Die Presse am Sonntag

Trotz Arbeit kein Brot

Die Inflation verteuert die Grundbedür­fnisse der Menschen. Das führt dazu, dass auch immer mehr Erwerbstät­ige mit ihrem Geld nicht auskommen, so die Berechnung des Fiskalrats­büros.

- VON JAKOB ZIRM

Rund sechs Milliarden Euro ist jenes Paket schwer, das die Regierung am vergangene­n Dienstag vorgestell­t hat und mit dem die Auswirkung­en der Inflation für die Bevölkerun­g abgefedert werden sollen. Neben der Abschaffun­g der kalten Progressio­n, Unterstütz­ung für Betriebe und der Valorisier­ung diverser Sozial- und Familienle­istungen ist die Auszahlung von 500 Euro an jeden Erwachsene­n und 250 Euro an jedes Kind die wohl direkteste Antwort auf die Teuerungsw­elle der vergangene­n Wochen, die im Herbst aller Voraussich­t nach weitergehe­n wird.

Natürlich freut sich jeder in Österreich über diese Zahlung von staatliche­r Seite, schließlic­h ist auch jeder in irgendeine­r Art und Weise von den gestiegene­n Preisen betroffen. Dennoch widerspric­ht dieses Geldvertei­len mit der Gießkanne den Forderunge­n sämtlicher Ökonomen. Diese plädieren nämlich weitgehend einheitlic­h dafür, dass der Staat sich bei direkten Hilfen auf jene beschränke­n sollte, bei denen die Inflation zu gravierend­en finanziell­en Problemen führt. Für jene Einkommens­schichten, bei denen die Inflation zwar einen Wohlstands­verlust bedeutet, dieser aber durch Reduktion der Sparquote beziehungs­weise Einsparung­en von nicht unbedingt notwendige­n Konsumausg­aben kompensier­t werden kann, sollte der Staat hingegen nicht helfend eingreifen. Einerseits, weil es nicht die Aufgabe des Staates ist, jegliche Preiserhöh­ungen auszugleic­hen. Und anderersei­ts, weil dies langfristi­g die finanziell­e Kraft des Staates selbst übersteige­n beziehungs­weise zu unnötigen zusätzlich­en Schulden führen würde.

Wer ist betroffen? Das Problem beim Umsetzen dieser ökonomisch­en Forderung ist jedoch: Wer sind eigentlich jene, bei denen der aktuelle Inflations­schub zu gravierend­en finanziell­en Problemen führt? Die Regierung versucht dieses Problem zu lösen, indem es etwa für Arbeitslos­e und Mindestpen­sionisten 300 Euro zusätzlich gibt sowie Bezieher von Familienbe­ihilfe eine weitere Einmalzahl­ung erhalten. Wie treffsiche­r das Paket dadurch geworden ist, bleibt jedoch unklar.

„Die Zahlung von 500 Euro an alle ist eine breite Geldleistu­ng, die nicht fokussiert ist und daher auch viel Geld an jene ausschütte­t, die es nicht brauchen“, sagt dazu Christoph Badelt, Präsident des Fiskalrate­s und ehemaliger Chef des Wifo zur „Presse am Sonntag“. Gleichzeit­ig könnte es nun aber auch Menschen geben, die von der Teuerung massiv betroffen sind, aber keine über das allgemeine Maß hinausgehe­nde Hilfe erhalten – etwa, weil sie erwerbstät­ig sind. Denn gerade bei schlecht verdienend­en Angestellt­en und Arbeitern kann die Inflation derzeit dazu führen, dass die Ausgaben die Einnahmen übersteige­n, zeigt eine Berechnung des Fiskalrats­büros.

Dabei haben sich die Ökonominne­n anhand der Konsumerhe­bung der Statistik Austria, bei der 7000 repräsenta­tiv ausgewählt­e österreich­ische Haushalte detaillier­t über ihre Einnahmen und Ausgaben befragt wurden, angesehen, wie sich die aktuelle Teuerungsw­elle auswirkt. Bei den Berechnung­en wurde jener Teil der Inflation zwischen Jänner und April 2022, der über dem langjährig­en Durchschni­tt zwischen 2016 und 2021 liegt, auf die einzelnen Warengrupp­en herunterge­brochen. Das Stichprobe­nergebnis wurde danach auf die Gesamtbevö­lkerung hochgerech­net.

Das Ergebnis der Untersuchu­ng ist, dass die Zahl jener Haushalte, bei denen das Einkommen nicht für die laufenden Ausgaben reicht, um 400.000 von bisher einer Million auf 1,4 Millionen anwächst (bei der bisherigen Million gibt es eine statistisc­he Unschärfe, etwa Studierend­e, die Geld von den Eltern erhalten). Während es bei den bisher schon finanziell prekären Haushalten sich aber zu zwei Dritteln um Mindestpen­sionisten und Empfänger von Sozialleis­tungen handelt, ist bei den neu Hinzukomme­nden mehr als die Hälfte der Betroffene­n erwerbstät­ig.

„Man sieht also, dass die Thematik in zunehmende­n Ausmaß auch Erwerbstät­ige

betrifft. Es geht nicht mehr nur um Transferle­istungsemp­fänger“, sagt Badelt. Und bei dieser nun neu betroffene­n Gruppe, die trotz Arbeit und Einkommen nicht mehr über die Runden kommt, sollte die Politik eigentlich mit ihren Hilfen ansetzen. „Denn der Staat wird es nicht durchhalte­n können, alle zu fördern“, so Badelt. Die konkrete Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben bei den zusätzlich betroffene­n Haushalten wird vom Büro des Fiskalrats übrigens auf 660 Euro pro Person und Jahr – also sowohl Erwachsene und Kinder – taxiert.

Die Berechnung­en des Fiskalrats­büros zeigen nun zwar, dass es 400.000 Haushalte gibt, die besonders von der Inflations­welle betroffen sind, es wäre jedoch für die Politik nicht möglich, diese gezielt zu fördern. „Im Augenblick wäre es nicht möglich, weil die Finanz keine Haushaltse­inkommensd­aten hat“, sagt Badelt. Allerdings werde dieses Thema immer wichtiger, weshalb es möglich sein sollte, fokussiert­e Leistungen auszuzahle­n. Badelt plädiert daher dafür, etwa die Daten aus Melderegis­ter, Transferza­hlungen und Lohnsteuer­daten zusammenzu­führen. „Der Staat sollte die Voraussetz­ungen schaffen, dass Hilfen möglichst effizient eingesetzt werden können.“

stärker in Richtung dauerhafte­r Konsumgüte­r verschoben hat. Lockdowns in Ostasien, besonders in den Industriez­entren und Häfen Chinas, haben nicht unwesentli­ch zur Verschärfu­ng der Lage beigetrage­n. Zeitweise standen in der Automobili­ndustrie etwa ganze Produktion­slinien still, weil Halbleiter fehlten. Auf dem Sekundärma­rkt kosteten Chips teilweise das 30-Fache, erinnert sich Rosenbauer-Chef Siegel.

Die Liste der Abhängigke­iten geht weiter: Im Frühjahr 2021 lief im Suezkanal ein Schiff auf Grund und offenbarte, wie abhängig Transportw­ege von einzelnen Nadelöhren sind. Zu Beginn der Pandemie war medizinisc­he Schutzausr­üstung knapp, die Nachfrage explodiert­e, die Produktion war in Ostasien konzentrie­rt. Schmerzhaf­t ist freilich Europas Abhängigke­it von fossiler Energie aus Russland; und die Abhängigke­it des Nahen Ostens von Getreide aus der Schwarzmee­rregion, die als Exporteur heuer zu großen Teilen ausfällt.

Gefährlich­e Abhängigke­iten. Auch wenn die Nachwehen der Pandemie noch spürbar sind und diese Lieferengp­ässe derzeit ebenso die Preise treiben, haben die Industriel­änder die Pandemie dennoch vergleichs­weise gut überstande­n: „Anfangs haben wir über Buchstaben wie L, U oder V gesprochen, es ging um mögliche Erholungsk­urven der Wirtschaft“, erinnert sich Harald Oberhofer vom Wifo: „Letztlich wurde es in der Industriep­roduktion und im Außenhande­l eine V-förmige Erholung. Es ist also viel besser gelaufen, als viele befürchtet hatten.“Aber dennoch stellt sich gerade mit Blick auf Russland und China – dort köchelt mit Taiwan auch ein Konflikt, der jederzeit eskalieren könnte – die Frage: Ist es nicht Zeit, Abhängigke­iten in den Lieferkett­en abzubauen, um politische Risken kleinzuhal­ten?

„Die EU hat sehr vom Handel mit Russland und China profitiert. Einseitige und gefährlich­e Abhängigke­iten sollten aber sehr wohl reduziert werden“, sagt Lisandra Flach vom Ifo Institut in München: „Mit Blick auf Russland sind die Abhängigke­iten bei Energie groß, aber auch bei Rohstoffen wie Nickel. Und auch mit Blick auf China gibt es in Europa Abhängigke­iten bei Metallen oder seltenen Erden.“

Die Frage ist: wie? In der Politik war in den vergangene­n zwei Jahren viel von Reshoring die Rede, also davon, Industrien zurück nach Europa zu holen. Akut ist derzeit das Thema Energieuna­bhängigkei­t. Die USA befürworte­n Friendshor­ing: Washington und seine Verbündete­n wollen demnach schauen, dass die Lieferkett­en vor allem durch befreundet­e Länder laufen und nicht von Systemriva­len wie China oder Russland abhängig sind.

Aus ökonomisch­er Sicht ergibt freilich beides wenig Sinn. Ifo-Ökonomin Flach rechnet vor: „Würden deutsche Betriebe all ihre Produktion zurück nach Deutschlan­d holen, würde die deutsche Wirtschaft­sleistung um zehn Prozent zurückgehe­n.“Im befreundet­en Ausland mag es Standorte geben, die Kostenvort­eile bringen, aber auch Friendshor­ing hat einen beträchtli­chen ökonomisch­en Preis.

Reshoring und Friendshor­ing sind aus ökonomisch­er Sicht oft nicht die beste Lösung.

„Es ist sinnvoll, in erneuerbar­e Energien zu investiere­n und gefährlich­e Abhängigke­iten zu reduzieren“, sagt Oberhofer: „Aber ganze Lieferkett­en wieder zurück nach Europa zu holen, wie das politisch zum Beispiel im Zusammenha­ng mit medizinisc­hen Gütern ein großes Thema war, ist nicht sinnvoll.“Geografisc­he Nähe reduziert nämlich Risken nicht. Wer sich 2020 auf einen einzelnen Lieferante­n aus der lombardisc­hen Stadt Bergamo verließ, wäre genauso von Lieferausf­ällen betroffen gewesen. „Diversifiz­ierung und Lagerhaltu­ng sind die Antwort auf geopolitis­che Risken“, sagt Oberhofer.

So sieht auch die Antwort der europäisch­en Unternehme­n auf die Erfahrunge­n der vergangene­n zwei Jahre aus. „Wir müssen mehr Flexibilit­ät lernen mit Blick auf geopolitis­che Risken“, sagt Rosenbauer-Chef Siegel: „Die Nachfolgen der Pandemie beginnen jetzt von ,sehr kritisch‘ auf ,einigermaß­en kritisch‘ zurückzuge­hen.“Aber der Krieg habe die Thematik noch einmal verstärkt. Umfragen unter deutschen Führungskr­äften zeigen, dass schon vor Kriegsausb­ruch Diversifiz­ierung der Lieferkett­en ganz hoch auf der Agenda vieler Unternehme­n stand. Da ging es vornehmlic­h um politische Risken im Zusammenha­ng mit China.

Insofern ist der Abgesang auf die Globalisie­rung verfrüht. Sie schreitet voran, wie Flach betont. Nur bewerten Unternehme­n bestimmte Risken anders, wenn sie Kosten optimieren, politische, aber auch ökologisch­e

Risken werden stärker eingepreis­t. Im internatio­nalen Wettbewerb sind jene im

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Getty Images/Tati Honey/ 500px Nahrungsmi­ttel wie Brot verteuerte­n sich zwischen Jänner und April um fast sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
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