen, indem es etwa für Arbeitslose und Mindestpensionisten 300 Euro zusätzlich gibt sowie Bezieher von Familienbeihilfe eine weitere Einmalzahlung erhalten. Wie treffsicher das Paket dadurch geworden ist, bleibt jedoch unklar.
„Die Zahlung von 500 Euro an alle ist eine breite Geldleistung, die nicht fokussiert ist und daher auch viel Geld an jene ausschüttet, die es nicht brauchen“, sagt dazu Christoph Badelt, Präsident des Fiskalrates und ehemaliger Chef des Wifo zur „Presse am Sonntag“. Gleichzeitig könnte es nun aber auch Menschen geben, die von der Teuerung massiv betroffen sind, aber keine über das allgemeine Maß hinausgehende Hilfe erhalten – etwa, weil sie erwerbstätig sind. Denn gerade bei schlecht verdienenden Angestellten und Arbeitern kann die Inflation derzeit dazu führen, dass die Ausgaben die Einnahmen übersteigen, zeigt eine Berechnung des Fiskalratsbüros.
Dabei haben sich die Ökonominnen anhand der Konsumerhebung der Statistik Austria, bei der 7000 repräsentativ ausgewählte österreichische Haushalte detailliert über ihre Einnahmen und Ausgaben befragt wurden, angesehen, wie sich die aktuelle Teuerungswelle auswirkt. Bei den Berechnungen wurde jener Teil der Inflation zwischen Jänner und April 2022, der über dem langjährigen Durchschnitt zwischen 2016 und 2021 liegt, auf die einzelnen Warengruppen heruntergebrochen. Das Stichprobenergebnis wurde danach auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet.
Das Ergebnis der Untersuchung ist, dass die Zahl jener Haushalte, bei denen das Einkommen nicht für die laufenden Ausgaben reicht, um 400.000 von bisher einer Million auf 1,4 Millionen anwächst (bei der bisherigen Million gibt es eine statistische Unschärfe, etwa Studierende, die Geld von den Eltern erhalten). Während es bei den bisher schon finanziell prekären Haushalten sich aber zu zwei Dritteln um Mindestpensionisten und Empfänger von Sozialleistungen handelt, ist bei den neu Hinzukommenden mehr als die Hälfte der Betroffenen erwerbstätig.
„Man sieht also, dass die Thematik in zunehmenden Ausmaß auch Erwerbstätige
betrifft. Es geht nicht mehr nur um Transferleistungsempfänger“, sagt Badelt. Und bei dieser nun neu betroffenen Gruppe, die trotz Arbeit und Einkommen nicht mehr über die Runden kommt, sollte die Politik eigentlich mit ihren Hilfen ansetzen. „Denn der Staat wird es nicht durchhalten können, alle zu fördern“, so Badelt. Die konkrete Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben bei den zusätzlich betroffenen Haushalten wird vom Büro des Fiskalrats übrigens auf 660 Euro pro Person und Jahr – also sowohl Erwachsene und Kinder – taxiert.
Die Berechnungen des Fiskalratsbüros zeigen nun zwar, dass es 400.000 Haushalte gibt, die besonders von der Inflationswelle betroffen sind, es wäre jedoch für die Politik nicht möglich, diese gezielt zu fördern. „Im Augenblick wäre es nicht möglich, weil die Finanz keine Haushaltseinkommensdaten hat“, sagt Badelt. Allerdings werde dieses Thema immer wichtiger, weshalb es möglich sein sollte, fokussierte Leistungen auszuzahlen. Badelt plädiert daher dafür, etwa die Daten aus Melderegister, Transferzahlungen und Lohnsteuerdaten zusammenzuführen. „Der Staat sollte die Voraussetzungen schaffen, dass Hilfen möglichst effizient eingesetzt werden können.“
stärker in Richtung dauerhafter Konsumgüter verschoben hat. Lockdowns in Ostasien, besonders in den Industriezentren und Häfen Chinas, haben nicht unwesentlich zur Verschärfung der Lage beigetragen. Zeitweise standen in der Automobilindustrie etwa ganze Produktionslinien still, weil Halbleiter fehlten. Auf dem Sekundärmarkt kosteten Chips teilweise das 30-Fache, erinnert sich Rosenbauer-Chef Siegel.
Die Liste der Abhängigkeiten geht weiter: Im Frühjahr 2021 lief im Suezkanal ein Schiff auf Grund und offenbarte, wie abhängig Transportwege von einzelnen Nadelöhren sind. Zu Beginn der Pandemie war medizinische Schutzausrüstung knapp, die Nachfrage explodierte, die Produktion war in Ostasien konzentriert. Schmerzhaft ist freilich Europas Abhängigkeit von fossiler Energie aus Russland; und die Abhängigkeit des Nahen Ostens von Getreide aus der Schwarzmeerregion, die als Exporteur heuer zu großen Teilen ausfällt.
Gefährliche Abhängigkeiten. Auch wenn die Nachwehen der Pandemie noch spürbar sind und diese Lieferengpässe derzeit ebenso die Preise treiben, haben die Industrieländer die Pandemie dennoch vergleichsweise gut überstanden: „Anfangs haben wir über Buchstaben wie L, U oder V gesprochen, es ging um mögliche Erholungskurven der Wirtschaft“, erinnert sich Harald Oberhofer vom Wifo: „Letztlich wurde es in der Industrieproduktion und im Außenhandel eine V-förmige Erholung. Es ist also viel besser gelaufen, als viele befürchtet hatten.“Aber dennoch stellt sich gerade mit Blick auf Russland und China – dort köchelt mit Taiwan auch ein Konflikt, der jederzeit eskalieren könnte – die Frage: Ist es nicht Zeit, Abhängigkeiten in den Lieferketten abzubauen, um politische Risken kleinzuhalten?
„Die EU hat sehr vom Handel mit Russland und China profitiert. Einseitige und gefährliche Abhängigkeiten sollten aber sehr wohl reduziert werden“, sagt Lisandra Flach vom Ifo Institut in München: „Mit Blick auf Russland sind die Abhängigkeiten bei Energie groß, aber auch bei Rohstoffen wie Nickel. Und auch mit Blick auf China gibt es in Europa Abhängigkeiten bei Metallen oder seltenen Erden.“
Die Frage ist: wie? In der Politik war in den vergangenen zwei Jahren viel von Reshoring die Rede, also davon, Industrien zurück nach Europa zu holen. Akut ist derzeit das Thema Energieunabhängigkeit. Die USA befürworten Friendshoring: Washington und seine Verbündeten wollen demnach schauen, dass die Lieferketten vor allem durch befreundete Länder laufen und nicht von Systemrivalen wie China oder Russland abhängig sind.
Aus ökonomischer Sicht ergibt freilich beides wenig Sinn. Ifo-Ökonomin Flach rechnet vor: „Würden deutsche Betriebe all ihre Produktion zurück nach Deutschland holen, würde die deutsche Wirtschaftsleistung um zehn Prozent zurückgehen.“Im befreundeten Ausland mag es Standorte geben, die Kostenvorteile bringen, aber auch Friendshoring hat einen beträchtlichen ökonomischen Preis.
Reshoring und Friendshoring sind aus ökonomischer Sicht oft nicht die beste Lösung.
„Es ist sinnvoll, in erneuerbare Energien zu investieren und gefährliche Abhängigkeiten zu reduzieren“, sagt Oberhofer: „Aber ganze Lieferketten wieder zurück nach Europa zu holen, wie das politisch zum Beispiel im Zusammenhang mit medizinischen Gütern ein großes Thema war, ist nicht sinnvoll.“Geografische Nähe reduziert nämlich Risken nicht. Wer sich 2020 auf einen einzelnen Lieferanten aus der lombardischen Stadt Bergamo verließ, wäre genauso von Lieferausfällen betroffen gewesen. „Diversifizierung und Lagerhaltung sind die Antwort auf geopolitische Risken“, sagt Oberhofer.
So sieht auch die Antwort der europäischen Unternehmen auf die Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre aus. „Wir müssen mehr Flexibilität lernen mit Blick auf geopolitische Risken“, sagt Rosenbauer-Chef Siegel: „Die Nachfolgen der Pandemie beginnen jetzt von ,sehr kritisch‘ auf ,einigermaßen kritisch‘ zurückzugehen.“Aber der Krieg habe die Thematik noch einmal verstärkt. Umfragen unter deutschen Führungskräften zeigen, dass schon vor Kriegsausbruch Diversifizierung der Lieferketten ganz hoch auf der Agenda vieler Unternehmen stand. Da ging es vornehmlich um politische Risken im Zusammenhang mit China.
Insofern ist der Abgesang auf die Globalisierung verfrüht. Sie schreitet voran, wie Flach betont. Nur bewerten Unternehmen bestimmte Risken anders, wenn sie Kosten optimieren, politische, aber auch ökologische
Risken werden stärker eingepreist. Im internationalen Wettbewerb sind jene im